Herkunft von Straftätern: Wenn ein "begründetes öffentliches Interesse" besteht

Presserat ändert Pressekodex - doch der Journalist bleibt in einer Zwickmühle

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Wann soll die Herkunft von Straftätern in der Berichterstattung Erwähnung finden? In den vergangenen Monaten haben sich an dieser Frage viele Emotionen entzündet. Nun hat der Presserat einen entsprechenden Abschnitt im Pressekodex abgeändert. Bisher hieß es in der Richtlinie 12.1:

In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Alt Version

In der geänderten Fassung ist nun zu lesen:

In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Neue Version

War diese Änderung wirklich notwendig? Ist die überarbeitete Richtlinie 12.1 "besser" als die alte Fassung? Ist nun klarer, wie Journalisten bei ihrer Berichterstattung mit der Herkunft eines Straftäters oder Tatverdächtigen umgehen sollten?

Beide Fassungen verdeutlichen: So präzise Sprache auch sein kann, das Feingefühl, das Journalisten benötigen, wenn es um die Herkunftsnennung eines Straftäters oder eines Tatverdächtigen geht, wird ihnen keine der beiden Fassungen abnehmen können.

Die Formulierungen "begründbarer Sachbezug" (alte Fassung) und "begründetes öffentliches Interesse" sind jeweils sehr dehnbar und bereiten einen Spielraum, der Journalisten nur sehr bedingt eine Hilfestellung bietet. Wer will, kann wohl fast immer einen "begründbaren Sachbezug" oder ein "begründetes öffentliches Interesse" herbeiargumentieren. Und genauso lassen sich auch ein begründbarer Sachbezug und ein begründetes öffentliches Interesse wegargumentieren.

Auch der letzte Satz, der in beiden Fassungen gleich ist ("Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte") und als eine Art letzte Leitplanke für Journalisten dient, die entscheiden müssen, ob sie die Herkunft eines Straftäters in ihrem Bericht anführen, hilft kaum wirklich weiter.

Schließlich kann davon ausgegangen werden: Wenn der Angehörige einer Minderheit in der Berichterstattung als Straftäter kenntlich gemacht wird, werden bei einem bestimmten Teil der Bevölkerung immer auch Vorurteile geschürt. Führt man als Journalist also die Herkunft eines Straftäters oder Tatverdächtigen an, nimmt man unweigerlich das Risiko in Kauf, Vorurteile in der Bevölkerung aufzukochen - was schlimme Folgen haben kann.

Andererseits: Wird bei jenen Fällen, bei denen es angebracht wäre, die Herkunft eines Täters anzugeben, darauf verzichtet, ist die Gefahr groß, dass ein Journalismus erfolgt, der soziale Realitäten verschleiert - was dazu führen kann, dass Zweifel und Misstrauen gegenüber der Berichterstattung anwachsen.

Deutlich wird: Der Journalist sitzt, wenn es um die Nennung der Herkunft eines Straftäters geht, in einer Zwickmühle, aus der ihn auch die neue Fassung der Richtlinie 12.1 des Pressekodex nicht heraushilft. Wie so oft heißt es am Ende: Abwägen und eine Entscheidung fällen.