Ditib: Bei den Ermittlungen wegen Spionage läuft erheblich viel schief

Dezember 2016: Die regierende AKP überreicht ihre vorgeschlagenen Verfassungsänderungen dem Parlamentssprecher İsmail Kahraman (AKP). Foto: Yildiz Yazicioglu / gemeinfrei

Seltsame Schlampereien, Wahlhilfe und die Aussicht auf ein "Nein" bei der Volksabstimmung über das Präsidialsystem

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Ab Montag können die türkischen Staatsbürger in Deutschland für oder gegen das Referendum abstimmen. Für ein "evet" (dt.:ja) machen die UETD und der islamische Dachverband mobil. Indessen reißt die Kette der eigenartigen Nachrichten über den islamischen Dachverband Ditib und die Spionageaffäre nicht ab (vgl. Ditib-Spitzelaffäre: Wie viel Spielraum gibt die Bundesregierung?).

Nun stellt sich heraus, dass die Bundesanwaltschaft wertvolle Informationen gelöscht hat, die zur Aufklärung der Spionagevorwürfe wichtig gewesen wären. Volker Beck, Bundestagsabgeordneter der Grünen, informierte am 18. Februar per Mail und Fax den Generalbundesanwalt, dass sich gerade der Diyanet-Abteilungsleiter für Auslandsbeziehungen, Halife Keskin, in Köln aufhalte.

Diyanet ist die türkische Religionsbehörde, die den Imamen von Ditib den Auftrag gegeben haben soll, in deutschen Moscheen zu spitzeln. Am 5. September 2016 verschickte die Religionsbehörde eine Verordnung, in der angewiesen wurde: dass "Bedienstete der Diyanet im Ausland dazu verpflichtet sind, über Aktivitäten von Gruppen wie der Gülen-Bewegung, der PKK und dem 'Islamischen Staat', die als terroristisch bewertet werden, zu berichten".

Hinweise nicht weitergeleitet. Ein Versehen?

Knapp 50 Berichte sollen so über Diyanet an den Untersuchungsausschuss des türkischen Parlaments, der sich mit dem Putsch befasst, weitergeleitet worden sein. Aus insgesamt 38 Ländern wurden Spitzelberichte nach Ankara gesandt. Mittlerweile wurden Ermittlungen wegen Spionageverdacht eingeleitet. Der hochrangige Diyanet-Vertreter Keskin hätte zu den Vorwürfen befragt werden können, wenn die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gehandelt hätten.

Doch die Hinweise wurden nicht weitergeleitet, Keskin konnte unbehelligt wieder ausreisen, weil die Mails von Volker Beck "am Morgen des Montags, des 20. Februar 2017, um 7.04 Uhr vom Mailkonto der Poststelle der Generalbundesanwaltschaft gelöscht wurden, bevor das zuständige Ermittlungsreferat Kenntnis davon nehmen konnte".

Ebenso konnte der Eingang des Fax "trotz intensiver Recherchen beim Generalbundesanwalt nicht festgestellt werden", berichtete der parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Christian Lange auf Anfrage von Beck.

Frauke Köhler, Sprecherin der Bundesanwaltschaft, sagte am vergangenen Donnerstag, man gehe von einem Versehen aus. Volker Beck empörte sich, dass bei den Ermittlungen zur Ditib-Diyanet-Affäre alles schief liefe, was nur schief laufen könne. Wenn dies keine Absicht sei, dann sei das eine Riesenschlamperei.

Justizminister Heiko Maas bestellte daraufhin noch am selben Tag den Generalbundesanwalt Peter Frank ins Ministerium und kündigte eine dienstrechtliche Überprüfung an. Denn durch diese Pannen entging der Bundesanwaltschaft nicht nur die Chance, den Diyanet-Auslandsvertreter zu befragen, durch die verspätete Ermittlungsaufnahme konnten die Imame, die ihre Gemeinden ausspioniert haben, auch unbehelligt Deutschland verlassen.

Imame stellen Asylantrag

Um sicher zu gehen, dass auch alle Ditib-Imame auf AKP-Linie sind, wurden alle Imame zurückbeordert in die Türkei und durch AKP-Gefolgsleute ersetzt. Aber nicht alle folgten dem Aufruf der türkischen Religionsbehörde. Einige Imame stellten nun in Deutschland einen Asylantrag, weil sie befürchten, verhaftet zu werden.

Längst nicht alle Imame des Dachverbandes sind mit Erdogans Politik einverstanden: Der Imam Ali S. und sein Kollege Mahmut D. waren bis Dezember 2016 türkische Staatsbedienstete. Beide wurden sie von der Diyanet in die hiesigen Ditib-Moscheen entsandt. Nun haben beide Asyl in Deutschland beantragt.

"Gegen mich gibt es einen Haftbefehl", erzählt Ali S. "Ein Verwandter von mir ist bereits in Haft", fügt der 52-jährige Mahmut D. hinzu. Als sie noch in der Türkei lebten, hätten sie jahrelang ehrenamtlich für Gülen-nahe Vereine gearbeitet. "Dafür wurden wir bis vor einigen Jahren hoch gelobt", berichten sie in der Zeit.

Ditib als verlängerter Arm Erdogans?

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion Ditib wurde Anfang der 1980er Jahre nach dem vorausgehenden Militärputsch in der Türkei gegründet und besitzt in Deutschland rund 1.000 Moscheen.

Der Verband ist Mitglied der Deutschen Islamkonferenz. In einigen Bundesländern bestehen auch Staatsverträge, die dem Verband ermöglichen, islamischen Religionsunterricht an Grund- und Realschulen zu geben. Damit können die Ditib-Gemeinden nicht nur in ihren Moscheen, sondern auch in den Schulen spitzeln und islamistische Propaganda betreiben.

Die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages kamen nun zu dem Schluss, dass es eine direkte Weisungsbefugnis von Diyanet an Ditib gibt. Mittlerweile gibt es in einigen Bundesländern die Bestrebungen, die Staatsverträge zu kündigen oder auszusetzen. Es setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass die ideologische Ausrichtung von Ditib der Integration nicht dienlich sei.

Was ist Diyanet?

Diyanet wurde 1924 gegründet und ist bis heute direkt dem türkischen Ministerpräsidenten unterstellt. Damit wollte Kemal Atatürk nach der Abschaffung des Kalifats die staatliche Kontrolle über die Religionsausübung erwirken. Einen laizistischen Staat, - die Trennung von Staat und Kirche -, hat es also in der Türkei nie gegeben.

Die Religionsbehörde war und ist zuständig für den Unterhalt der Moscheen und für die inhaltliche Gestaltung der Freitagsgebete. Imame und Prediger sind Staatsbeamte und weisungsgebunden. Von daher wurde diese Behörde auch je nach politischer Ausrichtung des Präsidenten mehrmals ideologisch umgestaltet und zur Indoktrination der Bevölkerung benutzt.

Anfangs galt die Behörde unter den Kemalisten noch als Mittel der Modernisierung vor allem für die Muslime in den ländlichen Gebieten. Es sollte verhindern, dass die verbotenen islamischen Bruderschaften dort Einfluss erlangen konnten. Bei dem Militärputsch 1980 begann eigentlich die Islamisierung der Türkei erst richtig.