Ungarische Flüchtlingspolitik: Gericht zeigt Grenzen auf

Grenzpatrouille. Foto: Bőr Benedek / CC BY 2.0

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte reagiert auf das neue Transitzonen-Gesetz mit einer einstweiligen Verfügung

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Seit heute ist in Ungarn ein Gesetz in Kraft getreten, das Asylsuchenden den Aufenthalt in Transitzonen vorschreibt. Als der Gesetzentwurf vor drei Wochen verabschiedet wurde, setzte es heftige Kritik. Manche sprachen von einer "Zwangsunterbringung", die mit internationalen Regelungen im Widerspruch stehe (siehe dazu Ungarn: "Verpflichtender Aufenthaltsort für Flüchtlinge und ein böses Spiel").

Die EU hält sich aus naheliegenden Gründen mit Kritik zurück. Man hat genug Krisen (augenblicklich kommen auch noch Schwierigkeiten bei der Flüchtlingsumverteilung mit Österreich hinzu). Vom EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos wird eine "zurückhaltende Äußerung" zu den ungarischen Neuerungen übermittelt.

Sein Gespräch in Budapest mit dem ungarischen Innenminister Sandor Pinter und Justizminister Laszlo Trocsanyi sei "im "freundschaftlichen Geiste der positiven Kooperation" verlaufen. Man habe beschlossen, über Experten zusammenzuarbeiten, um zu gewährleisten, dass auch den EU-Regeln Rechnung getragen werde. Avramaopoulos, der in der EU für Migration zuständig ist, war offensichtlich daran gelegen, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen.

Ärger vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Die ungarische Regierung reagiert durchaus dünnhäutig auf Kritik. Zu sehen ist das beispielsweise am Umgang mit dem Ungarischen Helsinki Komitee. Die NGO, die für Flüchtlingsrechte eintritt, ist der Regierung ein beständiges Ärgernis, weil sie "permanent Angriffe gegen Ungarns Einwanderungspolitik" vornehme und als Unterstützer von Einwanderern auftrete, wie der nationale Sicherheitsberater der Regierung, György Bakondi, vor ein paar Tagen erklärte. Anlass war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), das einer Klage von zwei Asylbewerbern aus Bangladesch Recht gab.

Gestern Abend gab es nun eine weitere Entscheidung des EGMR, diesmal gegen das neue Asylgesetz. Mit einer einstweiligen Verfügung blockierte das Gericht laut einer Nachrichtenagentur-Meldung die Überführung von acht Minderjährigen und einer schwangeren Asylbewerberin aus einem Flüchtlingslager in ein Container-Dorf an der ungarischen Südgrenze, wie es das neue Gesetz vorschreibt.

Begründet wurde die Entscheidung laut der Meldung damit, dass das neue Asylgesetz "individuelle Fluchtgründe völlig unberücksichtigt" lasse. Auf der Webseite des EGMR gibt es derzeit noch keine Erläuterungen. Laut des APA-Berichts haben die Richter der einstweiligen Verfügung noch eine Frageliste beigegeben, die bis 10. April zu beantworten sei.

Die ungarische Regierung soll anhand dieser Liste über "die Lebensbedingungen in den Container-Dörfern, die Ausbildung des Personals, Weiterbildungsmöglichkeiten und medizinische Versorgungen" Auskunft geben. Mit den Containerdörfern sind die beiden "Transitzonen" bei Röszke und Tompa gemeint, die wie im Gesetz beschlossen, den aus vorwiegend Serbien kommenden Migranten zum verpflichtenden Aufenthaltsort bestimmt werden.

Rationale Argumente und Diffamierungen

Ungarn hatte gegen die Kritiker eingewendet, dass die illegalen Einwanderer bei einem nicht verpflichtenden Aufenthalt sehr schnell das Weite suchen würden und zur Grenze nach Österreich aufbrechen würden. Diese unkontrollierte Situation sei für das Land nicht akzeptabel und nicht tragbar.

Das ist eine nachvollziehbare Begründung, zumal Ungarn als Transitland mit einer enormen Menge an Migranten zu tun hatte und es nicht garantiert ist, dass die Zahl der Grenzübertritte wie derzeit in einem Rahmen bleibt, der leichter zu bewältigen ist.

Allerdings sattelt die ungarische Regierung auf rationale Argumente stets auch ideologische, die böses Blut verursachen. So gibt es Meldungen, die von brutalen Behandlungen von Migranten berichten, die unterwegs aufgegriffen werden.

Dass die ungarische Regierung mit Unterstellungen "pro-aktiv" einer Stimmung der Überfremdung und Bedrohung zuarbeitet, die mit Fremdenfeindlichkeit einhergeht, dokumentierte sie auch mit der Formulierung ihrer Fragestellung beim Referendum ( Ungarns Referendum über Ansiedlung "nicht-ungarischer Bürger").

"Extremistischer Menschenrechtsfundamentalismus"

Beim Streit mit der NGO "Ungarisches Helsinki Komitee" zeigt sich ein Zug ins Diffamierende, wenn es um Menschenrechte geht. So berichtete die deutschsprachige Zeitung Pester Lloyd davon, dass die Regierungspartei Fidesz sich einem extremistischen Menschenrechtsfundamentalismus" des EGMR gegenübersieht, einem "linkes Werkzeug" und "surrealem Gericht".

Hinter dem ungarischen Helsinki Komitee stehe das Wirken der Soros-Organisationen, die "nichts unversucht lassen, um die ungarische Asyl- und Grenzgesetzgebung zu diskreditieren und zu Fall zu bringen". Das Straßburger Gericht interpretiere die Rechte von Einwanderern "fundamentalistisch auf Kosten der nationalen ungarischen Sicherheitsinteressen".

Tatsächlich wird das Ungarische Helsinki Komitee von Soros mitfinanziert. Ist damit dann die Erlaubnis erteilt, Menschenrechte nach eigenem Gusto zu relativieren?