Anschläge: Rechte Duftmarken setzen mit Buttersäure

Foto: Marcus Hammerschmitt

Es gibt eine aktuelle Anschlagsserie in Baden-Württemberg, die Alarm auslösen müsste

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Der Südwesten hat in letzter Zeit mehrere Attacken mit Buttersäure auf linke Einrichtungen gesehen. Offensichtlich wollen Neonazis wie in anderen Teilen Deutschlands ihre politischen Gegner einschüchtern.

Am Samstag, dem 25.3.2017 ist Markttag in Kirchheim unter Teck, einer Stadt von 40.000 Einwohnern am Fuß der Schwäbischen Alb, und die Kirchheimer Bürger lassen es sich bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen wohl sein: Der Frühling kommt. Auch gekommen sind etwa einhundert Demonstranten, die sich direkt vor dem schmucken Rathaus versammelt haben.

Ein paar Fahnen sind zu sehen, hauptsächlich rote; aus den leicht übersteuerten Boxen ballert Musik. Der Grund für die Demonstration: Ein paar Tage vorher ist der Wohnort eines lokalen Aktivisten der Vereins "Halkevi Volkshaus Kirchheim" mit einer rechten Parole besprüht worden; am selben Tag noch wurde auf das Haus, in dem der Verein seine Räumlichkeiten hat, mit Buttersäure angegriffen.

Foto: Marcus Hammerschmitt

Der Verein von linken türkischen und kurdischen Aktivisten, der Kulturabende und Veranstaltungen zu politischen Themen bietet, ist schon seit zwanzig Jahren in Kirchheim ansässig. Er gilt als feste Größe im sozialen Leben der Stadt; die jüngste, gemeinsam mit anderen Gruppen ausgerichtete Veranstaltung im Februar beschäftigte sich unter dem Titel "Der Putsch im Putsch" mit der aktuellen Situation in der Türkei und Nordkurdistan.

Bei der Kundgebung zu dem Anschlag erwähnen die Redner mit Verbitterung, dass sich die Polizei, die örtliche Presse und die Politik ahnungslos geben. Die Oberbürgermeisterin Kirchheims Angelika Matt-Heidecker (SPD) hat sich sogar klar gegen die Kundgebung positioniert:

Bevor man nicht weiß, wer tatsächlich dahintersteckt, sollte man nicht zu einer Kundgebung aufrufen.

Angelika Matt-Heidecker

Andererseits sei die Meinungsfreiheit ein hohes Gut. Deswegen lasse sich eine Kundgebung auch nicht einfach verbieten: "Das wäre nur dann möglich, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist."

Das ist eine mehr als verwunderliche Stellungnahme, wenn man sich vor Augen hält, dass anderthalb Monate vorher im 20 Kilometer entfernten Göppingen ein Anschlag nach dem gleichen Strickmuster verübt worden war.

Dort hatte es das "Haus der Jugend" getroffen, einen Tag, bevor ein Film über die Goldene Morgenröte. gezeigt wurde. Der Anschlag in Göppingen wiederum war Teil einer ganzen Serie von Attacken, darunter Angriffe auf einen Journalisten und einen Göppinger Kommunalpolitiker.

Die Göppinger SPD allerdings hatte sich mit den Betroffenen solidarisch gezeigt und im Haus der Jugend eine Vorstandssitzung abgehalten.

In Göppingen wie in Kirchheim sind sich die Betroffenen der Anschläge sicher: "Der Dritte Weg" steckt dahinter. "Der Dritte Weg" ist eine kleine, aber militante Neonazipartei, die vor allem in Süd- und Ostdeutschland aktiv ist. Während sie in Bayern als Auffangbecken für das 2014 verbotene "Freie Netz Süd" gilt, geht man in Göppingen davon aus, dass sich vor allem ehemalige Mitglieder der "Autonomen Nationalisten Göppingen" im "Dritten Weg" eine neue Organisationsplattform gesucht haben.

Foto: Marcus Hammerschmitt

Dass der Kirchheimer Buttersäureanschlag auf das Konto des "Dritten Wegs" geht, glauben die Aktiven des "Volkshauses Kirchheim" nicht nur, weil der Anschlag die Vorgehensweise aus Göppingen reproduzierte, sondern auch, weil das Vereinsmitglied, dessen Haus von der Nazi-Schmiererei betroffen war, schon früher von Mitgliedern der Neonazipartei beschimpft und bedroht worden war.

So weit, so schlecht. Man könnte jetzt auf den Gedanken kommen, dass das Vorgänge sind, die keine Relevanz über den lokalen oder regionalen Raum hinaus haben, in dem sie stattfinden. Das wäre ein fataler Trugschluss. Zum einen sollten doch spätestens seit 2011 alle Alarmglocken klingeln, wenn es um rechtsradikale Anschläge auf migrantische Einrichtungen geht.

Bevor sie mit dem Morden anfingen, versuchten die Mitglieder des NSU und ihre Helfershelfer mit Aktionen kleineren Zuschnitts Angst und Schrecken zu verbreiten. Die "Gruppe Freital", der aktuell durch das Oberlandesgericht Dresden der Prozess gemacht wird, agierte auch in der Provinz; unter anderem benutzte sie dabei laut Staatsanwaltschaft Buttersäure.

Und dann wäre da noch Berlin-Neukölln. Seit Herbst 2016 verüben Neonazis in den Berliner Stadtteilen Neukölln und Wedding immer wieder Anschläge; das Spektrum reicht von zerstörten Scheiben bei linken Buchhandlungen bis zu brennenden Autos und mindestens einer versuchten nächtlichen Brandstiftung in einem Wohnhaus. Die "Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin" zu den Hintergründen:

Es ist davon auszugehen, dass hinter den Angriffen die Personen aus dem ehemaligen Netzwerk "NW-Berlin" stecken, die jetzt unter dem Label "Freie Kräfte Berlin Neukölln" (FKBN) auftreten. Das Vorgehen, die Tatzeit und die Wahl der Ziele sprechen dafür.

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin

Ob Göppingen/Kirchheim, Freital oder Berlin-Neukölln: Die Taktiken der Neonazis ähneln einander. Die Ideologie ist sowieso in allen Fällen die gleiche. Es gibt keinen Grund, ihre Taten zu verharmlosen; ganz im Gegenteil scheint eine erhöhte Alarmbereitschaft gerechtfertigt, zumal nach der rechtsextremen Welle, die in den letzten Jahren durch Deutschland fegte.

Die Betroffenen des jüngsten Kirchheimer Anschlags denken das ganz bestimmt. Nach ihrer Kundgebung am 25.3. zogen sie noch in einer Spontandemonstration zu dem angegriffenen Haus. Die Fenster waren an diesem schönen Samstag sperrangelweit geöffnet, um den Gestank des Faschismus, den die Angreifer dort hinterlassen hatten, aus den Räumlichkeiten zu vertreiben.