Envio: Prozessende im Dortmunder PCB-Skandal

PCB-77 oder 3,3',4,4'-Tetrachlorbiphenyl, einer von 209 Verwandten aus der Familie der polychlorierten Biphenyle (PCB). Bild: B. Schröder

Das Verfahren zu einem der größten Umweltskandale der jüngeren deutschen Geschichte wird ohne Anerkennung einer Rechtsschuld eingestellt

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Die vielfältigen Anwendungen von PCB waren vor allem der Stabilität bei hohen Temperaturen, der geringen Entflammbarkeit und guten Isoliereigenschaften dieser Verbindungen geschuldet. So kamen PCB unter anderem zur Isolation und Kühlung in Transformatoren und Kondensatoren sowie als Hydraulikflüssigkeit zum Einsatz. PCB werden zum "Dreckigen Dutzend" gezählt: zwölf Schadstoffe, die durch das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe 2001 weltweit verboten wurden. Sie reichern sich im Gewebe und in der Nahrungskette an, sind langlebig und toxisch. Sie stehen im Verdacht, den Hormonhaushalt zu beeinflussen. Über ihr Ferntransport-Potenzial werden sie zu einem globalen Problem.

PCB werden aufgrund ihrer Langlebigkeit auf lange Sicht auch ein Problem bleiben. Während die Normalbevölkerung PCB mit belasteter Nahrung aufnimmt, waren Envio-Mitarbeiter zusätzlichen Aufnahmen über die Haut und mit der Atemluft ausgesetzt. Mögliche Folgen von Vergiftungen sind unter anderem Fehlbildungen bei Embryos, Schädigungen des Immunsystems, Chlorakne, Leberschäden und Haarausfall.

Das Dortmunder Landgericht hat das Verfahren zu den gravierenden Verfehlungen des Entsorgungsunternehmens Envio am 4. April 2017 nach 167 Verhandlungstagen eingestellt. Die beiden verbliebenen Angeklagten, darunter der ehemalige Geschäftsführer Dirk Neupert, sollen im Gegenzug 80.010 Euro an die 21 Nebenankläger zahlen - pro Kopf eine Summe von 3810 Euro. Die Geschädigten können nun im Rahmen von Schadenersatzklagen weitere Zahlungen beanspruchen.

Die Richter hatten schon im Vorfeld für eine Beendigung des Verfahrens ohne Urteil plädiert, da von den ursprünglichen Anklagevorwürfen der Staatsanwaltschaft so gut wie nichts übrig geblieben sei.

Bei rund 50 Mitarbeitern des Unternehmens waren zum Teil stark erhöhte PCB-Konzentrationen im Blut gemessen worden, darunter die höchsten jemals in Deutschland ermittelten Werte. Doch eine Verurteilung der Manager wegen Körperverletzung kam nach Ansicht der Richter dennoch nicht in Frage, denn keiner der zahlreichen im Prozess auftretenden Sachverständigen konnte den sicheren Nachweis erbringen, dass PCB allein für gesundheitliche Beeinträchtigungen der Kläger verantwortlich sei.

So geht der Prozess zu einem der größten Umweltskandale in Deutschland zu Ende. Der Dortmunder PCB-Skandal rund um das Recyclingunternehmen Envio ist gleichzeitig die Geschichte des Versagens von Politik und Behörden, die trotz frühzeitiger Warnhinweise die kriminellen Methoden des Unternehmens duldeten und so taten, als sei alles in bester Ordnung.

Rückblende: Unregelmäßigkeiten frühzeitig bekannt

Die Envio-Gruppe entsteht 2004 per Management-Buy-out aus dem ABB-Konzern heraus. 2007 geht das Unternehmen als Envio AG an die Börse. Die Envio Recycling GmbH als Teil der Envio AG ist auf die Entsorgung von Alt-Trafos spezialisiert. Bei Envio sollen PCB-belastete Transformatorteile mit einer Tetrachlorethen (PER)-Spülung gereinigt und die abgetrennten Schadstoffe ordnungsgemäß entsorgt werden.

2006 entdecken Mitarbeiter des Landesumweltamts bei Messungen im Rahmen eines Programms zur Langzeitbeobachtung immissionsbedingter Wirkungen erstmalig einen erhöhten PCB-Eintrag im Gebiet des Dortmunder Hafens. Die Umweltwissenschaftler nutzen dabei Grünkohl, der durch seine besondere Oberflächenstruktur und die wachshaltige Kutikula besonders gut lipophile organische Schadstoffe anreichert und deshalb als Bioindikator genutzt wird. Ein Verursacher kann nicht ausgemacht werden.

Warnungen vor Anbau und Verzehr von Grünkohl im Zusammenhang mit PCB indes sind ein ständiger Gast in der Medienlandschaft von Nordrhein-Westfalen - ein historisch bedingter Zustand.