Brand in französischem Flüchtlingslager: Schleuserbanden involviert

Aufbauarbeiten am Lager, Anfang 2017. Bild: Camsurmer / CC BY-SA 4.0

Die Zerstörung eines Modell-Projekts in Grande-Synthe. Krawalle setzten ein Ende

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Das Flüchtlingsaufnahmelager in Grande-Synthe bei Dünkirchen wurde vor einem Jahr noch als Exempel dafür gerühmt, wie man es besser machen kann. Gestern wurde es systematisch abgefackelt, größtenteils in Schutt und Asche gelegt. Der Wiederaufbau wird ausgeschlossen.

Die Bilder vom brennenden Flüchtlingslager in Grande-Synthe in der Nacht auf Dienstag, den 11. April, sind nun eine Wahlkampfhilfe für Marine Le Pen. Die Präsidentschaftskandidatin reagierte heute Morgen sofort:

#GrandeSynthe : Die massive und unkontrollierte Einwanderung führt zum Chaos und zur Gewalt. Es ist dringend, dass Frankreich wieder zur Ordnung zurückkehrt.

Marine Le Pen

Man kann hier anmerken, dass die Bilder vom brennenden Flüchtlingslager für die Kandidatin zur rechten Zeit kamen, um ihren Wahlkampf in "geordnete Bahnen" zurückzubringen. Der war ihr nämlich tags zuvor entgleist, als sie zuvor mit einer Äußerung zur französischen Beteiligung an der Deportation von Juden in Vernichtungslager die Aufmerksamkeit auf die faschistischen Ursprünge ihrer Partei und auf ihre Versuche der Weißwaschung lenkte.

Polemik wird ihr in dem Fall der Vergangenheitsinterpretation von ihrem Gegenkandidaten Mélenchon vorgeworfen. Das gilt auch für das aktuelle Problem des Lagers in Grande-Synthe, "La Linière" genannt. Politiker versuchten, Ordnung ins Chaos zu bringen. Das ist ihnen offensichtlich nicht gelungen. Die Kandidatin Le Pen macht es sich auch hier sehr einfach. Die Problemfelder sind vielschichtig, einfache Lösungen gibt es nicht.

Der "Elefant im Raum": Jobs in Großbritannien

Das alles überlagernde Problem ist, dass nach wie vor viele Migranten über Frankreich nach Großbritannien wollen. Im Vereinigten Königreich spricht der für den Brexit zuständige Secretary of State, David Davis, davon, dass nach dem britischen EU-Austritt noch mehr Migranten kommen könnten. Sie würden sich auch in den nächsten Jahren weiter in Frankreich sammeln.

Die Aussichten für die Migranten in Großbritannien sind nicht schlecht, wie Davis in einer Äußerung über schlecht ausgebildete EU-Migranten erkennen ließ. So lange britische Bürger schlecht bezahlte Arbeiten in bestimmten Sektoren nicht annehmen würden, bleiben die Türen zunächst offen, sagte er. Freilich meinte Davis Migranten, die EU-Bürger sind.

Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass Großbritannien mit seinem Angebot an Niedriglohnjobs auch Migranten aus Nicht-EU-Ländern lockt, was ihm französische Politiker seit langem vorwerfen. "Der erste Elefant im Raum ist natürlich, dass Großbritannien Jobs schafft und Frankreich nicht", kommentierte der Telegraph im August 2015 diese Vorwürfe. Zur Aussicht, im UK einen Job zu finden, kommt, dass viele Migranten in Großbritannien auf ein Netzwerk von Verwandten, Freunden oder Bekannten zählen - und auch auf bessere Lebensbedingungen als in ihren Herkunftsländern.

Schleuser übernehmen

Solange die Politiker der EU, Frankreichs und Großbritannien dafür keine Lösungen finden, nutzen Schleuser ihre Möglichkeiten. Was sich aus den Berichten und Äußerungen zum gestrigen Brand im Lager "La Linière" ergibt, ist ein Streit zwischen zwei größeren Schleusergruppen. Die kurdischen Schleuser kämpften mit afghanischen Schleusern um die Kontrolle des Lagers, wie Pierre Henry, Direktor der Organisation France Terre d'Asile erklärt.

Die anfängliche Ordnung in La Linière sei mehr und mehr in "mafiöse Strukturen" übergegangen, beklagte die Grünen-Politikerin und Ministerin für Wohnungsbau, Emmanuelle Cosse, kürzlich, als die staatliche Unterstützung für das Flüchtlingsaufnahmelager noch einmal um sechs Monate verlängert wurde.

Vor gut einem Jahr hatte die staatliche Unterstützung und die Mithilfe der Organisation Ärzte ohne Grenzen noch dafür gesorgt, dass man sich noch stolz über das erste Flüchtlingsaufnahmelager in Frankreich zeigte, das den humanitären Kriterien des UNHCR entsprach. Man wollte einen Unterschied machen zu den slum-ähnlichen Bedingungen des Jungle in Calais oder den in dem in der Nähe gelegenen Camp "Basroch".

Großer Zulauf

Statt in Zelten wurden die Migranten in kleinen Holzhäuschen untergebracht, mit Stromanschluss, abschließbar. Die Hütten stehen in verschiedenen Zonen, ordentlich in Linien aufgereiht, Familien wurden getrennt von Männern, die alleine unterwegs sind, untergebracht. Alle zweihundert Meter gibt es Toiletten und Duschen, und es gibt Gemeinschaftsküchen.

Als das Flüchtlingslager in Calais, Jungle genannt, im Herbst vergangenen Jahres aufgelöst wurde, begannen Probleme, die manche vorausgesehen hatten. Eins davon war, dass das Lager "La Linière" in Grande-Synthe einen großen Zulauf erfuhr.

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen stieg im Oktober aus dem Projekt aus, weil die Präfektur versuchte, die Aufnahme zu begrenzen. Nach Auffassung der Ärzte ohne Grenzen hätte das Lager die nötigen Kapazitäten.

Lokalpolitiker machten dagegen von Anfang an auf die Feuergefahr durch die Holzhäuser aufmerksam und es gab von Beginn an Streit über die Verteilung der Häuserplätze. Über das Verteilungsproblem deutete sich bereits ein Konflikt zwischen den mehrheitlich kurdischen Migranten aus dem Irak und afghanischen Migranten an. Ungefähr 1.500 Migranten lebten in dem Projekt, mit dem der grüne Bürgermeister Damien Carême ein Gegenbeispiel zum benachbarten Lager Basroch machen wollte.

An verschiedenen Stellen absichtlich Feuer gelegt

Gestern Abend soll es zu einem Streit zwischen Afghanen und Kurden gekommen sein, der sich an "Unterbringungsprivilegien" entzündete, es gab eine Messerstecherei und irgendwann, so der Mitarbeiter des Bürgermeisters, Olivier Caremelle, wurden an unterschiedlichen Stellen absichtlich Feuer gelegt.

Laut mehreren Zeugen sollen sich afghanische Migranten, die seit der Auflösung des Jungle in Calais in größerer Zahl ins 40 Kilometer entfernte Lager in Grande-Synthe kamen, unzufrieden darüber gezeigt haben, dass ihnen Plätze in der Nähe der Kollektivküchen zugewiesen wurden, während die Kurden in den Holzhäusern untergebracht wurden. Obwohl es viele Neuankömmlinge gab, wurden keine neuen Häuser errichtet.

Es gab ein Dutzend Verletzte, berichtet Le Monde. Die Polizei, die eingriff, wurde mit Steinen beworfen, getroffen wurden aber hauptsächlich andere Migranten, wie das Lokalmedium La Voix du Nord notiert.