Innere Medizin: Zu fast 90 Prozent unterschiedliche Diagnosen von Ärzten

Der Vergleich von zwei aufeinanderfolgenden Diagnosen eines Patienten verweist auf die prekäre Lage des medizinischen Wissens

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bei schweren Erkrankungen oder Behandlungen/Operationen, vor allem aber bei Patienten mit unsicheren Krankheitsbildern erscheint es sinnvoll, auch einen weiteren Arzt zu konsultieren, vielleicht auch mehrere. Stimmen die Diagnosen und Behandlungsvorschläge überein, so könnte sich der Patient darauf verlassen, dass sie nach dem Stand des medizinischen Wissens wahrscheinlich richtig ist. Aber was tun, wenn der eine Arzt dies sagt und der andere jenes?

Das scheint sehr oft der Fall zu sein. Nach einer Studie, die Wissenschaftler am Mayo-Krankenhaus durchführten und die im Journal of Evaluation in Clinical Practice erschienen ist, sind sich Ärzte offenbar kaum einig bei der Beurteilung eines Krankheitsbefunds. Untersucht wurden 286 Krankenakten von Patienten und die Einweisungsdiagnose mit der endgültigen Diagnose eines Arztes im Krankenhaus verglichen. Die Wissenschaftler wollten überprüfen, ob sich dadurch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass eine genauere Diagnose gestellt werden kann.

Die Wissenschaftler zogen Krankenakten von Patienten aus zwei Jahren heran, die in die Abteilung für Allgemeine Innere Medizin eingeliefert wurden. Da hier Krankheitsbilder und Diagnosen nicht einfach sind, war allerdings zu erwarten, dass hier besonders viele abweichende Diagnosen von verschiedenen Ärzten zu erwarten sind. Dass aber nur in 12 Prozent der Fälle der Arzt, der den Patienten ein zweites Mal untersuchte, mit der ersten Diagnose übereinstimmt, überrascht aber doch, schließlich hängt davon die Behandlung und damit womöglich nicht nur die Gesundheit, sondern auch das Leben des Patienten ab.

In 88 Prozent der Fälle unterschieden sich die Diagnosen. Allerdings stellte der zweite Arzt "nur" in 21 Prozent der Fälle eine völlig unterschiedliche Diagnose, 66 Prozent der Patienten erhielten eine verbesserte oder neu definierte Diagnose. James Naessens, der Leiter des Wissenschaftlerteams, bezeichnete das Ergebnis als beunruhigend, da eine wirksame Therapie von der Richtigkeit der Diagnose abhängt: Wenn man weiß, dass mehr als einer von fünf eingelieferten Patienten völlig inkorrekt diagnostiziert wurden, ist das beunruhigend - nicht nur wegen der Sicherheitsrisiken für diese Patienten vor der richtigen Diagnose, sondern auch wegen der Patienten, die gar nicht eingewiesen wurden." Dabei geht Naessens davon aus, dass die im Krankenhaus erfolgte Diagnose die richtige ist.

Diagnosefehler bleiben unberichtigt, wenn Patienten keine weiteren (Fach)Ärzte aufsuchen oder die Krankenkassen dies begrenzen. Naessens sagt, dass zudem viele Ärzte in der Grundversorgung, also in den Arztpraxen oder Ambulanzen, ihren Diagnosen übermäßig vertrauen und die Patienten daher nicht an einen Experten überweisen. Verstärkt würde der Effekt noch dadurch, dass viele Patienten sich nicht trauen, eine Diagnose zu hinterfragen. Falsche Behandlungen können auch den Versicherungen teuer kommen. Auch wenn bei zwei völlig abweichenden Diagnosen noch ein dritter Arzt konsultiert wird, die Kosten steigen, könnte "die Alternative tödlich" sein (Dritthäufigste Todesursache medizinische Fehler?).