Türkei: Prozess bringt das Thema Waffenlieferungen an syrische Dschihadisten wieder auf

Aus dem Cumhurriet-Video von Dündar und Gül über eine MIT-Waffenlieferung.

Nach der Verurteilung Dündars wird nun auch ein Staatsanwalt des Verrats von Staatsgeheimnissen beschuldigt. Ganz abwegig ist nicht, dass die Türkei mit Giftgas und False-flag-Aktionen agiert

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Im Januar 2014 begingen aus Sicht der türkischen Regierung Polizisten einen schweren Fehler, weil sie einen vermutlich mit Waffen beladenen LKW-Konvoi des türkischen Geheimdienstes Milli İstihbarat Teşkilatı (MİT) nahe der Grenze zu Syrien zwischen Reyhanlı und Kırıkhan stoppten und inspizieren wollten. Die Waffen sollten den "Rebellen" geliefert werden, das Gebiet an der syrischen Grenze war damals von Ahrar al-Sham kontrolliert worden. MIT-Agenten verhinderten die Durchsuchung. Jetzt verlangt die Staatsanwaltschaft Haftstrafe für einen der Staatsanwälte, die angeordnet hatten, den Konvoi zu stoppen und zu untersuchen. Auch die beteiligten anderen Staatsanwälte und Polizisten müssen mit Strafen rechnen. Präsident Erdogan erklärte, in den LKWs hätten sich Hilfsgüter befunden.

Bekannt wurde der Vorfall durch Can Dündar und Erdem Gül, die 2015 in Cumhuriyet darüber berichtet hatten. Sie wurden bekanntlich angeklagt, Dündar wurde 2016 zu einer Haftstrafe von 5 Jahren und 10 Monaten wegen der Verbreitung von Staatsgeheimnissen verurteilt. Die Tatsache, dass es sich um einen MIT-Konvoi für Syrien handelte, wurde nicht bestritten.

Dabei handelte es sich nicht um Sarin, das war ein anderer Fall, der auch aktuell beim Giftgasanschlag kaum erwähnt wurde, bei dem in der Türkei im Mai 2013 ein Dutzend Männer mit 2 kg Sarin festgenommen, aber angeblich mangels Beweisen schnell wieder freigesprochen worden waren (Lieferte die Türkei al-Qaida Giftgas?). Manche bringen dies mit dem verheerenden Giftgasangriff am 21. August 2013 in Ghuta bzw. Gouta in Zusammenhang. Der Vorfall würde dafür sprechen, dass "Rebellen" vermutlich von al-Nusra Giftgas oder Komponenten aus der Türkei oder von der Türkei erhalten haben. 2015 hatten Abgeordnete der oppositionellen CHP die Ermittlungsakte der Polizei über diesen Vorfall erhalten (Wer steckt hinter dem syrischen Giftgas-Angriff).

Seymour Hersh machte dafür u.a. mit dem Hinweis auf die Festnahme die türkische Regierung verantwortlich (False-Flag-Operation mit zahlreichen Toten). Das wurde von allen zurückgewiesen, da das syrische Regime dafür verantwortlich gemacht wurde. Abwegig ist die Überlegung freilich nicht, denn es ist zumindest einmal belegt, dass die türkische Regierung über False-Flag-Operationen nachdachte.

Fingierte Angriffe wurden durchgespielt

So wurde 2014 die Aufnahme eines Gesprächs veröffentlicht, das der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu, Hakan Fidan, der Chef des Geheimdiensts Milli İstihbarat Teşkilatı (MİT), Generalleutnant Yaşar Güler und Staatssekretär Feridun Hadi Sinirlioğlu geführt haben. Thema waren fingierte Angriffe, um in Syrien einmarschieren zu können (was im August 2016 schließlich mit der Operation Euphrat-Schild umgesetzt wurde, an der die Türkei unter dem Deckmantel der FSA islamistische militante Gruppen beteiligte).

Man wollte angeblich gegen den IS vorgehen, Ziel waren aber die Kurden und die syrische Regierung. Güler sprach auch von einer Ausweitung von Waffen- und Munitionslieferungen an die syrischen "Rebellen".

Ankara versorgte die "Rebellen" in Syrien, neben FSA-Gruppen auch Ahrar al-Sham und möglicherweise direkt oder indirekt al-Nusra und den von der al-Qaida-Gruppe abgefallenen Islamischen Staat, u.a. mit Waffen und hielt die Grenzen offen. So kamen nach Untersuchungen des Conflict Armament Research die meisten Firmen und Zwischenhändler, die Materialien für den Bau von IS-Sprengbomben lieferten, aus der Türkei.

Aus dem Cumhurriet-Video von Dündar und Gül über eine MIT-Waffenlieferung.

Raketenteile, Munition und Granaten für die Dschihadisten

Die türkische Regierung, die die Gewaltenteilung durch die Massensäuberungen praktisch abgeschafft hat, dürfte damit eine Warnung an alle vermitteln wollen, die "Staatsgeheimnisse" weitergeben, sich in die Geschäfte des Geheimdienstes einmischen oder heimliche Machenschaften des Staats aufdecken. Reuters berichtete im Mai 2015, Journalisten hätten die Aussagen von Polizisten aus Gerichtsdokumenten überprüft. Es habe zwei Untersuchungen von Waffenlieferungen gegeben, eine im November 2013 und die andere im Januar 2014. Die Polizisten erklärten, dass auf dem Lastwagen, der im November 2013 gestoppt und durchsucht worden war, Raketenteile, Munition und Granaten gefunden worden seien.

Die Generalstaatsanwaltschaft von Ankara forderte am Donnerstag bis zu 15 Jahre Haft für den seit 2014 in Untersuchungshaft sitzenden Staatsanwalt Aziz Takcı, der aufgrund eines Tipps, dass es eine Waffenlieferung an syrische Militante gibt, die Durchsuchung des Konvois angeordnet hat. Beschuldigt wird er der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Er soll also auch ein Anhänger der Gülen-Bewegung sein, die für den gescheiterten Putschversuch im letzten Jahr verantwortlich gemacht und seitdem FETÖ/PDY genannt wird (Fethullahistische Terrororganisation/Parallele Staatsstruktur). Dafür soll sprechen, dass er wie viele andere die Messenger-App ByLock nutzte. Von der türkischen Regierung wird jeder, der die App nutzt, als Putschist oder FETÖ-Mitglied betrachtet, weitere Nachweise sind nicht erforderlich. Zudem wird Takcı beschuldigt, Staatsgeheimnisse aufgedeckt zu haben. Er war mit anderen Kollegen bereits im Januar entlassen worden, weil sie die Würde und die Ehre ihres Berufsstands und das Ansehen eines Staatsbeamten verletzt hätten.