Syrien: Anschlag auf Buskonvoi

Bild: Ahrar al-Sham-Propaganda auf Twitter

Bei Aleppo führte eine Autobombe zu mindestens 100 Toten. In den Bussen hatten Bewohner der schiitischen Enklaven Fuah und Kafraya in Idlib auf Weiterfahrt gewartet

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Kinder, so wird berichtet, liefen dem Fahrzeug entgegen, weil es Essen bringen sollte. Doch der Wagen war voller Sprengstoff und am Steuer saß ein Selbstmordattentäter. Die Zahlen der Opfer differieren, wie so oft, manche geben über 100 Tote an. Außer Frage steht, dass am gestrigen Samstag, den 15.April, wieder einmal ein arglistiger, grauenhafter Anschlag vorführte, welche Hölle der Krieg in Syrien für die Zivilbevölkerung bedeutet.

In den Bussen hatten ausgehungerte und ausgezehrte Bewohner der schiitischen Enklaven Fuah und Kafraya in Idlib länger als einen Tag auf die Weiterfahrt gewartet. Sie standen an der Peripherie im Westen Aleppos, an der Raschidin-Straße, einer Zone, die von der al-Qaida-Allianz Hay'at at-Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert wird. Den Kern des Bündnisses stellt die al-Nusra-Front, militärischer Chef ist dessen Führer Abu Mohammad al-Jolani. Auch der Konvoi wurde in diesem Gebiet durch Milizen und nicht durch die syrische Regierung überwacht.

Evakierungsprogramm

Zum den Verzögerungen kam es, weil die al-Qaida-Allianz laut Berichten dies so verfügte. Der Streit ging um die Frage, wie viele Kämpfer aus regierungsnahen Milizen in den Bussen saßen oder sitzen dürfen. Der Buskonvoi ist Teil eines größeren und bedeutenden Evakuierungsprogramms, der vier Orte in Syrien betrifft: die beiden genannten Orte in der Provinz Idlib, Fuah und Kafraya, sowie Madaya und Zabadani im Nordwesten von Damaskus.

In Fuah und Kafraya leben mehrheitlich Schiiten, die Orte sind umzingelt von Dschihadisten. Dagegen sind Madaya und Zabadani im Nordwesten von Damaskus einer Belagerung durch die syrische Armee ausgesetzt. Auf deren Not fiel schon mehrmals die Aufmerksamkeit der Syrien-Berichterstattung im Westen.

Auch der gestrige Tagesschau-Bericht zum Autobomben- Anschlag stellt sie noch einmal heraus: "Bewohner mussten Nagetiere jagen und Gras kochen, um in den Wintermonaten nicht zu verhungern." Es ist charakteristisch für die Berichterstattung und die Reaktionen darauf, dass dieser Satz in den Kommentaren auf Entrüstung stößt, weil nur die Grausamkeit der Belagerung der syrischen Armee damit herausgehoben werde und nicht die der Dschihadisten in Idlib bei Fuah und Kafraya.

Blame-Game

So spiegelt sich in den deutschen Kommentaren wieder, was im Großen den ganzen Plan auf zerbrechliche Füße stellt: Vorwürfe der Grausamkeit und Vorwürfe der Manipulation von Nachrichten, Propaganda. Wer sich in den sozialen Netzwerken, auf Twitter oder Facebook zu dem grauenhaften Geschehen informiert, dem dröhnt der Kopf.

Unter dem Hashtag #Assad_is_an_animal fährt die Medienabteilung der dschihadistisch-salafistischen Miliz Ahrar al Sham eine Bilderoffensive, die die syrische Regierung für den Anschlag verantwortlich macht. Ein Kommuniqué des "Pressesprechers" in Englisch spricht von einem "feigen Anschlag".

Anhänger der militanten Opposition legen "Fotobeweise" vor, wonach es nur die syrischen Regierungstruppen gewesen sein könnten, da doch Ziele der Opposition getroffen wurden.

Auf der anderen Seite werden Video-Aufnahmen mit Zeugen präsentiert, die den Dschihadisten einen besonders infamen Hinterhalt vorwerfen, nämlich dass sie die Kinder mit der Verteilung von Crunchys zum Autobomben-Fahrzeug gelockt hätten.

Außerhalb der Blame-Game-Geisterbahn ist zu bedenken, dass ein Autobombenanschlag nicht zu den militärischen Mitteln zählt, zu denen die syrische Armee und ihre Verbündeten greifen. Dagegen gab es vor einigen Monaten schon einmal einen Angriff auf Evakuierungsbusse, für die sich oppositionelle Milizen verantwortlich zeigten, unter großem Jubel übrigens.

Bekannt ist zudem der Hass auf Schiiten, mit dem die fanatisierten Dschihadisten seit Anfang des Krieges mobilisieren und agieren. In den Bussen saßen hauptsächlich Einwohner der schiitischen Enklaven. Da bei der Autobombe auch mehrere oppositionelle Kämpfer ums Leben kamen, kursieren Annahmen, wonach eine radikale Gruppe "innerhalb der Radikalen" dafür verantwortlich sein könnte.

Das Austauschprogramm mit Evakuierungsbussen, das unter Beteiligung von Iran und Katar, das sehr viel Geld beisteuerte, ausgehandelt wurde, wurde gestern weitergeführt. Insgesamt sollen etwa 5.000 Menschen aus Fua und Kafraja nach Aleppo gebracht werden und 2.200 Menschen aus Madaja und Sabadani in die Provinz Idlib.