Politik in den Zeiten der Deglobalisierung

Während vordergründig über Protektionismus und Freihandel gestritten wird, steuert die Weltwirtschaft auf einen tiefgreifenden Wandel zu. Die Ära der Globalisierung geht zuende. Liegt darin eine Chance?

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Der böse Bube der Weltwirtschaft ist in diesen Tagen leicht zu identifizieren. Er droht seinen wichtigsten Handelspartnern mit Zollbarrieren, plant Buy-American-Klauseln, beklagt sich über den "Diebstahl amerikanischen Wohlstands", und seine Berater brüten über einer "Grenzausgleichssteuer", die Importe in die USA generell erschweren soll. Mit seinen protektionistischen Plänen gilt US-Präsident Donald Trump allenthalben als größte Gefahr für die globalisierte Wirtschaft.

In Brüssel, Berlin, Peking und in den Zentralen der internationalen Wirtschafts- und Finanzinstitutionen verteidigt man demgegenüber die Politik der "offenen Märkte". Sie seien, so die einhellige Botschaft, die Garanten für Wachstum und Wohlstand.

Nun weiß man in den internationalen Institutionen sehr gut, dass diese "offenen Märkte" - global gesehen - seit längerem eine erstaunliche Schwäche an den Tag legen, die mit Donald Trump erstmal nichts zu tun hat. Die Statistiken dieser Institutionen sprechen eine ziemlich klare Sprache.

Im Juli 2016 meldete die Welthandelsorganisation WTO, dass seit 2008 mehr als 2.100 Handelsbarrieren errichtet wurden. Im Oktober berichtete der Internationale Währungsfonds IWF, dass das Wachstum des globalen Handelsvolumens seit 2012 rückläufig ist und unter seine langjährigen Durchschnitte zurückfällt. Die UN-Handelsorganisation UNCTAD machte auf einen deutlichen Rückgang der grenzüberschreitenden Investitionen aufmerksam.

Die Weltbank wies darauf hin, dass das Investitionswachstum in den Schwellen- und Entwicklungsländern seit 2010 stark gesunken ist. Das Wachstum der Arbeitsproduktivität ging seit 2009 im globalen Maßstab zurück, in den Entwicklungsländern dramatischer als in den Industrieländern. Seit 2008 wächst der globale Handel langsamer als die Produktion - ein eindeutiges Indiz für eine rückläufige Globalisierung. Die Ära der Globalisierung hat offenbar ihren Schwung verloren. Und Donald Trump ist nicht die Ursache dieser Entwicklung, eher ein Symptom.

Mit seiner protektionistischen Wende will der US-Präsident Jobs nach Amerika zurückholen. Oder, wie es sein Handelsberater Peter Navarro formulierte, die grenzüberschreitenden Produktionsketten "repatriieren", also heimholen. Das klingst zunächst ziemlich rückwärtsgewandt, liegt aber im Trend der ökonomischen Entwicklung.

Jahrzehntelang war der Aufbau globaler Produktionsketten ein wesentlicher Treiber der Globalisierung gewesen. Und noch heute sind die Vertreter des Freihandels davon überzeugt, dass es dem wirtschaftlichen Fortschritt dient, die Produktion eines Autos oder eines Turnschuhs über den ganzen Erdball hinweg, in globalen Wertschöpfungsketten zu organisieren, dabei billige Arbeitskräfte in Asien, Afrika und Lateinamerika auszunutzen, und die Vor-, Zwischen- und Endprodukte in gigantischen Containerschiffen über die Meere hin und her zu schicken.

Tatsächlich haben sich durch diese Praxis viele Produkte verbilligt, während die Konzerne ihre Profite erhöhen konnten. Der globale Handel wurde dadurch in immer neue Höhen getrieben. Zum einen weil von den billigeren Produkten mehr gekauft wurde. Zum anderen, weil globale Produktionsketten automatisch grenzüberschreitenden Handel generieren.

Ein Auto von Ford oder General Motors überquert im Laufe seiner Entstehung mehrmals die Grenze zu Mexiko und wieder zurück. Jedesmal wird grenzüberschreitender Handel generiert. So kann der globale Handel wachsen, selbst dann, wenn die Wertschöpfung stagniert oder sogar sinkt.

Solange der globale Handel schneller wächst als die Produktion, gilt der Fortschritt der Globalisierung als gesichert. Nun hat sich dieser jahrzehntelange Trend in sein Gegenteil verkehrt. Was ist geschehen?