Gabriel und die selbstbewusste Nation

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Screenshot, YouTube

Israel: Der Außenminister tritt als Lehrmeister auf und wird von Netanjahu nicht empfangen - Ein Kommentar

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Eigentlich war es eine peinliche Abfuhr, die Bundesaußenminister Gabriel in Israel erlebte. Der wichtigste Termin mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Netanjahu fiel aus. Der hatte kurzfristig ein Treffen mit Gabriel storniert, weil der sich mit in Israel äußerst umstrittenen Nichtregierungsorganisationen getroffen hat.

Es handelt sich um die 2004 von Exsoldaten gegründete Organisation Breaking the Silence, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Kriegsverbrechen in der israelischen Armee aufzuklären. Wer die Arbeiten liest, kann sich einer gewissen Beklemmung nicht entziehen. Hier berichten junge Soldatinnen und Soldaten, die oft sehr jung in den besetzten Gebieten Militärdienst ableisten mussten und in Situationen gekommen sind, in denen sie palästinensischen Familien gegenüberstanden, denen sie Freiheits- und Menschenrechte beschnitten.

Es spricht für diese Soldatinnen und Soldaten, dass sie sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben und mit Gleichgesinnten ihre Erlebnisse öffentlich machen. Natürlich sind sie einseitig und subjektiv. Es gibt aber keinen Grund, ihren Wahrheitsgehalt in Zweifel zu ziehen. Auch die Nichtregierungsorganisation B’Tselem widmet sich den Menschenrechten in den besetzten Gebieten. Auch sie ist dabei nicht ausgewogen, sondern radikal subjektiv.

Umgang mit Nichtregierungsorganisationen wie Putin

Solche Organisationen sind ein Lackmuspapier für praktizierte Demokratie. Es wurde daher von vielen israelischen Liberalen Alarm geschlagen, als die israelische Rechtsregierung immer häufiger die Nichtregierungsorganisationen attackierte und sie nach dem Vorbild von Russlands Präsident Putin in die Nähe ausländischer Agenten rückte.

Es gibt auch erklärte Verteidiger der israelischen Regierung, die die israelische Linke als naiv beschreiben und daher froh sind, dass diese aktuell keine Machtoption hat. Doch auch sie setzen sich dafür ein, dass diese israelische Linke als kleine NGO ihre Arbeit machen kann, auch wenn sie, und das liegt in der Natur der Sache, der israelischen Regierung und dem Militär nicht passt.

Diese Nichtregierungsorganisationen sind eine Art Frühwarnsystem vor autoritären Tendenzen, vor denen keine Regierung und keine Herrschaft gefeit ist, schon gar nicht eine Herrschaft, die so vielen Herausforderungen ausgesetzt ist wie die israelische bürgerliche Demokratie aktuell.

Hier kommen wir zu einem Aspekt der israelischen Politik, der gerne übersehen wird, wenn mal wieder das Bild einer autoritären israelischen Regierung gezeichnet wird, der sich deutsche Politiker mit großem Mut entgegenstellen. Doch so groß der Respekt vor den israelischen NGOs ist, so misstrauisch sollten wir sein, wenn ausgerechnet der deutsche Außenminister als "Schutzherr" dieser NGO auftritt. Diese Instrumentalisierung haben sie nicht verdient.

Die israelische Gesellschaft ist komplizierter, als es Gruppen wie Breaking the Silence vermitteln. Bei all den islamistischen Anschlägen, mit denen die israelische Gesellschaft in den letzten Jahren immer wieder konfrontiert war - die Messerattentate sind die aktuellste Form -, hat die israelische Demokratie einen Großteil ihrer Grundsätze bewahrt. Das wurde gerade in der Zeit deutlich, als Mitglieder rassistischer Kleingruppen am Rande der Siedlerbewegung das Gesetz in die eigene Hand nehmen wollten und Terror gegen Palästinenser verbreiteten.

In dieser Situation gab es einen Aufschrei in der israelischen Gesellschaft, auch Politiker von israelischen Rechtsparteien verurteilten ganz eindeutig diese Ansätze einer rechten Bewegung und sorgten so dafür, dass sich rechter Terror in Israel nicht ausbreiten konnte. Bei aller berechtigten Kritik, die von israelischen NGOs geübt wird, darf genau diese weiterhin bestehende demokratische Erdung der israelischen Gesellschaft nicht vergessen werden.

So ist auch zu erklären, warum sich führende israelische Politiker nicht wie Vertreter eines Landes behandeln lassen wollen, das in Sachen Menschenrechte noch Nachholbedarf haben soll und unter ständiger Kontrolle steht. Gerade die ständigen Mahnungen und Warnungen von Organen der EU und der UN haben in Israel mittlerweile zu Gegenreaktionen geführt. Viele auch durchaus regierungskritische Israelis fragen sich, warum bei all den vielen Konflikten in aller Welt manche gerade immer in Israel den Weltfrieden und die Demokratie gefährdet sehen.

Israelis wollen keine Einmischung

Deshalb kann der israelische Premier Netanjahu durchaus auf Unterstützung in Israel bauen, wenn er Politiker wie Gabriel vor die Wahl stellt, sich entweder mit ihm oder mit den Nichtregierungsorganisationen zu treffen. In Israel ist die Vorstellung weit verbreitet, dass ausländische Politiker ins Land kommen, denen es vor allem darum geht, genau die in Israel minoritären Positionen bestimmter NGOs aufzuwerten.

Dabei hat Netanjahu schon vor einigen Monaten deutlich gemacht, dass er den Druck auf die Politiker verschärfen will, die sich weiterhin mit den NGOs treffen wollen. So sorgte im Februar ein Besuch des belgischen Ministerpräsidenten Charles Michel bei Breaking the Silence und B‘ tselem für große Verstimmung in der israelischen Regierung. Netanjahu stellte Michels Besuchsprogramm auch in den Kontext der israelkritischen Haltung der EU. Ein Gegenpol scheint aktuell die Nahost-Politik der Trump-Administration zu sein.