Spaniens Regierungspartei immer tiefer im Korruptionssumpf

Mit der Inhaftierung des ehemaligen PP-Chefs in Madrid kommt neben Korruption ein massiver Justizskandal ans Licht

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Die spanische Linkspartei Podemos ("Wir können es") will nun den Konservativen Mariano Rajoy angesichts der skandalösen Vorgänge über einen Misstrauensantrag stürzen. "Spanien erlebt einen demokratischen Ausnahmezustand", hat der der Podemos-Generalsekretär Pablo Iglesias erklärt. Er wirft angesichts immer neuer Korruptionsskandale und deren Ausweitung der rechten Volkspartei (PP) die "Plünderung der öffentlichen Kassen und ein parasitäres Verhalten in den Institutionen" vor.

Man habe sich mit anderen Parteien, wie den Sozialisten (PSOE), aber auch mit Gewerkschaften oder Vereinigungen wie die "Richter für die Demokratie" in Verbindung gesetzt, um den Rajoy aus dem Regierungsamt zu treiben.

Das Modell "Gürtel"

Der neueste Anlass ist nicht der laufende Prozess über die erste Phase im großen "Gürtel"-Korruptionsskandal“, in dessen Zentrum der Unternehmer Francisco Correa steht, in dem nun sogar der Regierungschef Rajoy aussagen muss. Correa heißt übersetzt auf Deutsch "Gürtel". Und unter diesem Decknamen wurden die Ermittlungen seit 1999 geführt, mit denen unter anderem die Schwarzgeldkassen der PP gut gefüllt wurden. Auch der ehemalige PP-Schatzmeister Luis Bárcenas hat längst eine illegale Parteienfinanzierung über zwei Jahrzehnte zugegeben.

Wie die Vorgänge in der Autonomen Region Madrid gezeigt haben, wurde das Gürtel-Modell auch in der Regionalregierung um die Hauptstadt bis in die Partei- und Regierungsspitze eingesetzt. Gegen deren Ex-Präsident Ignacio Gonzalez wurde kürzlich nicht nur ein Verfahren eingeleitet, sondern er wurde angesichts der erdrückenden Beweise auch sofort inhaftiert.

Er kommt nicht, wie andere in dem Korruptionsnetzwerk Beschuldigte, über eine Kaution frei. Denn er soll einer "kriminellen Organisation" angehören, meint der Ermittlungsrichter am Nationalen Gerichtshof Eloy Velasco. Gonzalez und Parteifreunde sollen nicht nur viel Geld in die Parteikassen geleitet haben, sondern sich über dubiose Geschäfte einer Firma, die der Region gehört und der Gonzalez auch vorstand, auch viel Geld auf eigene Konten in Steuerparadiese umgeleitet haben. Darunter auch Millionen, die für die Opfer des Erdbebens in Haiti gedacht waren.

Auch hier wurde das übliche System eingesetzt. Wie im Fall der Firmen von Correa, wurden auch vom Gonzalez-Netzwerk öffentliche Aufträge zu überhöhten Preisen an Firmen vergeben, die dann einen Teil der Mehrausgaben an die korrupten Auftraggeber und die PP zurückgeleitet haben.

Bauruinen - mit EU-Geldern finanziert

Beispielhaft ist das Vorgehen des OHL-Chefs López Madrid, den der Richter allerdings auf Kaution wieder freigelassen hat. Seine große Baufirma sollte die Strecke des Nahverkehrszugs von Madrid nach Navalcarnero zu einem überhöhten Preis bauen. OHL habe über ihre mexikanische Filiale auf das Schweizer Konto eines Strohmanns von González dafür 1,4 Millionen Euro überwiesen, um den Zuschlag zu erhalten.

Mindestens 165 Millionen Euro flossen in die Strecke, die 2013 eingeweiht werden sollte. Doch auch sie ist eine der vielen Bauruinen im Land, wie hunderte Kläranlagen, die mit EU-Geldern in Höhe von mindestens 700 Millionen Euro gefördert wurden. Auch mit Flugplätzen, auf denen niemals ein Flugzeug startet oder teure defizitäre Hochgeschwindigkeitsstrecken für Züge, die allesamt defizitär sind, lassen sich gute Geschäfte machen und Geld in dunkle Kanäle leiten. Das gilt auch für defizitäre Autobahnen, die nun ebenfalls dem Staat für viele Milliarden aufgelastet werden.

Schwarzgeldkassen

Das alles sind Skandale, an die sich viele Spanier schon gewohnt haben. Doch die Lage für die Rajoy-Regierung hat sich weiter verschärft, da sie nun zugeben musste, dass es bis in die Parteispitze bekannt war, dass Gonzalez über Schwarzgeldkassen – auch in der Schweiz - verfügte. Das musste Carlos Floriano inzwischen einräumen, der bis vor kurzem quasi die linke Hand von Rajoy war. Dazu hatte ihn praktisch der PP-Regionalabgeordnete Jesús Gómez gezwungen.

Der Politiker in der Region Madrid hatte öffentlich gemacht, dass er die dubiosen Vorgänge schon vor drei Jahren an verschiedene Personen der Parteispitze herangetragen hat. Dort habe man ihn und sein Verhalten allerdings als "Verrat" eingestuft. Und Floriano gab auch zu, dass er die Vorgänge nicht angezeigt hat und man lediglich Gonzalez nicht mehr als Kandidat für den Posten des Regionalpräsidenten aufgestellt hat.

Justizskandal

Allerdings wurde über die Vorgänge auch noch ein massiver Justizskandal aufgedeckt. Dass es mit der Gewaltenteilung in Spanien nicht sonderlich gut bestellt ist, ist mehr als bekannt. Viele Richter – bis ins massiv politisierte Verfassungsgericht – trauen sich meist nicht, der Regierung, auch in offensichtlich verfassungswidrigen Vorgängen, in die Paradezu fahren.

Ob es illegale Zwangsräumungen, Folter, willkürliche Strafverlängerungen oder missbräuchliche Klauseln in Hypothekenverträgen und Milliardenbetrug an Sparern geht, sind es stets der Europäische Gerichtshof oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, die einschreiten, weil Gerichte im Land die Augen verschließen.

Rebellion in der Staatsanwaltschaft

In den letzten Jahren hat sich dennoch zum Teil etwas verändert, wie der Fall des mutigen Richters Castro bewiesen hat, der sogar die Königstochter gegen alle Widersprüche auf die Anklagebank gebracht hat. Das hat einiges in Bewegung gesetzt, weshalb die massive Beeinflussung der Justiz nicht mehr reibungslos funktioniert. Das musste der neue Chef der Anti-Korruptionsstaatsanwaltschaft Manuel Moix gerade feststellen, als er versuchte, Hausdurchsuchungen im Rahmen der Ermittlungen gegen das korrupte Gonzalez-Netzwerk zu verhindern.

Es kam zur einer wohl nie dagewesenen Rebellion in der Staatsanwaltschaft, mit der Moix beim Versuch ausgebremst wurde, die Ermittlungen gegen Gonzalez zu behindern. Da er noch auf dem Posten ist, versuchte er gerade – allerdings ebenfalls erfolglos - den ermittelnden Staatsanwalt abzusägen.

Im Gürtel-Skandal ist das noch gelungen, denn der mutige Richter Pablo Ruz, der sogar die PP-Zentrale durchsuchen ließ, wurde vom Nationalen Gerichtshof an ein Regionalgericht verbannt.
Doch Moix sitzt längst auf einem Schleudersitz. Denn er ist ein Mann der PP, den Gonzalez auf dem Posten haben wollte, was er auch durchgesetzt hat, wie aus abgehörten Gesprächen klar wurde. Gegenüber dem PP-Führungsmitglied und früheren Arbeitsminister Eduardo Zaplana hatte der ehemalige Regionalpräsident Gonzalez geredet.

Was er dabei nicht wusste, war, dass die Ermittler sein Büro mit Mikrophonen bestückt hatten. Das war das Ergebnis dessen, dass er mehrfach aus Justizkreisen über die Ermittlungen informiert worden war. Vermutet wird, dass es der neue Chef der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft war, der hier Geheimnisverrat begangen hat.

Reden wie der Schnabel gewachsen ist

Deshalb benutzte Gonzalez bei seiner "Arbeit" auf Staatskosten nur noch verschlüsselte Telefone, die er zudem wie ein Schwerstkrimineller sehr oft wechselte, was die Staatskasse gut 100.000 Euro gekostet hat. Doch in seinem Büro redete er, wie ihm der Schnabel gewachsen war. "Wir haben die Regierung, das Justizministerium... und wenn da ein Richter ist, der keine feste Stelle hat... weg damit an den Arsch der Welt", beschrieb er genau das, was Ruz passiert ist.

Dies, so meint die Opposition, sei auch vom derzeitigen Justizminister Rafael Catalá unterstützt worden. Während Ermittlungen gegen Gonzalez auf Hochtouren liefen, schrieb Catalá seinem Kumpel persönlich eine unterstützende SMS und drückte seine Hoffnung aus, "die Affären bald zu beenden".

Viele in Spanien erinnerte das an die SMS, die Regierungschef Rajoy an seinen korrupten Schatzmeister Bárcenas schrieb, kurz bevor der in Untersuchungshaft musste. "Luis, die Sache ist nicht einfach, aber wir tun, was wir können. Kopf hoch". Tatsächlich hatte man über die Justiz schon zuvor dafür gesorgt, dass das erste Verfahren gegen den Mann mit Schwarzgeldmillionen auf Schweizer Konten eingestellt wurde.

Eine "Atombombe platzen lassen"

Er hatte immer von der PP und ihrer Führung gefordert, dass eine Inhaftierung verhindert werden müsse, sonst werde er die "Atombombe platzen lassen". Diese neue Korruptionsaffäre um Gonzalez erhält mit dem offen aufbrechenden Justizskandal immer neue Dimensionen. Sie macht es Rajoy immer schwerer, sich an der Macht zu halten. Er hat ohnehin keine eigene Mehrheit im Parlament mehr.

Seine rechtsliberalen Bündnispartner Ciudadanos (Bürger), die sich gerne als Antikorruptionspartei geben, gehen wieder auf Distanz. Sie fordern unter anderem den Rücktritt des Anti-Korruptionsstaatsanwalts, weil Moix seinen Posten wohl eher nutzt, um Korrupte wie Gonzalez zu schützen. Sie fordern auch den Rücktritt des Generalstaatsanwalts José Manuel Maza, weil er Moix ernannt hat und der letztlich für die skandalösen Vorgänge verantwortlich ist. Und zudem kommt auch der Justizminister immer stärker unter Druck.

Das Problem von Rajoy ist, dass er für seinen Haushalt 2017, der noch immer nicht steht, auch die Stimmen der Opposition braucht. Dazu sind, neben den Ciudadanos-Stimmen, auch die der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) und sogar die von mindestens einem Sozialisten nötig, damit er seinen Haushalt durchbringen kann. Deshalb ist der Vorstoß von Podemos alles andere als klug.

Denn eigentlich genügt es, die PNV oder die PSOE dazu zu bringen, Rajoy die Zustimmung zu verweigern. Damit wäre seine Regierung erneut nach nur wenigen Monaten am Ende und erneut müssten Neuwahlen angesetzt werden.

Es ist klar, dass es für Ciudadanos und die PSOE, die gegen alle Versprechen die Korruptionspartei PP mit ihrem Chef Rajoy erneut an die Regierung gebracht haben, es nun noch schwieriger ist, dessen Austeritätshaushalt auch noch angesichts dieser Skandale durchzuwinken. Die PSOE ist in der Frage ohnehin tief gespalten, weshalb es bei der Urwahl nun zum offenen Schlagabtausch kommt und die Partei längst vor der Zerreißprobe steht.