Eine Berichterstattung, die ausblendet und Nebelkerzen wirft

Hans-Jürgen Arlt im Interview über die blinden Flecken im Journalismus beim Thema Arbeit

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Über die Digitalisierung berichten Medien, "als seien alle Getriebene, als sei ein Wettlauf im Gang, dessen Beginn, dessen Verlauf und dessen Ziel niemand kennt, aber alle rennen so schnell sie können und werden in den Medien auch dazu aufgefordert zu rennen". Das sagt Hans-Jürgen Arlt im Interview mit Telepolis, der für die Otto-Brenner-Stiftung die Kurzstudie Die Zukunft der Arbeit als öffentliches Thema. Presseberichterstattung zwischen Mainstream und blinden Flecken ausgearbeitet hat.

Zusammen mit dem Journalisten Martin Kempe und dem Sozialwissenschaftler Sven Osterberg konzentriert sich Arlt auf die Berichterstattung großer Medien im Hinblick auf den gewaltigen Umbruch der Arbeitsgesellschaft, wie er derzeit zu beobachten ist. 360 Artikel der Jahrgänge 2014 und 2015 von Medien wie etwa dem Spiegel, der Zeit oder der Süddeutschen Zeitung, haben die drei Autoren analyisert.

Eines der Ergebnisse lautet: Medien berichten zwar facettenreich, wenn sie das Thema Arbeit aufgreifen, allerdings übernehmen Journalisten immer wieder stark die Perspektive der Wirtschaft, die sich vor allem an Proftimaximierung und Effizienz interessiert. "Nur ganz selten wird die Perspektive umgedreht, wird gefragt, wie die computergestützte Wirtschaft zu guter Arbeit, zu einer guten Gesellschaft, zu gutem Leben beitragen kann", sagt Arlt.

Im Interview geht Arlt, der als Honorarprofessor am Institut für Theorie und Praxis der Kommunikation an der Universität der Künste in Berlin tätig ist, auf die blinden Flecke der Berichterstattung beim Thema Arbeit näher ein und blickt mit einem kritischen Auge auf die weitere Entwicklung: "Wenn die Arbeit dem Selbstlauf der Wirtschaft überlassen wird, sind Krisen und Katastrophen vorprogrammiert."

Herr Arlt, Ihre Kurzstudie trägt den Titel: "Die Zukunft der Arbeit als öffentliches Thema". Wie sind Sie darauf gekommen, sich dieses Themas anzunehmen?

Hans-Jürgen Arlt: Arbeitstätigkeiten stehen in modernen Erwerbsgesellschaften weitgehend unter der Regie der Wirtschaft. Die Medien berichten deshalb normalerweise über Umsatz- und Gewinnzahlen, über Insolvenzen, Fusionen, feindliche Übernahmen und über das Finanzsystem. Die Arbeit taucht im Zusammenhang mit Tarifkonflikten und Arbeitslosenzahlen auf, sonst wenig. Das ist zur Zeit etwas anders. Der digitale Umbruch macht nicht nur die Kommunikation zu einem großen öffentlichen Thema, sondern auch die Arbeit. Es ist also eine günstige Zeit, um danach zu fragen, welche Geschichten über die Arbeit und ihre Zukunft öffentlich erzählt werden.

Wie gehen Medien denn mit diesem Thema um?

Hans-Jürgen Arlt: Der Arbeit wird zwar mehr Aufmerksamkeit geschenkt, aber die Wirtschaft bleibt das Maß aller Dinge.

Wie meinen Sie das?

Hans-Jürgen Arlt: Diskutiert wird in erster Linie, wie sich die übrige Gesellschaft, wie sich die Politik, die Bildung, die Arbeit, die Menschen verändern müssen, damit die deutsche Wirtschaft 4.0 erfolgreich voranschreiten kann. Nur ganz selten wird die Perspektive umgedreht, wird gefragt, wie die computergestützte Wirtschaft zu guter Arbeit, zu einer guten Gesellschaft, zu gutem Leben beitragen kann, wie etwa in dem Satz aus der taz: "Die digitale Revolution wartet noch auf ihre Humanisierung."

Die Berichterstattung nimmt also die Perspektive der Wirtschaft ein, aber die Probleme, die sich sich für den Mesnchen aus den Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt ergeben, werden nicht oder nicht genug berücksichtigt?

Hans-Jürgen Arlt: Es ist so: Die negativen Folgen einer auf Wirtschaftlichkeit getrimmten Digitalisierung für die Arbeit werden in der Berichterstattung ausführlich beschrieben. Die Entgrenzung der Arbeit, also wie sich die Möglichkeit, zu jeder Zeit und überall zu arbeiten, zum Druck aufbaut, es tatsächlich auch zu tun, jedenfalls mehr zu arbeiten. Wie, etwa im Fall der Plattformökonomie, die die sozialen Funktionen der Arbeit entwertet und entleert: Soziale Sicherheit, soziale Anerkennung, eine Chance auf Selbstverwirklichung sind mit einer solchen Häppchen-Beschäftigung nicht zu bekommen. Wie Konkurrenz und Kontrolle der Erwerbstätigen steigen. Man kann also keinesfalls sagen, dass die Medien hier eine heile Welt ausmalen und die Probleme verschweigen würden.

Gut, aber was ist dann Ihre Kritik?

Hans-Jürgen Arlt: Der interessante Punkt ist, dass über die negativen Folgen im Ton der Unabänderlichkeit mit einem schicksalhaften Gestus berichtet wird. Zugleich wird auf positive Aspekte hingewiesen, etwa bessere Möglichkeiten, seine Arbeit selbst zu organisieren, aber dabei ist stets klar, die positiven Aspekte sind Nebenfolgen, mehr Abfallprodukt als Absicht.

Also Licht und Schatten?

Hans-Jürgen Arlt: Ja, aber wie soll man das Verhältnis von Licht und Schatten beurteilen? Das hängt sehr von der Beobachtungsperspektive ab. Gemessen an dem, was sich in Wirtschaft und etablierter Politik als Mainstream des Digitalisierungs-Diskurses durchgesetzt hat, sagen wir von den Arbeitgeber-Verbänden bis zum Bundesarbeitsministerium, vermittelt die Presseberichterstattung ein plurales, keineswegs unkritisches Bild.

Denkt man aber an die großen Worte, die dabei fallen - unter epochaler Umbruch, technische Revolution, disruptive Entwicklung, eine neue Gesellschaft macht es kaum jemand -, dann wundert man sich doch, dass an die Zukunft der Arbeit fast nur alltägliche Fragen gestellt werden: Welche und wie viele Arbeitsplätze wegfallen, ob die Arbeit belastender oder leichter wird, ob die Arbeitskosten zu hoch oder zu niedrig sind. Wir haben als Untertitel für die Studie "Presseberichterstattung zwischen Mainstream und blinden Flecken" gewählt. Zu den blinden Flecken gehört, dass "neu" zwar das Eigenschaftswort ist, das in den Artikeln am häufigsten vorkommt, der Journalismus aber nichts Neues über die Arbeit zu sagen weiß.