Geschacher um Syrien und Sicherheitszonen im Westen

Hay'at Tahrir al-Sham (HTS), dominiert von al-Qaida, in Kämpfen bei Homs.

Das in Astana erzielte russisch-türkisch-iranische Abkommen ist mit heißer Nadel gestrickt, Türkei droht USA mit zufälliger Bombardierung von US-Bodentruppen in Syrien

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In der kasachischen Hauptstadt Astana haben Russland, die Türkei und Iran beschlossen, vier Sicherheitszonen in Syrien einzurichten. Da noch nicht erklärt wurde, wie diese Zonen geschützt werden sollen, und da Teile der syrischen Opposition den Iran ablehnen, bleibt zu erwarten, dass die Sicherheit dieser Zonen ebenso brüchig bleibt wie der Waffenstillstand. Das wird auch in Russland so gesehen. Bis 22. Mai sollen die Karten für die Schutzzonen fertiggestellt werden.

An den Verhandlungen nahmen die USA nur als Beobachter teil. Am Dienstag hatten allerdings Wladimir Putin und Donald Trump telefoniert und neben Nordkorea über die Sicherheitszonen gesprochen. Es sei ein gutes Gespräch gewesen, versicherte das Weiße Haus im Anschluss. Allerdings ist Trump wohl derzeit anderweitig beschäftigt, innenpolitisch mit der Abschaffung von Obamacare, außenpolitisch stärker mit Nordkorea und Afghanistan.

Die Sicherheitszonen sollen zunächst die territorialen Interessen der syrischen Regierung mit den schiitischen Milizen, Russlands und der Türkei im Westen des Landes festlegen, wobei zur Türkei auch (islamistische) Rebellengruppen gehören. Interessant wird sein, ob sich die "Schutzmächte" darauf einigen können, welche islamistischen Gruppen weiter bekämpft werden sollen. Daran war bereits der von Russland und den USA eingeleitete Waffenstillstand gescheitert. Mit der Türkei kooperierende Gruppen wie Ahrar al-Sham, Jaish al-Islam oder die Al-Rahman Legion haben erklärt, dass sie zwar unter dem Schutz der Türkei den Waffenstillstand einhalten wollen, aber eine Zusammenarbeit mit der syrischen Regierung und Iran ablehnen. Die islamistischen Gruppen werden auch von Saudi-Arabien und Golfstaaten unterstützt und haben immer wieder auch mit al-Qaida koaliert.

"Ganz plötzlich und zufällig könnten sie einige Bomben treffen"

Auffällig ist auch, dass von der türkischen Regierung schon länger die USA gewarnt wurden, sich aus den Gebieten entlang der syrisch-kurdischen Grenze zurückzuziehen, die von türkischen Flugzeugen bombardiert und mit Artillerie beschossen wurden, um die syrischen Kurden bzw. die YPG- oder SDF-Verbände zurückzudrängen. Die US-Regierung hatte sich harsch beschwert, weil die Türkei nur kurz vor den Angriffen diese mitgeteilt hatte und US-Truppen am Boden in der Nähe waren.

Am Donnerstag äußerte Ilnur Cevik, einer der Berater von Präsident Erdogan, eine ziemlich unverblümte Drohung. US-Soldaten könnten getroffen werden, sagte er, wenn sie weiterhin an der Grenze mit den syrischen Kurden kooperieren. Man werde nicht mehr bedenken, dass gepanzerte US-Fahrzeuge dort sind: "Ganz plötzlich und zufällig könnten sie einige Bomben treffen."

Schon in Manbidsch hatten US-Truppen den weiteren Vormarsch der türkischen Truppen verhindert. Seit einer Woche fahren US-Soldaten an der Grenze Patrouille, um einen Einmarsch türkischer Truppen zu verhindern und die SDF-Verbände zu schützen, die US-Truppen bei der Offensive auf Raqqa unterstützen. Jetzt wurde nach dem Damm auch die Stadt Tabqa westlich von Raqqa fast vollständig eingenommen, um die Zange um Raqqa weiter zu schließen. Die Türkei möchte verhindern, dass die syrischen Kurden Raqqa einnehmen, weil damit der Einflussbereich der Kurden vergrößert würde. Stattdessen drängt die Türkei die USA, die Offensive mit türkischen Truppen zu führen und die SDF außen vor zu lassen. Der Konflikt schwelt. In zwei Wochen ist eine Reise von Erdogan zu Donald Trump geplant. Vermutlich will man in der Türkei die Situation davor festzurren.

Eingerichtet werden sollen die Zonen in der Provinz Idlib, nördlich von Homs, in Ost-Ghouta bei Damaskus und in Südsyrien bei Daraa, wo allerdings Dschabhat Fatah asch-Scham großen Einfluss hat. Erdogan sprach von einer Region in Idlib, von einem Teil von Aleppo, von der Region al-Rastan in Homs und ländlichen Gebieten in Homs, Damaskus, Daraa und Quneitra.

In den Zonen, aus denen heraus das Land stabilisiert werden soll und die auch Deeskalationszonen genannt werden, soll ein Waffenstillstand herrschen, dann würden keine Luftangriffe mehr dort geflogen werden. Humanitärer Hilfe soll ungehinderter Zugang verschafft, überdies soll mit dem Wiederaufbau begonnen werden. Die syrische Armee und die bewaffneten Gruppen, die sich der Vereinbarung angeschlossen haben, sollen Kontroll- und Beobachtungsposten besetzen dürfen. Die bewaffneten Gruppen sollen durch Pufferzonen getrennt werden.

Russland und die Türkei verbinden vornehmlich wirtschaftliche Interessen - und eine Pipeline

Auch wenn sich Putin und Erdogan im Vorfeld der Gespräche in Sotschi über die Sicherheitszonen geeinigt haben, wurde der Konflikt über die Syrienpolitik erst einmal nur überdeckt. Denn auch die Russen unterstützen die syrischen Kurden. Wie die türkische Nachrichtenagentur schreibt, hat Russland die Truppenpräsenz in der Kurdenenklave Afrin verstärkt, die türkische Artillerie immer mal wieder beschießt. Russland will verhindern, dass die Türkei das Gebiet kontrolliert und patrouilliert wie die Amerikaner gemeinsam mit SDF-Verbänden die Grenzen. Dabei geht es auch um die Kontrolle von Aleppo durch die syrische Armee.

Bild: Gazprom

Die russisch-türkische Zwangsgemeinschaft dient nicht nur dem Versuch, in Syrien voranzukommen, sondern vor allem auch, die wirtschaftlichen Beziehungen zu verstärken. Man habe wieder den Zustand der Normalisierung erreicht, sagte Putin am Mittwoch. Im Tourismus und im Handel habe man alle Barrieren wieder aufgelöst, die nach dem Abschuss der russischen Maschine durch ein türkisches Flugzeug seitens Russland verhängt wurden, strittig scheinen nur noch Tomaten zu sein. Vermutlich reicht für die Türkei und Russland die vorläufige Sicherung der eigenen Interessen in Syrien aus, während die wirtschaftlichen Beziehungen für beide Staaten wichtiger sein dürften.

Schnell ist man denn auch dabei, ein schon lange von Russland verfolgtes Projekt weiterzutreiben. Gazprom kündigte gestern an, alles vorbereitet zu haben, um in wenigen Tagen mit der Verlegung der Erdgas-Pipeline Turkstream von der sudrussischen Staat Anapa durch das Schwarze Meer zur Türkei zu beginnen. Turkstream soll die Pipeline South Stream von Anapa nach Bulgarien ersetzen, die 2014 von der EU wegen des Ukraine-Konflikt ad acta gelegt wurde. Damit soll nicht nur die Türkei mit Erdgas versorgt werden, sie soll auch über Griechenland Gas in EU- und Balkan-Länder liefern. Damit würde der Versuch der USA unterlaufen, die Abhängigkeit der EU von russischer Energie so weit wie möglich zu lösen. Schon jetzt sollen die Lieferungen an den europäischen Markt in diesem Jahr um 17 Prozent gestiegen sein.