Fakten und Fake News

Modernisierungsprozesse in den Medien

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Ende des 19. Jahrhunderts veränderte der Siegeszug der Telegraphie die Informationsübermittlung gravierend. Erstmals, so schreibt Neil Postman 1985 in seinem Buch "Wir amüsieren uns zu Tode", wurde die "Idee der kontextlosen Information" marktfähig. Einst regional gebundene Informationen waren nun weitgehend zeitgleich überall nutzbar, aus "funktionalen Informationen" wurden "dekontextualisierte Fakten". Nach und nach strahlte das telegrafische Modell auf die Presse aus, dann auf das Radio und die anderen elektronischen Medien. "Zusammenhanglosigkeit", so Postman, "erhielt Eingang in den Diskurs".

Fakten Fakten Fakten

In den 1990er Jahren gewannen diese dekontextualisierten Fakten auch im bundesdeutschen Mediensystem an Bedeutung. Am Anfang dieser Modernisierung stand die Neugründung des Magazins "Focus" (1993). Der Slogan "Fakten Fakten Fakten" und das aufgelockerte Erscheinungsbild machten den Kulturwechsel sehr deutlich - und die anderen Medien zogen rasch nach. (Farb)Fotos, Zahlen, Grafiken, Statistiken, Tabellen, Kästchen, Kurzstatements, Formen also, die in Zeitungen und Fernsehen bisher ein Randdasein geführt hatten, wurden stilbildend. Ein neuer, auf "Fakten", d.h. detextualisierte Informationen setzender Journalismus entstand.

Screenshots von ZDF heute vom 27. April und vom 16. April 2017.

Inzwischen beeinflussen diese modernen, zusammenhanglosen "Fakten" alle Medien und ihre Produkte. Von den Quizshows des Unterhaltungs- und Bildungsfernsehens über die Nachrichten und ihre grafische Aufbereitung bis zu den - ob Print, Radio, TV oder Online - jüngsten Nachrichtenformaten (Silent News) oder den 140-Zeichen-Tweets der Social Media. Nicht zufällig lässt sich diese Kurzform problemlos in die traditionellen Massenmedien integrieren und dort wiederaufbereiten.

Fakten (und Fake) bei "Der Quiz-Champion" (ZDF, 29. April 2017). Twitter im "heute journal" (ZDF, 3. Dezember 2016). Screenshots: Krug

Die Realität der Massenmedien besteht heute aus dekontextualisierten Fakten, und die Aufgabe der Programmmacher besteht darin, sie immer wieder neu und aufmerksamkeitsökonomisch zu ordnen. Etwa nach dem Rudi-Prinzip: relevant, unvollständig, direkt, interessant.

"Fakten" bilden die DNA des modernen Journalismus, der modernen Medien. Sie sind für die zunehmend transmedialen Mediensysteme eine Notwendigkeit, weil sie in alle Systeme (Presse, Radio, Fernsehen, Internet, Social Media) einspeicherbar sind. Im Datenjournalismus scheinen Daten und Fakten schon weitgehend synonym benutzt zu werden. Sie sind der neue Rohstoff für neue Daten-Zusammenhänge und Geschichten.

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