Schweizerischer Steuerspionagefall wird mysteriöser

Das Finanzamt Wuppertal-Barmen liegt in keiner sehr vertrauenserweckenden Gegend. Foto: Atamari. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Am Tag der Festnahme des mutmaßlichen Agenten soll vor dem Finanzamt Wuppertal-Barmen eine Akte mit Informationen zum Datenankauf aus einem Kofferraum gestohlen worden sein

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am 28. April nahm die deutsche Bundesanwalt in Frankfurt am Main den 54-jährigen schweizerischen Staatsangehörigen Daniel M. wegen des dringenden Verdachts einer fremden geheimdienstlichen Agententätigkeit nach § 99 Absatz 1 Nummer 1 des deutschen Strafgesetzbuchs (StGB) fest. M.s Rechtsanwalt zufolge sollte sein Mandant im Auftrag des schweizerischen Nachrichtendienst des Bundes (NDB) vor Ort herausfinden, "welche [deutschen] Steuerfahnder […] Steuer-CDs [mit Daten von Kunden Schweizer Banken] kauften und wie diese Käufe genau abliefen" (vgl. Der Spion, der aus den Bergen kam).

Hintergrund des Auftrags waren Datensätze, die die Finanzbehörden von Nordrhein-Westfalen und anderen deutschen Bundesländern seit Januar 2006 von Informanten kauften, um deutsche Steuerhinterzieher, die in der Schweiz Kapitalerträge erwirtschaftet hatten, ausfindig zu machen, zu bestrafen, und hinterzogene Steuern nachzufordern. Die früher teilweise bei Banken tätigen Informanten hatten die Datensätze (mit denen sie Millionen verdienten) nach schweizerischem und liechtensteinischem Recht illegal kopiert. Schweizer Staatsanwälte erließen deshalb vor sieben Jahren Haftbefehle gegen Peter Beckhoff, den damaligen Chef der Wuppertaler Steuerfahndung, und zwei weitere Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen.

Kofferraum- statt Fahrer- oder Beifahrertür

Nun hat das Düsseldorfer Finanzministerium bestätigt, dass just am Tag dieser Festnahme dienstliche Dokumente aus dem aufgebrochenen Kofferraum eines vor dem Finanzamt Wuppertal-Barmen abgestellten Ford Focus gestohlen wurde. Nicht Stellung nehmen will das Finanzministerium dazu, ob es sich dabei, wie die Tageszeitung Die Welt berichtet, um "Notizen zu Steuerermittlungen mit Bezug zur Schweiz und zum Ankauf mindestens einer Steuer-CD aus der Schweiz" handelt, die Düsseldorfer Steuerfahnder während ihrer Dienstbesprechung in Wuppertal im Auto gelassen hatten.

Nun ist ein Autoaufbruch - gerade in Bundesländern mit hoher Kriminalitätsrate - nichts Ungewöhnliches. Merkwürdig ist jedoch, dass den Informationen der Welt nach nicht (wie bei solchen Delikten üblich) die Fahrertür, sondern der Kofferraum aufgebrochen wurde - und dass der Dieb oder die Diebe Akten mitnahmen, die keine Wertsachen im engeren Sinne sind, auf die ein durchschnittlicher Hehler wartet. Ebenfalls merkwürdig ist, dass der Düsseldorfer Steuerfahnder, dem die Akten gestohlen wurden, bei der Meldung des Autoaufbruchs bei der Polizei seinen Beruf nicht nannte und "verschwieg, welche sensiblen Daten offenbar geklaut worden waren". Davon erfuhr die Kölner Staatsanwaltschaft, die sich inzwischen um den Fall kümmert, erst später.

"Quelle" in der Finanzverwaltung

Die Süddeutsche Zeitung, der NDR und der WDR wollen währenddessen erfahren haben, dass es dem wegen Fluchtgefahr inhaftierten M. mit Hilfe eines deutschen Privatdetektivs gelungen war, für bis zu 40.000 Euro "Motivationszahlung" Informationen von einer noch nicht namentlich bekannten "Quelle" in der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung bekommen zu haben. Den Berichten nach hat die deutsche Bundesanwaltschaft inzwischen auch Informationen aus Akten der Staatsanwaltschaft Bern erhalten, die 2015 gegen M. ermittelte. Aus diesen Akten soll hervorgehen, dass der Ex-Polizist als NDB-Agent in Deutschland tätig war. Damals hatte er einem ehemaligen Agenten des deutschen Bundesnachrichtendienstes Steuerdaten angeboten, die sich später als gefälscht herausstellten. Möglicherweise wollte der Spion mit diesem Lockangebot die Methoden potenzieller Käufer erforschen.

Zurückhaltende Schweizer, polternde Deutsche

Nachdem das deutsche Auswärtige Amt in Berlin die schweizerische Botschafterin Christine Schraner Burgener wegen des Falls zum Gespräch bat, äußern sich inzwischen vermehrt schweizerische und deutsche Politiker und Diplomaten dazu. Die schweizerischen (wie Ex-Botschafter Tim Guldimann, der meint, es sei "nicht legitim", wenn der NDB in Deutschland das dortige Recht bräche) eher zurückhaltend - die deutschen (wie Justizminister Heiko Maas, der den Schweizern Ratschläge gibt, worum sie sich kümmern sollen) eher polternd und den Wahlkampf in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Auge. Peer Steinbrücks Drohung mit der "Kavallerie" hat bislang allerdings noch niemand wiederholt - dafür war der vom damaligen deutschen Finanzminister angerichtete diplomatische Schaden wahrscheinlich doch zu groß (vgl. Der Trinkgeldbesteuerer).

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.