Syrische Kurden verlangen von den USA Korridor zum Mittelmeer

SDF bei der Einnahme von Tabqa. Bild: SDF

Das Pentagon hält an den syrischen Kurden (bzw. den SDF) als Bodentruppen fest und rüstet sie für die Raqqa-Offensive auf - die Kurden pokern mit hohem Einsatz

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Seit dem Beginn der Offensive auf Raqqa ist die Zusammenarbeit amerikanischer Truppen mit vorwiegend kurdischen SDF-Verbänden nicht nur stärker geworden, sondern sie wurde auch deutlicher demonstriert. Das Pentagon - und damit auch das Weiße Haus - setzt weiterhin auf die syrischen Kurden als Bodentruppen, um in Syrien einen Erfolg gegen den Islamischen Staat zu erzielen. Im Irak kämpfen zwar auch US-Bodentruppen mit den irakischen Streitkräften, aber die bestehen zu einem wichtigen Teil aus schiitischen Milizen, die mittlerweile offiziell ins Militär eingegliedert wurden, während aus Bagdad immer wieder der Ruf ertönt, dass die US-Soldaten das Land nach der Einnahme von Mosul verlassen sollen.

Dagegen scheinen die USA sich stärker und langfristig in dem von den Kurden kontrollierten Teil Syrien positionieren zu wollen, obgleich dies immer wieder zu Konflikten mit der Türkei führt. Aus der Türkei wurde schon gedroht, dass schon auch einmal zufällig Bomben auf US-Soldaten fallen können, die SDF-Verbände begleiten. US-Soldaten patrouillieren in gepanzerten Fahrzeugen an der syrisch-türkischen Grenze, um die Türkei von einer Invasion abzuschrecken, die aber schon mit Luftangriffen auf kurdische Ziele nicht nur in Afrin, wo die Russen die Schutzmacht darstellen, sondern auch in Royava begonnen hat.

Das US-Militär hat inzwischen Flugplätze in Rojava, einen in der Nähe von Kobane, ausgebaut und hat auch mit Kampfhubschraubern SDF-Verbände nach Tabqa im Westen von Raqqa gebracht, die mittlerweile mit US-Unterstützung den Damm und offenbar auch die Stadt vom IS zurückerobert haben. Seit Beginn der Offensive hat das US-Militär die SDF-Verbände auch mit hochwertigen Waffen und Ausrüstung ausgestattet. Ein deutliches Zeichen des Vertrauens in die SDF, die sich im Oktober 2015 schließlich unter der Führung von Washington aus YPG-Verbänden und einigen bewaffneten arabischen Gruppen gegründet haben, um auch gegenüber der Türkei als multiethnische Truppe aufzutreten (Proxy-Krieg in Syrien).

Die SDF verbreiten Bilder, auf denen angeblich die Bewohner von Tabqa sich über die Ankunft der SDF-Kämpfer und die Vertreibung des IS freuen. Bild: SDF

Laut Military Times haben SDF-Kämpfer Nachtsichtbrillen, Helme, Schusswesten, Schutzkleidung, M4-Gewehre, Infrarotlaser und hochwertige Visiere - darunter holografische Visiere, die auch von US-Spezialeinheiten verwendet werden. Die Frage nach der Ausstattung mit Waffen und Munition war schon vor der Bildung der SDF nach der Rückeroberung von Kobane aufgekommen. Damals hieß es, die USA hätten Waffen an Kurden in Kobane abgeworfen. Später hieß es, arabische Stämme hätten sie bekommen (Wer hat die vom Pentagon abgeworfenen 50 Tonnen Munition erhalten?). Die SDF bestehen vorwiegend aus kurdischen Kämpferinnen und Kämpfern der YPG und YPJ. Es haben sich aber Araber, Turkmenen und Christen angeschlossen.

Das Pentagon hat jedenfalls seitdem Waffenlieferungen an die SDF nicht eingeräumt, offiziell werden nur die nordirakischen Peschmerga mit Waffen unterstützt, u.a. von Deutschland. Military Times vermutet, dass das Pentagon die Ausrüstung nicht direkt geliefert hat, es könnte etwa über den Umweg der CIA geschehen sein. Erhalten hat die Ausrüstung die geheime Eliteeinheit der SDF, die Yekineyen Anti-terror (YAT)-Einheit. Nachsichtgeräte dürfen eigentlich nur an Staaten geliefert werden, nicht an Milizen. So hat das Antiterrorkommando der irakischen Streitkräfte oder eine Spezialeinheit der Peschmerga solche Ausrüstung erhalten. Das Spezialeinheitenkommando (JSOC) räumt nur ein, optische Visiere oder Infrarotlaser an einige andere Milizen weiter gegeben zu haben.

Demonstrativ machen die syrischen Kurden mit Kämpferinnen wie hier angeblich in Tabqa Propganda. Bild: SDF

Nach dem IS geht es um territoriale Kontrolle

Die Niederlage des IS als Territorialmacht ist in Syrien und im Irak absehbar, auch wenn die Anhänger aus dem Untergrund weiter Angriffe ausführen werden. Zunehmend geht es darum, wer das Territorium sichern kann, so dass sich andere islamistische Gruppen wie al-Qaida nicht in das vom IS hinterlassene Vakuum ausbreiten können. Russland, Iran und die Türkei haben mit der Assad-Regierung Sicherheitszonen beschlossen, um aus diesen gewünschten Zentren der Stabilität nach und nach das Land zu sichern.

Die Amerikaner setzen offensichtlich auf die Kurden, die seit Jahren gezeigt haben, dass sie entschlossen gegen den IS vorgehen und ihr Gebiet sichern können. Zudem versuchen die syrischen Kurden, ein semi-autonomes förderal-demokratisches, multiethnisches und multikulturelles System auf der Grundlage der Gleichberechtigung von Mann und Frau aufzubauen, womit sie wirklich eine Alternative wären.

Nach Berichten verlangen die Kurden von den USA im Gegenzug für die Offensive auf Raqqa, dass ihr Gebiet ausgeweitet wird und ein Handelskorridor vom Mittelmeer in die kontrollierten Gebiete eingerichtet wird. Bis nach Afrin könnte dies durch vom syrischen Regime kontrollierte Gebiete geschehen, was noch prinzipiell denkbar erscheint, da Damaskus und die Kurden sich gegenseitig geduldet haben und Russland auch mit den Kurden kooperiert. Aber ein Korridor von Afrin nach Rojava dürfte kaum machbar sein.

Nach der Einnahme von Raqqa besteht die Absicht bei den SDF, nach Deir Ezzor vorzurücken, wo syrische Streitkräfte noch eine vom IS umgebene Enklave halten. Überdies könnten die SDF versuchen, auch weiter nach Idlib vorzurücken und dort neben der dort mächtigen al-Nusra-Front auch die von der Türkei und Saudi-Arabien unterstützten "Rebellen" zu vertreiben, die mitunter mit al-Qaida kooperieren. Mit Raqqa, Deir-Ezzor und Idlib würden die Kurden aber Gebiete vereinnahmen, die vorwiegend von Arabern bewohnt sind.

Alle diese Bestrebungen, inklusive der Eroberung von Raqqa, das dann unter kurdische Kontrolle käme, würde auf heftigen Widerstand seitens der Türkei stoßen. Letztes Jahr waren türkischen Truppen vor allem deswegen nach Syrien eingerückt, um zu verhindern, dass die Kurden von Manbij weiter nach al-Bab vorrücken und so mit der Kontrolle des Korridors zwischen Rojava und Afrin ein zusammenhängendes Gebiet erhalten. Den Islamischen Staat hatte die Türkei hingegen lange Zeit aus diesem Grund an der Grenze geduldet.

Allerdings sind weder Russland noch die USA daran interessiert, dass Syrien faktisch zerfällt. Langfristig werden die Kurden wohl keine guten Chancen haben, zumal es schwere Konflikte zwischen den syrischen und nordirakischen Kurden gibt. Dort strebt die Regierung ein Referendum an, dessen Ausgang, sofern es tatsächlich stattfinden wird, für alle Kurden und die Länder, in denen sie leben, zu einem Erdbeben führen könnte.