USA: Landkreise mit einer Lebenserwartung wie im Sudan

Bild: Karen Beate Nøsterud/CC BY 2.5 dk

Nach einer Studie nimmt in den USA nicht nur die Einkommensungleichheit zu, sondern auch der Unterschied in der Lebenswartung

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Wenn es größere Einkommensunterschiede innerhalb einer Gesellschaft gibt, kann dies verkraftet werden, solange die Schere zwischen den Superreichen und den Armen nicht zu weit auseinander geht und die Menschen am unteren Ende der Einkommensverteilung nicht abgehängt werden und in Armut versinken. Kaum erträglich scheint es aber, wenn dazu noch die Lebenserwartung nicht nur um Jahre, sondern sogar um Jahrzehnte auseinanderdriftet. Das ist so zwischen Ländern, aber auch innerhalb von Ländern. Wer Pech hat und in die falsche Schicht am falschen Ort geboren wurde, kann auch in den reichen Industriestaaten damit rechnen, mitunter 20 Jahre kürzer zu leben als jemand, der in einem reichen Haushalt aufwächst (Die reichsten Engländer können 19 Jahre länger gesund leben als die ärmsten). In Deutschland kann der Unterschied bis zu 10 Jahren betragen, die jemand kürzer bzw. länger lebt (Selber schuld: Arm, kränker und früher Tod ).

In den USA, wo durch die neue Regierung die Gesundheitsversorgung für Millionen Menschen wahrscheinlich wieder schlechter wird, zeichnet sich womöglich ab, dass der seit Jahrzehnten beobachtete kontinuierliche Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung an sein Ende kommt. So hatte letztes Jahr das National Center for Health Statistics (NCHS) berichtet, dass die Lebenserwartung 2015 erstmals seit 1993 gesunken sei. Dabei handelt es sich nur um einen geringen Rückgang, der aber offenbar vor allem Menschen unter 65 Jahre betrifft (Ende beim Fortschritt der Lebvenserwartung?). Was hingegen weiter zunimmt, ist die Schere zwischen denjenigen, die Aussicht auf ein längeres Leben haben, und denen, die mit einem kürzeren rechnen müssen. Da spielt die ethnische Herkunft eine Rolle, das Einkommen und die Bildung.

Eine neue Untersuchung macht deutlich, dass der Trend sehr unterschiedlich verläuft. In weiten Teilen der USA steigt die Lebenserwartung weiter, in anderen sinkt sie hingegen. Das betrifft zwar nur 13 Landkreise, davon sind 8 in Kentucky. Die Autoren der in der Zeitschrift JAMA Internal Medicine veröffentlichten Studie vom Institute for Health Metrics and Evaluation an der University of Washington und der niederländischen Erasmus-Universität haben zur Abschätzung der Lebenserwartung in den Landkreisen der USA zwischen 1908 und 2014 und deren Beeinflussung durch geografische, sozioökonomische und ethnische Faktoren Statistiken über Todesfälle und demographische Entwicklungen ausgewertet.

Herausstechend natürlich das wahrscheinlich wichtigste Ergebnis: 2014 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen und Männer 79,1 Jahre, aber es gibt einen Unterschied von 20,1 Jahre für Landkreise mit der niedrigsten und mit der höchsten Lebenserwartung. Diese "geografische Ungleichheit" ist im Zeitrahmen der Untersuchung angestiegen. Im Owsley County, Kentucky, ist beispielsweise die Lebenserwartung eines frisch geborenen Kindes von 72,4 Jahre im Jahr 1980 auf jetzt 70,2 Jahre gesunken. Im Hinblick auf das Todesrisiko nahm die geografische Ungleichheit zwar für Kinder und Heranwachsende ab, aber sie stieg bei den älteren Erwachsenen an. Schon bei den 25-40-Jährigen nahm das Todesrisiko um 12 Prozent zu. Mehr als 70 Prozent der Unterschiede in der Lebenserwartung lassen sich durch sozioökonomische und ethnische Faktoren erklären, wobei hier Verhalten und Ernährung eine entscheidende Rolle spielen.

Die Landkreise in Kentucky, in denen die Lebenserwartung zurückging, liegen beim Einkommen am unteren Ende. Hier leben die Abgehängten, für die sich Trump angeblich einsetzen will, der Bundesstaat litt darunter, dass Kohlebergwerke schlossen und der Tabakanbau zurückging, beides im Übrigen Branchen, die auch nicht gerade lebensfördern sind. Einige der Landkreise werden von Indianern bewohnt. So beträgt die Lebenserwartung im Oglala Lakota County in South Dakota, wo das Indianerreservat Pine Ridge liegt, gerade einmal 66,8 Jahre. Das ist die kürzeste Lebenserwartung in den USA und vergleichbar mit dem Sudan oder Irak. Dabei sind die Gesundheitskosten in den USA höher als in allen anderen Ländern. Die drei Counties, in denen die Menschen am längsten leben, befinden sich allesamt in Colorado und werden von Reichen bewohnt, die durchschnittlich 86 Jahre alt werden, die also 6 Jahre länger als der Durchschnitt leben.

Unterschied in der Lebenserwartung wird sich weiter vergrößern

Streiten wird man sich darüber, ob die Lebenserwartung vor allem auf das Einkommen zurückgeht, also auch mit Armut, Arbeitslosigkeit und geringer Bildung zu tun hat, oder ob bekannte Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes, Fettleibigkeit oder zu wenig körperliche Bewegung entscheidend sind, die sich im Prinzip vom Einzelnen verändern ließen. Träfe letzteres zu, wären die Reichen fein raus, die ja auch gerne entgegen wissenschaftlichen Erkenntnissen ihren Reichtum weniger auf Glück und Geburt, denn auf die eigene Leistung zurückführen. So wäre auch jeder für sein kurzes oder langes Leben selbst verantwortlich. Da beides aber zusammenhängt, Armut eben auch die Lebensweise prägt, bedingen sich beide Faktoren. Dazu kommt der Zugang zur Gesundheitsversorgung, den die Trump-Regierung gerade wieder abbaut.

Nach Christopher Murray, dem Leiter des Institute for Health Metrics and Evaluation, ist der Unterschied in den USA enorm und gleich dem zwischen Entwicklungsländern und reichen Industrieländern, beispielsweise zwischen Indien und Japan. Er geht auch davon aus, dass sich der Unterschied in der Lebenserwartung in den nächsten Jahren weiter vergrößern wird, wie dies in den letzten 30 Jahren auch geschehen ist. Das nennt er auch den "alarmierendsten" Teil der Studie.

Während die Lebenserwartung in vielen Landkreisen im Süden stagniert, sinkt sie in einigen und steigt wie die Einkommensverteilung in anderen, in Colorado, Texas und an der West- und Ostküste. "Die Ergebnisse", sagt Ali Mokdad, Mitautor der Studie, "zeigen den dringenden Imperativ, dass politische Veränderungen auf allen Ebenen ganz wichtig sind, um die Ungleichheit bei der Gesundheit der Amerikaner zu reduzieren." Ein Paradox ist, warum die "Abgehängten" glauben, dass gerade ein Milliardär, der sein Vermögen geerbt hat und vermutlich auch länger lebt als viele seiner Wähler, als ihr Retter auftreten wird.