Ukraine: Wer tötete den Journalisten Pawel Scheremet?

Pawel Scheremet wurde durch eine Autobombe getötet. Screenshot aus dem YouTube-Video Killing Pavel

In Kiew wird auf Moskau gezeigt, eine Gruppe ukrainischer Journalisten weist auf Mängel der Polizeiarbeit und eine mögliche Verwicklung des SBU hin

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"Die meisten Beweise legen nahe, dass es eine russische Spur gibt", so der stellvertretende Innenminister der Ukraine, Wadim Trojan, auf einer Pressekonferenz in der Nacht auf Mittwoch zur Ermordung von Pawel Scheremet. Kritiker sehen darin jedoch eine Flucht der ukrainischen Regierung nach vorn.

Scheremet, der für die relativ unabhängige Internetzeitung "Ukrajnska Pravda" schrieb, wurde am 20. Juli vergangenen Jahres mit einer Autobombe in Kiew getötet, als er auf dem Weg zu seiner Radio-Redaktion war (Ukraine: Anschlag auf Journalisten mit "hoher demonstrativer Wirkung", Schuldzuweisungen gegen Moskau nach Journalisten-Mord in Kiew).

Der 1971 in Minsk geborene Journalist war russischer Staatsbürger und Kreml-Gegner wie auch als Kritiker der Korruption unter der Regentschaft des ukrainischen Staatspräsidenten Petro Poroschenko bekannt. Der stellvertretende Innenminister wies auch auf Weißrussland als möglichen Täterhintergrund, da Scheremet in seinem Heimatland schon wegen seines Investigativjournalismus inhaftiert gewesen war. Doch bislang kam die Aufklärung nicht voran, zwar wurde auf Videokameras festgehalten, wie ein Mann und eine Frau die Bombe in der Nacht installierten, doch deren Identität galt offiziell als unbekannt.

Darum nahm eine Gruppe ukrainischer Journalisten des Internet-Senders "hromadske.tv" und des Investigativ-Netzwerks "slidztov.info" die Recherchen selbst in die Hand und zeigten , dass die Polizei wichtige Zeugen nicht befragt sowie Videomaterial nicht ausgewertet hat, obwohl der Fall vom Staatspräsidenten als Priorität eingestuft und eine extra Ermittlungsgruppe eingerichtet wurde.

Die Journalisten fanden zum einen heraus, dass sich Scheremet am Abend vor dem Mord mit Mitgliedern des nationalistischen Asow-Regiments getroffen habe. Diese ließen sich interviewen und verwiesen auf eine Person in einem Skoda. Durch Auswertung der Überwachungskamera fanden sie mit Igor Andrejewitsch Ustimenko einen Verdächtigen, der sich vor dem Mord in der Nähe des Autos aufgehalten habe und der der Mann sein soll, der die Bombe installiert hat - und für den ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU arbeiten würde. Dies ging aus Video-Aufnahmen hervor. Den Journalisten gelang es sogar, Ustimeko zu kontaktieren, der bestätigte, sich in der Nähe von Scheremets Haus aufgehalten zu haben, brach später jedoch den Kontakt ab, was in der vergangenen Woche publiziert wurde.

Die mutmaßlichen Täter, aufgenommen von einer Überwachungskamera. Screenshot aus dem YouTube-Video Killing Pavel

Auch die SBU ist mir der Aufklärung des Falles betraut und soll zudem die "Ukrainskaja Prawda" überwacht haben. Den Journalisten gelang es zudem mit der Chefin der ukrainischen Polizei, der Georgierin Khatia Dekanoidze, zu sprechen. Diese kompromittierte sich mehrfach durch Nichtwissen und wurde im November vergangenen Jahres entlassen. Andere Offizielle verweigerten den Reportern einen Interviewtermin. Doch nach der Veröffentlichung des Films und einem tagelangen Schweigen, müssen sich die ukrainischen Behörden nun in Schadensbegrenzungen üben.

Wassyl Hryzak, Chef des ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU, räumte zwar ein, dass Ustimenko ein Mitglied des Dienstes gewesen war, jedoch seit 2014 aus gesundheitlichen Gründen inaktiv sei. Eine Undercovertätigkeit des offiziell Entlassenen, wie es die Journalisten mutmaßen, schloss er aus. Zudem versprach der Geheimdienstchef mehr Transparenz und eine bessere Kooperation mit der Polizei.

Der derzeitige Polizeichef der Ukraine, Sergej Knyazev, musste in einem Interview Fehler bei der Ermittlung eingestehen. Die Ermittlungen hätten "die Ziellinie noch nicht erreicht.", gleichzeitig lobte Knyazev die Arbeit der Journalisten.

In russischen Medien wurden im vergangenen Jahr Zweifel geäußert, der Mord an Scherement gehe auf das Konto des Kremls. Die Zeitung Kommersant verwies auf ein Treffen der Führung der Zeitung "Ukrainskaja Prawda" mit dem russischen Oligarchen Konstantin Grigorischin. Ultranationalistische Ukrainer könnten dies als Verrat empfinden und sich dafür rächen, auch diese Gruppe ist von Scheremet kritisiert worden, der der Lebenspartner der Zeitungs-Herausgeberin Olena Prytula war.

Für das Anecken war Scherement bekannt. Bis 2014 arbeitete er für den "Ersten Kanal" (ORT) des russischen Staatsfernsehens, dem er schließlich "Kreml-Propaganda" vorwarf. Er war enger Freund des Oppositionspolitiker Boris Nemzow, der im Februar 2015 nahe des Kremls von einem Unbekannten erschossen wurde.

Nun muss das Innenministerium die Beweise der "russische Spur" der Öffentlichkeit vermitteln, gleichzeitig stehen die Behörden unter Druck, Ustimenko ausfindig zu machen und die Ergebnisse des Verhörs gegenüber der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Dass nun ein journalistisches Netzwerk den ukrainischen Staat unter Druck setzt, ist ganz in Scheremets Geist.