Feindbild Russland als Ablenkungsmanöver

Korruption als ökonomische Kriegsführung - Teil 2

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Der erste Teil - Wie ein US-Think-Tank sein antirussisches Feindbild konstruiert - stellte die Grundannahmen dar, mit denen die Autoren des "Kremlin Playbook" den russischen Einfluss auf Mittelosteuropa als Bedrohung darstellen. Russische Korruption wird als Waffe ökonomischer Kriegsführung interpretiert. Doch das lettische Beispiel zeigt: Korruption, Lobbyismus und intransparente Netzwerke sind keine russische Spezialität, sondern sind im globalisierten Kapitalismus weit verbreitet. Der Fingerzeig auf russophile Oligarchen lenkt von den eigenen wirtschaftlichen Problemen ab.

Kampf gegen Oligarchen

Andris Skele, Ainars Slesers und Aivars Lembergs werden seit dem Krisenjahr 2009 als Lettlands "Oligarchen" bezeichnet. Sie sind Geschäftsleute, die den Übergang vom real existierenden Sozialismus zum Kapitalismus "clever" nutzten, also reich wurden. Sie schafften ihren Aufstieg mit Hilfe nahestehender Presse und selbst gegründeten Parteien. Alle drei hatten zeitweise mächtige Posten: Skele war Ministerpräsident, Slesers Verkehrsminister und Lembergs ist bis heute der widerrechtlich regierende Bürgermeister von Ventspils. Sie befinden sich mit ihren Machenschaften immer wieder in den Schlagzeilen. Das Thema füllt ganze Sachbücher. Korruption und Geldwäsche wurden ihnen unterstellt, aber gerichtlich nicht nachgewiesen.

Die lettische Antikorruptionsbehörde hat im Dezember 2016 die jahrelangen Ermittlungen gegen diese Business-Politiker eingestellt. Delna, eine NGO, die mit Transparency International zusammenarbeitet, vermutet, dass die Fahnder wegen des politischen Drucks aufgaben. So lang die Liste ihrer fragwürdigen Geschäfte ist, so dürftig sind die Hinweise, dass diese im Auftrag des Kremls erfolgten.

Jeder noch so flüchtige Kontakt zu Russen wird als Beleg des korrupten, von Moskau gesteuerten Netzwerks gedeutet. So wirft man dem damaligen Verkehrsminister Ainars Slesers den russischen Botschafter getroffen zu haben, bevor er in einer Parlamentsrede im Jahr 2008 die Haltung Tiflis' zu bedenken gab, welche die "russische Aggression" in Georgien provoziert haben könnte.1.

Slesers ist derjenige, der die ethnischen Grenzen in der lettischen Politik ignorierte. 2009 koalierte seine Partei im Rigaer Stadtparlament mit der Saskana, die als Vertreterin der russischsprachigen Minderheit gilt. Seitdem regiert der Saskana-Politiker Nils Usakovs die lettische Hauptstadt. Dass sich seine Mitte-Links-Partei moderat gibt, Usakovs im Rigaer Hafen eintreffende US-Militärs begrüßt, mildert den Argwohn lettischer Transatlantiker keineswegs: Für sie ist und bleibt die größte Fraktion im lettischen Nationalparlament die fünfte Kolonne Moskaus. Die lettischen Mitte-Rechts-Parteien koalierten lieber mit der rechten Nationalen Allianz, um Saskana in der Opposition zu halten. Ein Kooperationsvertrag der Saskana mit der russischen Regierungspartei Einiges Russland ist ihnen ein hinreichender Beleg. Dass Saskana auch mit der Friedrich-Ebert-Stiftung zusammenarbeitet, bleibt in der US-Studie unerwähnt.

Am russischen Gashahn

Lettland ist bislang zu hundert Prozent von Gazprom-Lieferungen abhängig. Russlands Staatskonzern und das russische Unternehmen Itera halten die Hälfte der Aktien des Versorgers Latvijas Gaze. Wichtiger Mitspieler im lettischen Gasgeschäft war bislang die Essener Konzerntochter Uniper Ruhrgas, die sich allmählich zurückzieht, aber noch mehr als 18 Prozent Aktienanteil besitzt. Der lettische Gesetzgeber liberalisiert seit dem 3.4.2017 den Gasmarkt, Latvijas Gaze musste die Hauptleitungen und den unterirdischen Gasspeicher von Incukalns an eine unabhängige Betreibergesellschaft abgeben.

Die lettische Regierung hofft, dass in Zukunft das litauische Flüssiggasterminal in Klaipeda für Preis-Konkurrenz sorgt. Dort kommen Lieferungen vom norwegischen Konkurrenten Statoil an. Gazprom verlangt von den Letten bislang höhere Preise als von den Westeuropäern. Die CSIS-Autoren werfen Juris Savickis, dem Chef von Itera Latvija und Putin-Vertrauten vor, sich gegen die Öffnung des Gasmarkts ausgesprochen zu haben und mit Soft Power - Itera Latvija ist Anteilseigner des wichtigsten Eishockeyteams, Dinamo Riga - die politische Landschaft zu pflegen.2 Doch man fragt sich, was an solchem Konzerngebaren spezifisch russisch sein soll.

Der lettischen Regierung macht übrigens auch Uniper Ruhrgas Ärger. Die Deutschen drohten ihr im März 2016 wegen der Aufteilung von Latvijas Gaze mit einem internationalen Schiedsgericht. Dass auch westliche Konzerne an ihre Profite denken, bleibt in der CSIS-Studie natürlich unerwähnt.

Aivars Lembergs, der geschäftstüchtige Bürgermeister der Ölhafenstadt Ventspils, ist den Transatlantikern ebenfalls ein Dorn im Auge. 2007 kam er wegen des Verdachts auf Korruption und Geldwäsche für einige Tage in Untersuchungshaft, seitdem zog sich ein viele Jahre dauernder Gerichtsprozess hin, der allmählich ohne gefälltes Urteil aus den Schlagzeilen verschwand. Das Bürgermeisteramt darf er laut Gerichtsbeschluss eigentlich nicht mehr ausüben. Auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise warnte er lettische Politiker, die lauter gegen Moskau grölten als Washington, Paris, London und Berlin zusammengenommen. Er empfahl, sich aus diesem geopolitischen Konflikt herauszuhalten. Er sah die Handelsbeziehungen zum großen Nachbarn gefährdet.

Die lettische Regierung unterstützt dagegen die EU-Sanktionspolitik gegen Russland mit Nachdruck. Die russische Seite reagierte mit Handelsblockaden für lettische Produkte. Die regierende Mitte-Rechts-Koalition nimmt Umsatzeinbußen für die eigenen Milchbauern, Herstellern von Fischkonserven und für die bedeutende Logistikbranche in Kauf. Diese Politik bedeutet für die Hafenstadt Ventspils Verluste, denn sie ist Umschlagplatz für russisches Erdöl und russische Kohle.

Mit guten Beziehungen zu Russland verhalf Lembergs seiner Stadt zu bescheidenem Wohlstand. Seine Bürger danken es ihm. Er ist seit 1991 ihr stets wiedergewählter Bürgermeister. Es gibt Hinweise, dass Lembergs für die eigene Schatulle eine Menge abzweigte, die Spuren führen bis Liechtenstein und Panama. Doch juristisch haltbare Beweise fehlen. Briefkastenfirmen in Offshore-Ländern sind keine spezifisch russische Erscheinung. Neuerdings streitet Lembergs mit der lettischen Regierung, weil sie den Anschluss von Ventspils an die neue Gazprom-Röhre Nord Stream 2 nicht gestatten will.

In einer Pressekonferenz zeigte er Verständnis für die Deutschen, die nicht Geiseln der ukrainisch-russischen Beziehungen sein wollten. Nach der Orangenen Revolution im Kiew der Nullerjahre, als Deutschland das Gas durch ukrainische Leitungen bezog, hatte der Streit zwischen Gazprom und der Ukraine zu Lieferblockaden geführt. Lembergs sieht in den Ostseeröhren der Nord Stream AG einen Beitrag zur europäischen Energiesicherheit und verlangt vom lettischen Fiskus Schadensersatz.