Journalisten trinken zu viel und weisen unterdurchschnittliche exekutive Funktionen auf

Nach einer eigenwilligen Studie soll die ungesunde Lebensweise, nicht der Stress selbst, die kognitive Leistung der Nachrichtenmenschen schwächen

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Wenn es nach der Studie der Neurowissenschaftlerin Tara Swart geht, die geschäftstüchtig mit dem Verbreiten von guten Ratschlägen (Drink more water, eat water-rich foods, less caffeine, less alcohol ...) und dem Coachen von Führungskräften zu deren Gehirnoptimimierung beschäftigt ist, sind Journalisten ein seltsames Völkchen. Sie untersuchte die Belastbarkeit oder Resilienz von Journalisten, die ja mitunter ähnlich wie Banker oder Manager großem Stress ausgesetzt sind, und kam zum Schluss, dass sie zu viel Alkohol und Kaffee trinken, aber dass ihre exekutiven Funktionen, also die Kontrolle ihres Verhaltens, unterdurchschnittlich sei.

Für ihre Studie hatte Swart 40 Journalisten mehrere Monate beobachtet, die sich freiwillig zur Mitwirkung gemeldet hatten. Ursprünglich seien es 90 gewesen, davon hätten sich einige, wie es süffisant heißt, durch die Verwendung von Antidepressiva selbst ausgeschlossen. Welche Folgen für das Ergebnis entstehen könnten, wenn es keine Zufallsauswahl war, sondern die Versuchspersonen offenbar teilnehmen wollten, wird freilich nicht erörtert. Die Teilnehmer wurden einem Bluttest unterzogen, trugen 3 Tage lang ein Herzfrequenzmessgerät, notierten eine Woche lang, was sie tranken und aßen, füllten einen Gehirnprofilierungstest aus und trafen sich einmal zu einem längeren Gespräch mit Swart.

Journalisten würden u.a. durch den Zeitdruck (deadlines), die Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit, schwere und unvorhersehbare Arbeitsbelastung, öffentliche Kritik, verstärkt durch soziale Netzwerke, und schlechte Bezahlung gestresst. Aber ihre Stressbelastung sei nicht stärker als bei anderen Menschen, weder sind ihre Cortisol- noch ihre Testosteronwerte höher, aber ihre Erholung im Schlaf sei geringer. Sie würden zwar von Stress berichten, aber nicht unbedingt von der Arbeit, eher mit Familie oder ihren Finanzen. Unterstützt werde dies dadurch, dass die Herzfrequenz Zuhause oft höher war. Vermutlich werde der Stress in Arbeit und Freizeit mit der hohen Jobzufriedenheit kompensiert. Das würde auch ihre Produktivität und Leistungskraft erhalten. Allerdings sind sie körperlich nicht ausreichend aktiv.

Aber da ist der Umstand, dass die Journalisten gemeinhin zu wenig Wasser trinken - nur 5 Prozent trinken ausreichend, durchschnittlich nehmen sie nur die Hälfte der empfohlenen Menge von etwa 8 Gläsern zu sich. Dafür würden sie aber zu viel Alkohol trinken, was auch dazu führe, dass sie sich beim Schlafen nicht gut erholen können. Sie würden auch mit meist mehr als zwei Tassen zu viel Kaffee trinken, was nach Ansicht der Neurowissenschaftlerin das Gehirn zusätzlich dehydrieren soll. Dazu kommt, dass sie öfter spät essen und von ihren Kindern bei der Arbeit gestört würden.

Vorurteilsbeladen, wenig kreativ, von Komplexität überfordert?

Überhaupt schneiden sie bei ihren exekutiven Funktionen schlecht ab, was nach Swart mit der Dehydrierung und dem Alkoholkonsum zusammenhängen könnte. Sie können angeblich ihre Emotionen nicht so gut wie der Durchschnitt aller Menschen steuern, Vorurteile unterdrücken, komplexe Probleme lösen, zwischen Aufgaben umschalten oder kreativ und flexibel denken.

Das klingt nicht gut, es wären Eigenschaften, die für den Job eigentlich abträglich sein sollten. Falls es zutreffen sollte, wäre es vielleicht eine Art Immunisierung gegenüber der Flut an Neuem, dem Journalisten täglich ausgesetzt sind und die sie bewältigen müssen. Erfolgt die Komplexitätsreduktion durch eine sture Sortierung, die dann zum Phänomen der "Lügenpresse" führt, also einem Rudelverhalten mit Scheuklappen? Dem würde entsprechen, dass die derzeitige Mode, Fake News und die Konstruktion alternativer Fakten aufdecken zu wollen, weitgehend ohne jede Selbstreflexion nur gegen die "anderen" Medien praktiziert wird. Das wäre auch ein Fall für rudimentäre exekutive Funktionen.

Ältere Journalisten sollen mit dem Stress besser klar kommen. Das ist kaum verwunderlich, da junge sich erst wie in allen anderen Berufen ihren Platz und ihre Erfahrung erkämpfen müssen. Aber es gibt auch Leistungen, bei denen Journalisten angeblich gut abschneiden. Ihre Abstraktionsfähigkeit soll etwas höher als im Durchschnitt liegen. Das aber könnte der Hypothese widersprechen, dass die exekutiven Funktionen herabgesetzt seien.

Zudem sollen Journalisten besser darin sein, Phänomenen Werte zuzuordnen, was in der Amygdala geschieht. Das könnte helfen, aus der Informationsflut herauszuholen, was wichtig ist oder andere interessieren könnte. Das wäre allerdings aber auch die vordergründige Leistung von Journalisten als Avantgarde der kollektiven Aufmerksamkeit. Verwunderlich wäre, wenn hier nicht Kompetenzen bzw. Sensibilitäten ausgebildet wären.