"Der Status quo ist der ideale Zustand für die 0,1 Prozent der Eliten"

UN-Generalversammlung. Bild: Patzrick Gruban/CC BY-SA-2.0

Ist ein demokratisches Weltparlament der Ausweg aus der Krise der globalen Politik? Ein Gespräch mit Andreas Bummel

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Die Weltpolitik steckt in einer tiefen Krise. Ob Trump, Erdogan, Le Pen oder AfD: Immer mehr Wähler auch in westlichen Demokratien entscheiden sich für Nationalismus und Abschottung, untermauert von plumpem Populismus. An vielen Ecken flammen alte Krisenherde und überwunden geglaubte Ost-West-Konflikte wieder auf. Und während die ganze Welt längst globalisiert ist - von der Kommunikation, über Kultur und Wirtschaft -, bleibt die Demokratie eine nationalstaatliche Angelegenheit. Die überstaatlichen Institutionen erscheinen als elitäre Gremien ohne Bürgerkontakt, eine anachronistische Einrichtung wie der UN-Sicherheitsrat mit seinem kontraproduktiven Vetorecht ist jeder demokratischen Kontrolle entzogen.

Die Lösung sehen Andreas Bummel, Gründer der NGO Democracy Without Borders, und der EU-Parlamentarier Jo Leinen in einem demokratischen Weltparlament. Seit mehr als zehn Jahren leistet Bummel mühsame Überzeugungsarbeit. Als ersten Schritt schlägt er die Einrichtung einer Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen (UNPA) vor. Bummel und Leinen haben nun ein Buch über ihre Idee geschrieben: "Das demokratische Weltparlament. Eine kosmopolitische Vision" (Dietz Verlag, Bonn 2017).

Sie zeichnen darin kenntnisreich und detailgenau die Entwicklung demokratischer Ideen von den Anfängen bei antiken Philosophen bis heute nach - über die französische und amerikanische Revolution, den Völkerbund, die Zäsur der Weltkriege, das Ende des Kalten Krieges, die Schatten der Globalisierung. Sie machen die Begrenztheit der nationalstaatlichen Souveränität in Zeiten des globalen Kapitalismus deutlich und sprechen die großen Probleme der Menschheit an: Kriege, Fluchtbewegungen, Hunger, Armut, Ungleichheit, Klimawandel, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Und sie skizzieren, wie all diese Probleme durch eine Weltregierung unter demokratischer Kontrolle, gekoppelt an ein Weltrechtssystem und ein Weltsteuersystem, besser und effizienter angegangen werden könnten.

Trotz aller überzeugenden Argumente ist die Skepsis gegenüber einem solchen Ansatz ungebrochen hoch. Woran das liegt, und was von den Gegenargumenten zu halten ist, erklärt Andreas Bummel im Gespräch mit Telepolis.

Es findet momentan weltweit ein Rechtsruck statt. Die USA wählen Trump, gut ein Drittel der Franzosen stimmt für Le Pen, in Deutschland etabliert sich die AfD in immer mehr Landtagen und bald wahrscheinlich auch im Bundestag. Nationalismus wird wieder hoffähig. Sind das nicht schlechte Vorzeichen für die Etablierung globaler Demokratie?

Andreas Bummel: Hoffentlich wird das ein vorübergehendes Phänomen sein. Aber wir müssen etwas tun. Ich würde sagen, dass der populistische Nationalismus auch eine Reaktion auf die wirtschaftliche Globalisierung und die Unfähigkeit der Demokraten ist, die Globalisierung unter Kontrolle zu bekommen. Die Steuerungsfähigkeit der Politik geht verloren. Die Menschen spüren, dass die demokratischen Institutionen auf nationaler Ebene von global agierenden Kräften unterhöhlt werden. Die Lösung sollte sein, über den Nationalstaat hinauszugehen und Kontrollinstanzen auf internationaler Ebene zu etablieren. Einen Weg zurück gibt es doch gar nicht.

Viele Menschen haben Angst vor einer Weltregierung. Sie fürchten, dass der Verlust nationaler Souveränität noch mehr Macht in die Hände von Eliten legt. Dabei sind es vor allem diese Eliten, die gegen ein Weltparlament sind. Warum eigentlich?

Andreas Bummel: Der Status quo der Weltordnung ist schon der ideale Zustand für die 0,1 Prozent der Eliten. Die Zersplitterung der Welt in 193 Nationalstaaten, die nominell souverän sind, dient ihren Interessen, denn sie verhindert effektive globale Regulierung. Die Staaten können prima gegeneinander ausgespielt werden. Das beste Beispiel ist das Steuersystem, das es Konzernen und Superreichen ermöglicht, ihre Gewinne dort anzumelden, wo kaum oder gar keine Steuern anfallen. Warum sollten die wirtschaftlichen und politischen Eliten ein Interesse daran haben, das zu ändern? Sie profitieren schließlich davon.

Wie kann man denn verhindern, dass irgendwann ein Trump oder gar ein Erdogan zum Weltpräsident gewählt wird? Im Buch zitieren Sie und Jo Leinen auch Hannah Arendt, für die eine Weltregierung eine totalitäre Horrorvision war...

Andreas Bummel: Von der Idee eines Weltpräsidenten würde ich grundsätzlich Abstand nehmen. Stattdessen gäbe es an der Spitze einer Weltexekutive eher ein rotierendes Gremium. Eine zentralistische Weltregierung, in der sich alle Macht bündelt, will sowieso niemand. Es gäbe eine Weltverfassung und Systeme und Methoden, um Kontrolle auszuüben und Macht zu begrenzen, eine föderale Ordnung mit Checks and Balances.

Das bedeutet, dass Kompetenzen auf den verschiedenen Verwaltungs- und Regierungsebenen aufgeteilt würden, von der lokalen Ebene bis zur globalen. Dazu gehört zum Beispiel auch eine Weltgerichtsbarkeit, an die man sich bei Kompetenzüberschreitungen einer Weltexekutive oder auch eines Weltparlaments wenden könnte. Die Angst vor einer Weltregierung ist insofern paradox, weil es im Prinzip längst eine Art von Weltregierung gibt. Nur ist diese intransparent und es fehlen ihr sichtbare, formale Institutionen, die demokratischer Kontrolle unterliegen. In bestimmten Bereichen haben wir ja schon eine globale Steuerung, die aber eben im wesentlichen nur Eliteninteressen dient.

Der Schritt hin zu einem Weltrechtssystem und einem globalen Steuersystem erscheint nur logisch, würde aber die Nationalstaaten empfindlich schwächen. Weshalb wäre so ein System aus Ihrer Sicht sinnvoller als das aktuelle?

Andreas Bummel: Ich würde im Gegenteil eher sagen, dass die Souveränität der Nationalstaaten gestärkt würde. Der heutige Zustand untergräbt die Souveränität, weil Staaten ihre Steuerhoheit effektiv gar nicht mehr ausüben können, wenn es um Konzerne und Superreiche geht. Würden die Staaten hingegen gemeinsam verbindliche globale Regeln aufstellen, würden sie ihre Souveränität zurückgewinnen, nur eben auf einer anderen Ebene.

Globalisierung der Demokratie

Einerseits findet die Idee Weltparlament weltweit Unterstützung, andererseits wird sie noch immer von wichtigen Akteuren abgelehnt oder gar belächelt. Was antworten Sie denen?

Andreas Bummel: Bislang wurde jede neue Idee am Anfang als Utopie belächelt oder abgelehnt. Nehmen wir nur Errungenschaften wie die sozialen Sicherungssysteme, das allgemeine Wahlrecht oder in jüngerer Zeit die Etablierung des Internationalen Strafgerichtshofes. Die Idee für ein Weltparlament geht auf die Französische Revolution zurück, Ansätze finden sich sogar noch früher. In den letzten zwanzig Jahren, also seit Ende des Kalten Krieges, hat die Unterstützung beständig zugenommen.

Wenn man der Argumentation Ihres Buches folgt, erscheint die Globalisierung der Demokratie fast folgerichtig als die einzige gangbare Lösung der demokratischen Transformationen der letzten Jahrzehnte. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass noch in diesem Jahrhundert wesentliche Schritte dahin unternommen werden?

Andreas Bummel: Ich denke, dass die Chancen für wesentliche Schritte zur Einrichtung einer Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen (UNPA), um das konkrete Projekt zu nennen, durchaus hoch sind. Auch die Wähler nationalistischer Populisten wie Donald Trump werden feststellen, dass aus dieser Richtung keine Lösungen kommen. Die Abschaffung von ObamaCare beispielsweise betrifft ja genau jene Menschen, die Trump gewählt haben. Theresa May und Trump haben schon angekündigt, dass sie die Unternehmenssteuern senken wollen. Solche Maßnahmen sind kontraproduktiv und verstärken die Probleme nur weiter.

Insofern stehen wir momentan vor zwei Szenarien: Entweder wird es eine noch stärkere Radikalisierung geben. Oder es folgt eine Besinnung darauf, dass ein Schritt vorwärts nötig und möglich ist - nämlich die Globalisierung der Demokratie. Dazu müssen sich die progressiven Kräfte aus ihrer Komfortzone herausbewegen. Im Prinzip ist deren Weltbild ja auch noch nationalistisch.

Das klingt insgesamt optimistisch. Viele Pessimisten hingegen sehen uns am Rande eines dritten Weltkriegs, andere fürchten gar das nicht allzu ferne Ende der Menschheit, wenn Klimawandel, Hunger, Bevölkerungswachstum und weitere Probleme nicht sehr bald ernsthaft angegangen werden. Ist das zu viel Schwarzmalerei?

Andreas Bummel: Nein, das ist eine realistische Möglichkeit, speziell in Zeiten, da Akteure wie Putin oder Trump an der Spitze wichtiger Staaten stehen. Noch immer gibt es zum Beispiel in den USA und Russland rund 2000 Atomraketen, die in ständiger Alarmbereitschaft stehen und innerhalb von sieben Minuten abgeschossen werden können.

Hinzu kommt die Frage nach den Konsequenzen des Klimawandels. Das Erdsystem könnte unwiderruflich in einen anderen Operationsmodus umschalten. Szenarien für einen globalen zivilisatorischen Zusammenbruch halte ich nicht für weit hergeholt. Aber gerade deshalb darf der Nationalstaat nicht die letzte Stufe in der Entwicklung der Menschheit gewesen sein.

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