Erdogan schaute der Prügelei seiner Sicherheitskräfte vor der Botschaft in Washington zu

Der türkische Präsident im Auto vor der Botschaft in Washington, als vor seinen Augen die Schlägerei einsetzte. Screenshot aus VOA-Video

US-Abgeordnete verlangen in einer Resolution Strafverfolgung der Schläger, Türkei macht hingegen US-Behörden für den Vorfall verantwortlich

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Beim Besuch des türkischen Präsidenten Erdogan in Washington kam es am 16. Mai in der Nähe der türkischen Botschaft, die nicht weit vom Weißen Haus entfernt ist, zu gewalttätigen Angriffen auf einige Demonstranten. Kurz zuvor hatte Erdogan US-Präsident Donald Trump besucht. Das Ergebnis war für Erdogan nicht zufriedenstellend, zumal Trump nicht versprach, die Unterstützung der syrischen Kurden für die Offensive auf Raqqa einzustellen. Er hatte zuvor erklärt, diesen nun auch schwere Waffen liefern zu lassen.

Beteiligt an der brutalen Schlägerei waren auch türkische Sicherheitskräfte und Leibwächter Erdogans sowie offenbar einige Erdogan-Fans. Von dem Vorfall zirkulierten schnell Videos im Internet. Elf Personen wurden verletzt (Die Schläger von Erdogans Leibwache traten in Washington ungeniert in Aktion). Einige Tage nach dem Vorfall tauchte ein Video auf, das zeigt, dass Erdogan die Schlägerei von seinem Fahrzeug aus beobachtet hatte.

Das US-Außenministerium hat daraufhin gegenüber der türkischen Regierung protestiert, die Polizei hat angekündigt, die Täter zu identifizieren. Die türkische Regierung kritisierte hingegen den angeblich mangelnden Schutz seitens der Polizei von Washington, warf den Sicherheitskräften selbst aggressives Verhalten vor und bezichtigte die Demonstrierenden, es handelte sich um ein Dutzend, meist amerikanische Staatsbürger, mit der Gewaltanwendung begonnen zu haben, Sympthisanten der PKK zu sein und sich überhaupt unangemeldet versammelt zu haben. Am 22. Mai bestellte das türkische Außenministerium deshalb den US-Botschafter ein.

Resolution des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses

Am Donnerstag verabschiedete der Auswärtige Ausschuss des Repräsentantenhauses eine Resolution (H. Res. 354), in der die Schlägerei vor der Botschaft verurteilt und gefordert wird, die Verantwortlichen strafrechtlich zu belangen. In der Resolution heißt es, dass nach Stunden des friedlichen Protests "Anhänger von Erdogan und Personen der türkischen Botschaft" durch die Kette der Polizisten durchbgebrochen seien und "brutal" die Demonstranten angegriffen hätten. Videos würden beweisen, dass die Gewalt nicht von den Demonstranten ausgegangen sei, hingegen hätten "türkische Offizielle" die "First-Amendment-Rechte amerikanischer Bürger offen unterdrückt und einige bewaffnete Sicherheitskräfte die unbewaffneten Demonstranten geschlagen. 11 Personen hätten schwere Verletzungen erlitten.

Zwei türkische Sicherheitskräfte seien festgenommen worden, weil sie mit körperlicher Gewalt Polizisten angegriffen haben. Sie seien aber aufgrund der abgeleiteten Immunität des Staatsoberhaupts freigelassen worden und hätten das Land verlassen. Erdogan sei nicht in Gefahr gewesen. Es sei bereits der dritte Vorfall in den USA. Es wird auch das Außenministerium kritisiert, das bei Anklagen über Gewaltanwendung vor einer Ausreise die Immunität von Sicherheitskräften aufheben müsse. Und die Regierung wird dazu aufgerufen, die Pressefreiheit und die Bürgerrechte in Ländern wie der Türkei zu stärken und "Bemühungen ausländischer Regierungen zu bekämpfen, freien und friedlichen Protest in ihren Ländern zu unterdrücken".

Das ist starker Tobak, die Antwort aus der Türkei ließ nicht auf sich warten. Der Sprecher des türkischen Außenministeriums wies die Resolution zurück und nannte sie "einseitig" und "faktenentstellend". Er wiederholte den Vorwurf, dass die US-Behörden nicht die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen vor der Botschaft ergriffen hätten. Zudem hätten sie keine Erklärung für den Vorfall gegeben, "der durch extreme und aggressive Aktionen der US-Sicherheitskräfte verursacht" wurde. Die Resolution durch den Gesetzgebungsweg zu bringen, helfe nicht, das Problem zu lösen. Deutlich wird dabei, dass die Türkei schon gar nicht mehr von den Demonstranten spricht, sondern die Schuld der amerikanischen Polizei zuweist.

Brutales Vorgehen der türkischen Leibwächter und Erdogan-Fans. Screenshot aus VOA-Video

Auswertung von Videos und Fotos

Die New York Times hat nun einen Beitrag vorgelegt, der versucht, den Vorfall vor der Behörde durch vorhandene Videos und Fotos zu rekonstruieren. Dabei wurden die Männer, so weit es möglich war, auch identifiziert. Es bestünde also die Möglichkeit, diese anzuklagen, was bislang aber nicht geschehen ist.

Es waren 24 Männer, darunter mindestens vier bewaffnete Leibwächter des türkischen Präsidenten, die auch nach dieser Rekonstruktion die Demonstranten gewalttätig angegriffen haben. Insgesamt 10 offizielle türkische Sicherheitskräfte, die schwarze Anzüge und Ohrhörer trugen sowie mit Identifikationskarten ausgestattet waren, griffen die Demonstranten an, zwei sollen den Großteil des Kampfs ausgeführt haben, bei einem ließ sich das Präsidentensiegel auf der Karte sehen.

Die locker gekleideten zivilen Unterstützer des Präsidenten wollten ihn vermutlich treffen, sollen aber eine zentrale Rolle gespielt haben. Zwei davon, beide türkischstämmige US-Bürger, hatten schon zuvor damit begonnen, auf Demonstranten auf der Straße einzuhauen. Ein Demonstrant schlug zurück, weswegen einer der Männer blutete, was von türkischer Seite als Hinweis dargestellt wurde, die Gewalt sei von Demonstranten ausgegangen.

Pikant sind die Details über den anwesenden türkischen Präsidenten selbst, der aus seinem gepanzerten schwarzen Mercedes der Prügelei seiner Sicherheitskräfte und Anhänger zuschaute. Seine Rolle sei unklar, konzediert die NYT, klar ist aber, dass er offenbar keine Anweisungen gegeben hat, die Schlägerei einzustellen. Es könnte sogar das Gegenteil der Fall sein.

Mindestens einer seiner Leibwächter, die sich nahe bei ihm befanden, stürzte sich in den Kampf und schlug auf die Demonstranten ein. Erdogan saß im Wagen und sprach mit seinem Sicherheitschef Muhsin Kose, der sich an die Wagentüre lehnte. Nach dem Gespräch mit Erdogan sprach Kose in sein Mikrofon, woraufhin drei Sicherheitskräfte, die den Präsidentenwagen bewachten, zur Demonstration stürzten: "Die Schlägerei begann Augenblicke später. Einer dieser Männer, ein bulliger, großer Mann, tauchte auf einem Video auf, als er Menschen schlug und prügelte." Während der Prügelei sprach Kose weiterhin mit Erdogan. Erst als sie vorbei war und zwei seiner Sicherheitskräfte zurückgekehrt waren, stieg er aus dem Fahrzeug und ging in die Botschaft.

Die Frage stellt sich, ob er nach dem Gespräch mit Trump verärgert war und die Schlägerei in der US-Hauptstadt duldete oder sogar beförderte.