Erneuter Aufstieg von al-Qaida?

Aus der mit Bildern unterlegten Audiobotschaft von Hamza bin Laden

Angesichts des Niedergangs des Islamischen Staats baut al-Qaida Hamza, den Sohn von Osama bin Laden, zum neuen Führer auf

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Ex-US-Präsident Barack Obama hatte schon einmal erklärt, al-Qaida sei am Untergehen. 2011 hatte er einen verdeckten Einsatz von Spezialtruppen in Pakistan bewilligt, um den zwar schon nicht mehr aktiven, aber noch prominenten al-Qaida-Gründer Osama bin Laden zu töten. Die Tötungsmission, bei der auch ein Sohn von Bin Laden ums Leben kam, verursachte zwar Aufmerksamkeit, hatte allerdings auf al-Qaida keinen großen Einfluss.

Die Terrororganisation war zwar weitgehend aus Afghanistan und zeitweise auch aus dem Irak verschwunden, aber in anderen Ländern wie dem Jemen, Somalia oder Syrien, auch in Indien oder Libyen aktiv. Mit dem Arabischen Frühling verbreitete sich al-Qaida erneut im Irak und in Syrien, dort kam es allerdings zu einem Bruch mit dem Islamischen Staat, der wie schon al-Qaida im Irak unter Sarkawi noch brutaler auftrat, rigoros auch gegen Schiiten vorging und ein Kalifat errichten wollte.

Die militärischen "Erfolge" des Islamischen Staats, der auch eine massive Propagandaarbeit machte und mit seinen ästhetisch fabrizierten Tötungs- und Vernichtungsvideos sowohl Faszination als auch Angst und Schrecken verursachte, ließen die stärker international auf die Ummah ausgerichtete al-Qaida ins Hintertreffen geraten, was sich auch im Hinblick auf Zulauf, Finanzen und Waffen zeigte. Zudem fehlte al-Qaida eine prominente Figur. Zwar lag die Führung, wenn man dies bei dem losen Netzwerk so sagen kann, bei Osama bin Ladens Vize Sawahiri, aber gegen die geheimnisvolle Präsenz und scheinbare Macht von IS-Führer al-Bagdadi kam er nicht an.

Seit 2015 tritt nun Hamza bin Laden, ein 1989 geborener Sohn von Osama bin Laden, der mit ihm aus Afghanistan geflohen ist, sein Lieblingssohn gewesen sein soll und sich nun wieder im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aufhalten soll, allmählich die Führung an bzw. wird als neuer Führer aufgebaut. Der absehbare Niedergang des Islamischen Staats in Syrien, wo die al-Qaida-Fraktion al-Nusra bzw. Jabhat Fateh al-Sham oder Tahrir al-Sham, immer einflussreicher wird, aber auch im Irak fördert den Versuch, die zunächst vom IS überholte und ausgebootete Terrororganisation neu aufzustellen, um so Einfluss, Rekruten und Geldquellen mit einem neuen Auftritt zu erschließen. Terrorismus ist neben allem anderen schließlich auch ein Geschäft.

Der 28-jährige Hamza ist nicht nur ein frisches Gesicht, er tritt als Nachfolger von Osama bin Laden dessen Erbe und Prominenz an. Davon hatte auch der Islamische Staat gezehrt, der sich auf al-Qaida im Irak und dessen Gründer Sarkawi beruft. Vor zwei Wochen wurde im Netz die letzte Audiobotschaft veröffentlicht, in der Hamza zu Angriffen auf die Ungläubigen aufruft: "Folgt den Fußspuren der Martyriumssucher vor euch", sagte er und forderte Angriffe auf europäische und amerikanische Städte, um die durch Luftschläge getöteten syrischen Kinder zu rächen. Anders als Sawahiri kritisierte er den Islamischen Staat in seinen Audiobotschaften nicht.

"Es gibt viele Optionen"

Die Washington Post berichtet, Geheimdienstmitarbeiter und Terrorismusexperten gingen davon aus, dass al-Qaida unter Hamza, der Rache für die Tötung seines Vaters geschworen hatte, einen Neustart beginnen wird. Damit könnte al-Qaida für die Berufsterroristen, die den IS verlassen, eine Alternative bieten. Der junge Bin Laden könnte gerade junge Islamisten anziehen, die zwar Osama bin Laden bewundern, aber al-Qaida als altmodisch betrachten. Hamza greift jedenfalls die Strategie des IS auf, sich nicht nur auf große Anschläge wie auf die US-Botschaften in Afrika, wie 9/11, Madrid oder London zu kaprizieren, sondern im Westen Anhänger - lone wolves - zu Anschlägen mit beliebigen Waffen auf beliebige Ziele: "Es ist nicht notwendig ein militärisches Mittel zu verwenden. Wenn du eine Schusswaffe nehmen kannst, ist das auch gut. Wenn nicht, gibt es viele andere Optionen." Allerdings hat der Islamische Staat diese Strategie mitsamt der Medienstrategie von al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAP) übernommen.

Die al-Qaida-Branche hatte, noch unter der Anleitung von al-Awlaki, der von US-Drohnen 2011 getötet wurde, Open-Source-Terrorismus im Westen von Einzelgängern propagiert und dazu Vorschläge in dem über das Internet verbreiteten, modisch designten Magazin Inspire angeboten, darunter etwa das Hineinfahren in Menschenmengen. Die ältere al-Qaida-Generation, also Osama bin Laden oder Sawahiri, waren bei aller Brutalität im Kreuzzug gegen den Westen hier noch zurückhaltender als die Nachfolge-Generation wie Sarkawi oder Awlaki.

Und eines unterscheidet Hamza ebenfalls von seinem Vater Osama bin Laden, der in Videos auftrat und zu Beginn auch noch Interviews gab. Selbst al-Bagdadi zeigte sich in einem Video, als er das Kalifat ausrief und sich selbst zum Kalifen ernannte. Von Hamza ist bislang kein neueres Foto bekannt geworden, er ist nur als Junge mit seinem Vater zu sehen. Angeblich soll er verheiratet sein und zwei Kinder haben, aber es ist kaum etwas über ihn bekannt. Er soll nach 2001 lange Zeit im Iran unter Hausarrest gelebt haben. In einem Brief an seinen Vater in Pakistan beklagte er sich 2009 über das Leben hinter Gittern. Er sei traurig, dass die "Mudschaheddin-Legionen marschiert sind und ich mich ihnen nicht angeschlossen habe". Hamza konnte angeblich 2010 aus dem Iran ausreisen und soll sich nach Pakistan begeben haben. Sein Vater wollte aber nicht, dass er zu ihm in sein Versteck in Abbottabad kam, was ihm das Leben gerettet haben könnte. Osama sah in seinem Sohn offenbar bereits einen Nachfolger, er galt auch in Medien bereits als "Kronprinz des Terrors".

Steven Stalinsky, Direktor des Middle East Media Research Institute (Memri), ist allerdings der Überzeugung, dass Audiobotschaften und alte Fotos alleine gerade die jungen Menschen nicht erreichen. Ein Vertrauter der Bin-Laden-Familie meint allerdings, Hamza könne eine Person sein, die in der Lage sei, die miteinander konkurrierenden und sich bekämpfenden islamistischen Gruppen zu einigen. In den USA scheint erkannt worden zu sein, dass von Hamza eine Gefahr ausgehen könnte. Die Obama-Regierung hat ihn noch am 5. Januar 2017 zu einem "Specially Designated Global Terrorist" (SDGT) ernannt und damit Sanktionen verhängt, nachdem er 2015 offiziell Mitglied von al-Qaida wurde und mehrmals zu Anschlägen im Westen und gegen die USA ausgerufen hat.