Künstler-Kompanie marschiert nach Europa

Rechtsstreit um Afghanistan-Papiere beschäftigt Europäischen Gerichtshof

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Die Westfälische Allgemeine Zeitung (WAZ) hatte 2012 Dokumente der Bundeswehr zum Afghanistankrieg geleakt, die eigentlich nur für Angehörige des Bundestags bestimmt waren. Da man die Dokumente nicht mehr aussichtsreich mit Geheimhaltungsinteressen einfangen konnte, griff die Hardthöhe überraschend zur Geheimwaffe Urheberrecht. Die Künstler-Kompanie eröffnete nach einem Warnschuss das juristische Feuer. Der Angriff am Landgericht Köln verlief für die Truppe erfolgreich: Die Richter bewerteten die militärischen Berichte als künstlerisch so wertvoll, dass sie ihnen ein Urheberrecht angedeihen ließen - mit der Folge eines Unterlassungsanspruchs.

Die Partisanen der WAZ ließen sich nicht entmutigen, erlitten jedoch auch am Oberlandesgericht Köln eine herbe Niederlage. Die sturen Westphalen ließen daraufhin die rheinischen Gericht linksrheinisch liegen und kämpften sich bis zum Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe vor. Dort allerdings ist - zumindest nach nationalem Recht - kein Sieg zu erwarten. Der BGH jedoch sendet nun Parlamentäre zum Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), der für die Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft zuständig ist.

Nach Ansicht des BGH stellt sich die Frage, ob eine widerrechtliche Verletzung eines Urheberrechts an den Berichten ausscheidet, weil die von der WAZ geltend gemachte Behinderung der Informationsfreiheit und der Pressefreiheit durch das Urheberrecht an den Dokumenten schwerer wiegt als der Schutz von Verwertungsinteressen und Geheimhaltungsinteressen der Klägerin. Diese Frage ist entscheidungserheblich, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts innerstaatliche Rechtsvorschriften, die eine Richtlinie der Europäischen Union in deutsches Recht umsetzen, grundsätzlich nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, sondern allein am Unionsrecht und damit auch den durch dieses gewährleisteten Grundrechten zu messen sind, soweit die Richtlinie den Mitgliedstaaten zwingende Vorgaben macht.

Der BGH hat dem EuGH ferner die Frage vorgelegt, ob die Grundrechte der Informationsfreiheit und der Pressefreiheit Einschränkungen des ausschließlichen Rechts der Urheber zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke außerhalb der in der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Schranken dieser Rechte rechtfertigen. Diese Frage stellt sich, weil die Voraussetzungen der - hier allein in Betracht kommenden - Schranken der Berichterstattung über Tagesereignisse und des Zitatrechts nach dem Wortlaut der betreffenden Regelungen der Richtlinie nicht erfüllt sind. Nach den Feststellungen des OLG Köln hat die WAZ sich darauf beschränkt, die militärischen Lageberichte in systematisierter Form im Internet einzustellen und zum Abruf bereitzuhalten. Danach stand die Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe der Dokumente nicht in Verbindung mit einer Berichterstattung und erfolgte auch nicht zu Zitatzwecken.

Die Heranziehung des Urheberrechts mag seltsam anmuten, allerdings muss sich auch der damalige WAZ-Journalist die Frage gefallen lassen, welche wesentlichen Erkenntnisse der Leak der gesamten Dokumente im Verhältnis zum recherchierten Zeitungsartikel denn gefördert haben soll. So tendiert der inzwischen für Correktiv arbeitende Journalist zur Geschwätzigkeit ohne Berichtsrelevanz, etwa kürzlich im NRW-Wahlkampf durch Kolportage des Sexuallebens einer Kandidatin.

BGH, Beschluss vom 1. Juni 2017 - I ZR 139/15 - Afghanistan Papiere