Wissenschaft im Zeitalter des Antiprofessionalismus

Die populistische Wissenschaftskritik konvergiert neuerdings mit einer fast alle Lebensbereiche erfassenden Romantik des Laien und Amateurs

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Seit einiger Zeit kann man in den USA, aber auch in weiten Teilen Europas wissenschaftsfeindliche Tendenzen beobachten, gegen die sich zunehmend Widerstand in Form einer oft unkritischen, neopositivistischen Wissenschaftshörigkeit formiert (vgl. Vom Aberglauben zum Wissenschaftsglauben).

Auf weltweiten Kundgebungen (March for Science), die anlässlich des alljährlichen "Earth Day" am 22. April in vielen westlichen Metropolen stattfanden (Vgl. Science March: Spät, aber wichtig), wurde dabei auf die zentrale Rolle der Wissenschaft für die Verbesserung der Lebensverhältnisse auf unserem Planeten bzw. für das Überleben der Menschheit insgesamt aufmerksam gemacht. Insbesondere in den USA sollte so dem drohenden Abbau staatlicher Unterstützung für Universitäten und Forschungseinrichtungen entgegengewirkt werden. Diese weitgehend symbolische Manifestation der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissenschaft ließ jedoch nicht nur jede Form von Selbstkritik von Seiten ihrer Unterstützer vermissen, sie blendete auch die Rolle der Wissenschaft selbst im Prozess ihres zunehmenden Werte- und Prestigeverlustes beharrlich aus.

Die Frage, warum gerade heute der "aufschäumende Hass auf die Wissenschaft in den spätkapitalistischen Zentren der Macht" (vgl. Buchsbaum) an Bedeutung gewinnt, ist legitim; zu ihrer Beantwortung kann der Verweis auf Adornos vielfach bemühte "Dialektik der Aufklärung" allerdings nur bedingt beitragen. Richtig ist, dass seit der Romantik immer wieder auf die Leerstellen und Unzulänglichkeiten eines absolut gesetzten Rationalismus hingewiesen wurde. Die Kritik an dieser "dunklen" Seite der Aufklärung hat alle modernen westlichen Gesellschaften seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert begleitet. Sei es in Form von Maschinenstürmerei und Technikfeindlichkeit oder sei es als das Bemühen, die durch den expansiven Kapitalismus bedrohten Lebensgrundlagen und vermeintlich "natürlichen" Ressourcen zu bewahren. Moderne Kulturkritik war immer auch von einem vormodernen, antiaufklärerischen, "faustischen" Verständnis von Wissenschaft als dem Urgrund allen menschlichen und sozialen Übels bestimmt.

Nicht vergessen werden sollte in diesem Zusammenhang allerdings, dass etwa seit der Mitte des letzten Jahrhunderts diese Kritik zunehmend aus den Universitäten und bürgerlichen Think-Tanks selbst heraus formuliert wurde, und zwar in Form eines zunächst marxistischen, dann poststrukturalistischen, dann postkolonialen und schließlich neoliberalen common sense in den Geistes- und Humanwissenschaften.

Die hier aufgeführte Reihe der verschiedenen diskursiven "Kehrtwenden" ließe sich natürlich leicht ergänzen, differenzieren oder in ihrer zeitlichen Abfolge komplizieren. Sie beschreibt aber in jedem einzelnen Fall eine Form der Subjekt- und Wissenschaftskritik, die oft gut gemeint aber nie folgenlos geblieben ist. In den USA, wo der populistische Hass auf Universitäten und Forschungseinrichtungen sich häufig gerade an den Geisteswissenschaften entfacht, denen man (un-)wissenschaftliche Willkür und politische Einflussnahme unterstellt, bedienen sich konservative Demagogen neuerdings ungeniert der Rhetorik der Humanities (etwa wenn Steve Bannon, der ultrarechte Medien-Mogul und einflussreiche Trump-Berater, den Regierungsapparat in seiner jetzigen Form "dekonstruieren" möchte oder wenn Trumps Wahlkampfmanagerin Kellyanne Conway von "alternative facts" spricht).

Die Geisteswissenschaften, die sich bekanntlich seit längerem in einem kräftezehrenden, inneruniversitären Verteilungskampf (science wars) mit den Naturwissenschaften befinden, werden nunmehr — und zwar mit Hilfe ihrer ureigenen Argumente — für die antiaufklärerische Kritik an der Wissenschaft insgesamt in Sippenhaft genommen. Doch damit nicht genug. Die sich zunehmend Gehör verschaffende populistische Wissenschaftskritik konvergiert neuerdings mit einer fast alle Lebensbereiche erfassenden Romantik des Laien und Amateurs, die auch an den Universitäten, und hier wiederum insbesondere in den Humanities, Spuren hinterlassen hat.