FDP: Wahlkampf mit Meinungsfreiheit

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Während die Liberalen ein altes Thema wiederentdecken, nehmen die Kontroversen um Sperren auf Twitter und Facebook zu

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Die FDP hat die Meinungsfreiheit als Wahlkampfthema entdeckt: In München plakatiert ihr Kandidat Lukas Köhler (vgl. Liberaler als die Grünen) großflächig eine Veranstaltung dazu und auf Twitter forderte Generalsekretärin Nicola Beer die hessische Landesregierung dazu auf, Heiko Maas' "Netzdurchsetzungsgesetz" (NetzDG) gegen "Hate Speech" und "Fake News" im Bundesrat schon aus formalen Gründen abzulehnen, weil der Bund hier keine Gesetzgebungskompetenz habe. Den Bundesjustizminister hatte sie bereits vor einigen Wochen öffentlich dazu aufgefordert, seinen Gesetzentwurf umgehend zurückzuziehen.

Auf Anfrage von Telepolis meint man in Beers Büro, die Haltung zum NetzDG betreffe nicht nur den hessischen Landesverband, sondern sei "Konsens" in der gesamten FDP, weshalb man davon ausgehe, dass auch Länder, in denen die Liberalen mitregieren, den Gesetzentwurf im Bundesrat (der ihn am Freitag debattieren will), ablehnen werden. Aber selbst wenn die FDP künftig in den neuen Kabinetten von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sitzt, reichen ihre Beteiligungen dort und in Rheinland-Pfalz nicht, um das Gesetz in der Länderkammer zu stoppen, was man auch in Wiesbaden einräumt.

Wieder zweistellig

Sieht man sich die Umfragewerte an, drängt sich der Eindruck auf, dass der Wahlkampf mit Meinungsfreiheit den Liberalen zumindest nicht schadet, auch wenn bei den gestiegenen Umfragewerten Faktoren wie der Schwung aus Düsseldorf und Kiel und eine wachsende Unzufriedenheit mit dem Personal anderer Parteien sicher ebenfalls eine Rolle spielen: INSA misst die FDP, die dort seit März von sechs auf zehn Prozent kletterte, mittlerweile zweistellig; bei den anderen Instituten legte sie ebenfalls kräftig zu und liegt dort bei Werten zwischen acht und neun Prozent. Hinzu kommen Neueintritte wie der des ehemaligen Piratenpartei-Politikers Ali Utlu (vgl. "Ein neues Phänomen").

Das von anderen Parteien eher vernachlässigte Thema hat auch deshalb Potenzial, weil es auf Twitter und Facebook grade eine Sperrwelle gibt, in die sich unter anderen der fernsehbekannte Autor Hamed Abdel-Samad und der ebenfalls fernsehbekannte Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel eingeschaltet haben. Steinhöfel brachte Facebook mit einer Abmahnung dazu, einen gesperrten Beitrag des Getty-Fotografen Markus Hibbeler wieder freizuschalten - ein bislang nicht gekannter Vorgang.

Facebook-Sperre für Vergleich zwischen Xavier Naidoo und Bushido

Allerdings entschuldigte sich Facebook bislang lediglich für die Sperre des Vergleichs der Musiker Xavier Naidoo und Bushido (vgl. Die Rückkehr der Eigentlichkeit und Medienhetze gegen Systemkritik), der sich Steinhöfels Worten nach "ganz und gar innerhalb der Grenzen der verfassungsrechtlich gewährten Meinungsfreiheit" bewegte, "in jeder denkbaren Hinsicht in Einklang mit den 'Gemeinschaftsstandards', den 'Nutzungsbedingungen' und den 'Facebook-Grundsätzen' stand, und in dem es "nicht einmal Sätze oder Passagen [gab], die auch nur annähernd fragwürdig gewesen sein könnten".

Die geforderte Unterlassungserklärung wurde von Facebook bislang nicht unterzeichnet, weshalb der Rechtsanwalt weiter eine Klage erwägt: "Der Zustand", so Steinhöfel, "dass der Nutzer die Fehler von Facebook hinzunehmen hat und auf den Kosten sitzen bleibt, soweit der Anwalt nicht pro bono arbeitet und damit seinerseits den Internet-Riesen aus Palo Alto subventioniert, kann jedenfalls nicht länger Bestand haben."

Hamed Abdel-Samad wandte sich mit seiner Unterstützung für Hibbeler auf Facebook direkt an dem Bundesjustizminister, den er dabei scharf angriff: Nicht ein "weltoffener Photograph, Blogger und Journalist" ist seinen Worten nach "eine Gefahr für die Demokratie, sondern ein Justizminister, der sich nicht an die Verfassung hält!"

Twitter-User weichen auf Gab.ai aus

Maas NetzDG-Bemühungen vermuten Nutzer auch hinter einer Sperrwelle auf Twitter, die vorgestern auch einen der deutschsprachigen Berühmtheiten des Kurznachrichtendienstes erwischte: Kolja Bonke, der vorwiegend mit sarkastischen Bemerkungen versehene Polizei- und Lokalzeitungsmeldungen weitertwitterte.

Seine Sperre erregte viel Aufmerksamkeit und löste auch unter Personen, die seine Äußerungen unangebracht (aber durchaus legal) fanden, eine Solidaritätswelle mit dem Hashtag #FreeKolja aus. Bei dem (inzwischen ebenfalls gesperrten) Trittbrettfahrer, der kurzzeitig unter seinem Namen twitterte, handelt es sich nicht um ihn selbst. Das gab Bonke auf der Twitter-Alternative Gab.ai bekannt, die sich explizit als Meinungsfreiheitsschützer versteht und gerade viel Zulauf hat.

[Update: Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hält Gab.ai aus Datenschutzsicht für keine gute Twitter-Alternative, weil "schon die Nutzung von Cloudfront zeigt, dass auch dort alle Daten in den USA landen." Er empfiehlt GNUsocial.de, das anonym nutzbar ist, keine IP-Adressen loggt und eine Twitter-Bridge anbietet.]