Hate-Speech-Hubschraubereinsatz statt Terroristenüberwachung

Rachid Redouane und Khuram Shazad Butt

Auch zwei der drei London-Bridge-Attentäter waren den Behörden vorher als Extremisten bekannt

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Nachdem sich die salafistische Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zu dem Massaker bekannte, bei dem am Samstagabend auf der London Bridge und im Borough Market sieben Menschen mit einem Lieferwagen und mit Messern ermordet und weitere 48 verletzt wurden (vgl. Erneuter Anschlag in London vor der Wahl) veröffentlichte Scotland Yard die Namen von zwei der drei durch finale Rettungsschüsse ausgeschalteten Täter.

Einer davon ist der gebürtige Pakistani Khuram Shazad Butt. Der 27-jährige Fußballfan, der die britische Staatsbürgerschaft erworben hatte, war ein den Sicherheitsbehörden bereits vor dem Anschlag bekanntes Mitglied der verbotenen al-Muhajiroun und ließ sich für eine Fernsehdokumentation dabei filmen, wie er im Londoner Regent’s Park vor einer IS-Flagge kniete. Auch Rachid Redouane, der andere Attentäter, dessen Name veröffentlicht wurde, soll den Behörden kein Unbekannter gewesen sein. Das behauptet zumindest der moslemische Geistliche Umar al-Qadri, der dem Guardian sagte, er habe diese in Irland mehrfach vor dem Marokkaner oder Libyer, der auch den Namen "Rachid Elkhdar" benutzte, gewarnt.

[Update: Inzwischen ist auch der Name des dritten Täters bekannt: Der Marokkaner Youssef Zaghba, der sich vor seiner Einreise ins vereinigte Königreich in Italien aufhielt, soll ebenfalls auf einer Beobachtungsliste gestenden sein, die niemand beachtete.]

Tories bauten Zahl der bewaffneten Polizisten ab

Die kurz nacheinander verübten Massaker in Manchester und London erwecken bei manchen Beobachtern den Eindruck, dass das Vereinigte Königreich von Terroranschlägen besonders betroffen ist - obwohl es dort Sicherheitsmaßnahmen wie eine relativ flächendechende Videoüberwachung in Großstädten gibt. Angesichts dieser Videoüberwachung wird jedoch oft vergessen, dass das Land weder eine Melde- noch eine Ausweispflicht kennt und dass seine Polizisten nur in Ausnahmefällen Schusswaffen mit sich führen. Der erste Polizeibeamte an der London Bridge musste im Kampf gegen die Terroristen deshalb auf das "Tackling" zurückgreifen, das er als Rugbyspieler gelernt hatte. Und als Opfer auserkorene Barbesucher mussten die Täter acht Minuten lang selbst mit Stühlen und Flaschen abwehren, bis bewaffnete Polizisten vor Ort waren.

Oppositionsführer Jeremy Corbyn (der nach den Massakern von Manchester und London seine Haltung zum finalen Rettungsschuss korrigierte) hat die britische Premierministerin Theresa May (deren Forderung nach mehr Internet-Überwachung von Wikileaks als "technisch gesprochen kompletter Unsinn" eingestuft wird) deshalb zum Rücktritt aufgefordert. May, so der Labour-Vorsitzende, trage als langjährige Innenministerin im Kabinett Cameron die Verantwortung dafür, dass die Zahl der bewaffneten Polizisten zwischen 2010 und 2016 verringert worden sei.

Nach dem Manchester-Attentat hatte Außenminister Boris Johnson das Gegenteil suggeriert, weshalb der Good-Morning-Britain-Moderator Piers Morgan Kulturministerin Karen Bradley fragte, was denn nun zutreffe. Bradley jedoch verweigerte ihm auch auf hartnäckiges Nachfragen die Antwort, die der ehemalige UKIP-Vorsitzende Nigel Farage später via Twitter gab: Die Zahl der bewaffneten Beamten sank zwischen März 2010 und März 2016 von 6.976 auf 5,639.

Suboptimale Ressourcenallokation

Eine Rolle dabei, dass die Anschläge von Manchester und London geschehen konnten, spielt auch eine suboptimale Ressourcenallokation, die dazu führte dass Khuram Shazad Butt zwar dem MI5 und Scotland Yard bekannt war, aber anscheinend nicht ausreichend überwacht wurde - während man gleichzeitig Millionen von Pfund dafür ausgab, dass der (nicht einmal angeklagte) Wikileaks-Gründer Julian Assange die Botschaft von Ecuador nicht verlässt und Hubschraubereinsätze durchführte, weil auf einer Gartenparty ein Scherzlied gespielt wurde, das eine Beamtin für "Hate Speech" hielt (vgl. Tories könnten absolute Mehrheit einbüßen). Die durch solche Vorfällen gebundenen Ressourcen standen bei der Überwachung der laut Polizeisprecher Mark Rowley etwa 23.000 Extremisten und 3.000 Terrorverdächtigen nicht zur Verfügung.

Die Ressourcenallokation ist auch in Deutschland eine Frage, über die Strafverfolgungsbehörden nachdenken sollten (vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages hält NetzDG ebenfalls für europarechtswidrig). Vielleicht hatte Deutschland dieses Wochenende einfach nur Glück, dass man die Salafisten, wegen denen am Freitag das Festival "Rock am Ring" unterbrochen wurde, bei einer zufälligen Kontrolle erwischte, bevor sie Schaden anrichten konnten. Zu mindestens einem der drei Männer liegen laut Polizeipräsidium Osthessen "deutliche Erkenntnisse im Bereich des islamistisch geprägten Terrorismus" vor.

Dass es nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Deutschland Sicherheitsprobleme gibt, zeigen nicht nur die 12 Toten und 55 Verletzten des Amri-Massakers in Berlin (vor dem eine Überwachung anscheinend nur vorgetäuscht wurde), sondern auch Vorfälle wie der Mord an einem fünfjährigen russischen Buben in einer Asylbewerberunterkunft im oberpfälzischen Arnschwang. Er macht deutlich, dass eine Elektronische Fußfessel, wie sie der wegen schwerer Brandstiftung vorbestrafte afghanische Täter trug, die Öffentlichkeit nur dann wirksam schützen würde, wenn sie in eine Gefängnismauer eingelassen wäre, so wie ihre nichtelektronischen Vorgänger. Die Motive des Täters von Arnschwang sind bislang unklar. Ein Gericht hatte nach seiner sechsjährigen Haftstrafe eine Abschiebung verhindert, nachdem er behauptete, zum Christentum übergetreten zu sein.

Während von den 48 Verletzten des London-Bridge-Massakers 18 weiter um ihr Leben bangen, sprachen der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan und mehrere andere britische Politiker auf einer Gedenkveranstaltung in der Nähe des Tatorts. Weniger gut besucht als diese Gedenkveranstaltung war eine Anti-Terror-Demonstration moslemischer Frauen, die ein CNN-Fernsehteam Vorwürfen in Sozialen Medien nach so in Szene gesetzt haben soll, dass ein anderer Eindruck entstand.

CNN wiederum wirft den Social-Media-Seiten, die sich auf ein hinter der Kamera gedrehtes Privatvideo beziehen, vor, selbst einen irreführenden Eindruck zu erwecken, weil die Aufnahme nach eigenen Angaben nur zeige, wie das CNN-Kamerateam einzelne Schilder filmt, während die Polizei die Demonstranten nach und nach einzeln durch die Kontrollen lässt.

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