Pakistan: "Ausländische Verschwörer" im Gummiboot

In anderen Ländern würde eine Schwimmmeisterschaft in den Bergen als höchste Asiens vermarktet werden - in Pakistan wird sie von Agenten beäugt. Foto: Gilbert Kolonko

In der friedlichen Hochgebirgsregion Gilgit-Baltistan ist der Geheimdienst allgegenwärtig - aber auch die Touristen kommen

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Ein vermeintlicher ausländischer und ein pakistanischer Spion paddeln in einem Gummiboot auf dem 2600 Meter hoch gelegenen Borithsee. Die Ziellinie, gebastelt aus Stangen, Kanistern und einem Banner, ist zusammengebrochen. Die Schwimmer des Halbfinales der ersten Schwimmmeisterschaft Gojals in Gilgit-Baltistan stehen bereit. Die Badekappe des einen ist aus der Blase eines Fußballs geschnitten und die Badehosen aller Teilnehmer sind … originell.

Vom steilen Gelände des Hotels applaudieren etwa 400 Zuschauer. Darunter sind 7 von 20 pakistanischen Geheimdiensten, die in Pakistans nördlichster Region ihr Unwesen treiben. Ein älterer Zuschauer, mit wettergegerbten Gesicht und dem flachen Hunza-Hut auf dem Kopf, sagt kopfschüttelnd zu seinem Nachbarn: "Das ist verrückt, so etwas habe ich noch nie gesehen."

Am nächsten Tag rufen vier weitere Geheimdienste im Hotel am Borithsee an; sie wollen die Namen der Schwimmer, an die die umgerechnet 250 Euro Preisgeld ausgeschüttet worden ist. Wer diese Leute jahrelang beobachten konnte, weiß, dass die unterste Agentengarde keine schlechten Menschen per se sind - für sie ist es einfach nur ein Job in einem Land, in dem bezahlte Arbeit schwer zu bekommen ist. Der Sinn ihres Tuns wird ihnen immer verborgen bleiben.

In einer Gegend wie Hunza-Gojal, wo die Kriminalität bei nahezu Null liegt und die Rate der Menschen, die lesen und schreiben können, bei nahezu 100 Prozent, taugt auch Terrorismus nicht wirklich als Grund. Zumal das Nanga-Parbat-Massaker im Jahr 2013, das in der Problemgegend Chilas standfand, weder von den Geheimdiensten verhindert wurde, noch irgendein Wille zur Aufklärung vorhanden war. Still und heimlich sind dann auch noch die einzigen Verdächtigen aus dem Gefängnis geflohen (oder bei diesem Versuch erschossen worden).

Japanische Backpacker ohne Visum, die hier angeblich seit Jahren umherirren

Die hiesigen Agenten leisten ihre Arbeit unbewusst: Misstrauen und Angst unter der Bevölkerung säen. Mal werden japanische Backpacker ohne Visum, die hier angeblich seit Jahren umherirren, zum Anlass für Hausbesuche genommen, mal angebliche indische Spione. Alles, was hier an wenigen Touristen regelmäßig auftauchte, ob aus Pakistan oder dem Ausland, seien "ausländische Verschwörer", wird der Bevölkerung ins Ohr geflüstert - inklusive der Herren im Gummiboot.

Natürlich beschuldigen sich die verschieden "Dienste" auch gegenseitig, denn sie stehen in Konkurrenz zueinander - und sind erpicht auf Informationen aus einer friedlichen Gegend, aus der es keine Information zu melden gibt. Das Misstrauen in der Bevölkerung ist soweit geschürt worden, dass einige glauben, der lokale politische Aktivist Baba Jan, der unter fadenscheinigen Anklagen unter den Anti-Terror-Gesetzen zu mehrmaligen lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt wurde, sei in Wirklichkeit ein Agent des ISI.

Die Möglichkeiten für Bergfreunde in Pakistan sind so zahlreich, dass so etwas hier als leichtes gehen auf 5000 Meter gilt. Foto: Thomas Kolonko

Doch dieses Mal ging der Plan ihrer Vorgesetzten schief, mit der ungestörten "Arbeit" in Gilgit-Baltistan ist es vorbei: Anfang 2014 begann die pakistanische Zeitung The Dawn mit Artikeln über die malerischen Berggegenden in Gilgit-Baltistan. Viele Pakistaner wussten bis dahin nicht einmal von der Existenz der umstrittenen Region, die ein Teil des Kaschmirkonflikts ist. So verirrten sich bis 2014 fast nur ausländische Bergsteiger und Backpacker dorthin. Andere Zeitungen folgten The Dawn, dazu das Fernsehen.

Nach den alltäglichen Schreckensmeldungen gab es endlich etwas, worauf ein Pakistaner stolz sein konnte in seinem Land. Bis dahin war eine komplette Generation in Gilgit-Baltistan darum betrogen worden, ihren Lebensunterhalt mit der Schönheit ihrer Heimat zu verdienen. Mit Mühe hatten sie es geschafft, von den nach 9/11 ausbleibenden Touristen einen kleinen Teil zurückzubekommen. Doch ihre eigene Regierung torpedierte ihre Anstrengungen. Mit immer neuen Hürden bei der Visaausstellung macht man es ausländischen Gästen schwerer, nach Gilgit-Baltistan zu reisen.

Stimmen wie Baba Jan, die schon früh darauf hinwiesen, dass ihre Verantwortlichen aus dem Süden des Landes Gilgit-Baltistan Stück für Stück an die Chinesen verkaufen, wurden zum Schweigen gebracht. Doch im Sog einer wahren Gilgit-Baltistan-Euphorie im Land konnten die Nimmermüden in Hunza und Skardu loslegen und Werbung im Rest des Landes machen. Selbst Staatsdiener, die sich für ihr Stillhalten nicht mit einer jährlichen Reise zur Internationalen Tourismusbörse nach Berlin kaufen lassen wollten, rührten die Werbetrommel.

In Hunza Gojal dürfen junge Frauen aus Karatschi auch außerhalb der vier Wände sein, wie sie möchten. Foto: Gilbert Kolonko

Im Jahr 2016 kamen dann eine Million Pakistaner auf Urlaub nach Gilgit-Baltistan. Viele Großstädter aus Lahore und Karatschi mussten sich beschämt eingestehen, dass diese Bergbewohner toleranter und aufgeschlossener sind als sie selbst. Dass Bildung für alle hier keine lose Phrase ist. Dass Frauen in farbenfrohen Kleidern zum Straßenbild gehören. Aber auch, dass das allgegenwärtige Feindbild Indien hier nicht vorhanden ist. Im Gegenteil: Die kleine Gemeinde aus Azad Kaschmir und die pakistanischen Verantwortlichen halten 1,5 Millionen Menschen aus Gilgit-Baltistan für ihre irrwitzigen Pläne eines vereinten Kaschmirs unter pakistanischer Flagge als Geisel, denn bis heute ist Gilgit-Balitistan deswegen kein offiziell anerkannter Teil Pakistans.

Nun bringt schnelles Wachstum Schwierigkeiten jeglicher Art mit sich - und nicht nur die, dass viele Touristen im letzten Jahr an Orten wie Karimabad mangels Hotels auf der Straße schlafen mussten. Aber nun liegt es zumindest in der Hand der Menschen Gilgit-Baltistans, wie sie damit umgehen. Nach allem was von den pakistanisch-chinesischen Verträgen in Sachen Seidenstraße durchgesickert ist, wird klar, dass die pakistanischen Verantwortlichen vorgehabt hatten, die Bodenschätze der Region und die Früchte, die der Tourismus hervorbringen kann, klammheimlich an China zu verscherbeln.

Karimabad und einer seiner 7000 Meter hohen Berge im Herbst. Foto: Gilbert Kolonko

Da überrascht es nicht, dass in der angeblich gleichberechtigten Partnerschaft Visafreiheit für alle chinesischen Bürger vereinbart wurde, die Pakistaner dagegen weiter ein Visum benötigen, wenn sie China besuchen wollen. Soll man es den Chinesen vorwerfen, dass ihre pakistanischen Verhandlungspartner nicht das Wohl ihrer Bürger im Sinne haben, sondern einzig das Füllen ihre eigenen Taschen?

Chinesen könnten zur Lösung des Kaschmirkonflikts beitragen

Dazu werden die Chinesen langsam und Schritt für Schritt zur Lösung des Kaschmirkonflikts beitragen, weil für sie ein professionell freundliches Verhältnis zu Indien wichtig ist. Denn nur mit dem 1,25 Milliarden-Einwohner-Markt Indien wird es China einfacher fallen, das benötigte "Wirtschaftswachstum" einfahren zu können, um die eigene Bevölkerung mit steigendem Konsum bei Laune zu halten. Das würde auch die Kräfte innerhalb des pakistanischen Militärs stärken, die erkannt haben, dass ihre eigenen Extremisten eine größere Gefahr fürs Land sind als Indien. Am 9. Juni sind zwei entführte chinesische Staatsbürger ermordet worden. Ihre elf Kollegen haben zu ihrer eigenen Sicherheit Pakistan verlassen.

Dass es unter den Chinesen den pakistanischen Journalisten, Menschenrechtlern und Aktivisten Pakistans schlechter geht, ist nicht zu erwarten - diese wurden schon reihenweise ermordet, als sich noch vorwiegend die Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien um Pakistan kümmerten. So wie Perween Rahman, die sich in Karatschi unter anderen für Menschen einsetzte, die von den Kriminellen der Stadt von ihrem Land vertrieben wurden, um dort sogenannte moderne Smart Citys zu bauen. Perween legte sich ohne Angst mit den Mächtigen der Metropole an - und das waren nicht islamische Fanatiker, sondern Politiker und ihre gewalttätigen Banden. Am 13. März 2013 wurde Perween auf offener Straße erschossen.

Das Warten auf die Touristen hat ein Ende. Foto: Gilbert Kolonko

So wundert nicht, dass der Grundstein für den "Touristen-Sturm" in Gilgit-Baltistan durch den in Karatschi verlegten The Dawn gelegt wurde. Die Redakteure haben nicht vergessen, dass Perween eine dieser Menschen war, die sich, von der Bevölkerung kaum bemerkt, im Kampf für die Benachteiligten opfern. Kaum bemerkt, ging es auch in Gilgit-Baltistan vonstatten, doch manchmal gewinnen auch die Guten.

Nun fließt das Geld dieses Mal nicht nur in die Taschen der punjabischen Herren und ihrer korrupten Helfer, sondern in die der lokalen Bevölkerung. Dazu können sich jedes Jahr eine Million Pakistaner ein eigenes Bild machen, ob Gilgit-Baltistan weiter ein Spielball in Sachen Kaschmir sein soll - und was die Chinesen da im Norden treiben.