Mosul: Der IS und der Horror des vergifteten Essens in einem Flüchtlingslager

Hubschrauber-Angriff auf IS-Positionen in der Altstadt von Mosul. Screenshot, Video/Twitter

"Die Staaten unterstützen spezielle Gruppen zu speziellen Zeiten aus speziellen Gründen"

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Der große Moment, der Tag der Befreiung von Mosul aus den Händen des IS steht bevor. Seit Wochen wird dies angekündigt: von Generälen (Mosul: Warten auf das Zeichen vom schiefen Turm), in Nachrichtenagentur-Meldungen und in Twitter-Accounts. Der ganze al-Zanjali-Distrikt in West-Mosul soll jetzt offiziell von irakischen Kräften erobert worden sein, meldet Iraqi Day1 am Dienstagvormittag.

Vor zwei Tagen hatte Iraqi Day schon einmal gemeldet, dass al-Zanjali erobert sei und die irakischen Einheiten nun daran gehen, das IS-Kalifat in der Altstadt zu beerdigen. Illustriert wurde das mit einer Karte, die den an Mosul näher Interessierten mittlerweile schon bekannt ist: Sie zeigt die eroberten Stadtviertel in grün und die vom IS gehaltenen in Weiß. Lange Zeit waren zwei Gebiete direkt am Westufer weiß, jetzt endlich ist auch eins davon in großen Teilen grün.

Mosul: Zerstörungen und ein wahnsinniger Aufwand

Die Karte findet man auch bei WorldOnAlert, einem zwielichtigem Twitter-Account, der häufig Erfolgsbilder und -clips, nicht selten grausam, von Dschihadisten einspeist, der Account-Betreiber "from Germany" ist eindeutig kein Fan von Assad und Russland, aber auch nicht der USA. Der Betreiber kennzeichnet sich so: "I'm against all dictators & terror organisations." Seiner Mitteilung zur Eroberung von al-Zanjali (auch al-Zinjili) ist zu entnehmen, dass die Kämpfe drei Wochen dauerten und der ganz Distrikt von Luftangriffen und den Kämpfen zerstört sei.

Kürzlich wurde über ein aktuelles US-Budget-Dokument bekannt, dass die irakischen Elitetruppen 40 Prozent(!) an Verlusten in Mosul zu verzeichnen haben.

Dies nur um anzudeuten, welcher Aufwand nötig ist und welche Verluste, welches Leid und welche Zerstörungen allein mit dem Kampf gegen den IS in Mosul verbunden sind. Dabei ist bei allen aktuellen Ereignissen zu beachten, welche Abgründe die Vorgeschichten bloßlegen.

Die Vorarbeit

Dass sich der IS in Mosul derart eingraben konnte, ist einer Vorarbeit von sunnitischen Politikern in Mosul zu verdanken, lautet eine Anklage aus dem Jahr 2015. Nun sind solche Anklagen nicht frei vom Vorwurf, sich der Spannungen zwischen Sunniten und Schiitten zu bedienen. Dass das Justizministerium in Bagdad Anfang 2017 einen Haftbefehl gegen einen der beteiligten Politiker, dem Gouverneur der Provinz Mosul, Atheel Nujaifi, aus diesen Gründen ausstellte, mag als Indiz dafür gelten, dass die Vorwürfe nicht aus der Luft gegriffen sind.

Dabei ist die Verquickung politischer Interessen und der Förderung des IS in Mosul nur ein lokaler Ausschnitt; in der größeren Dimension kann man wie Ex-US-Präsident Obama einen Zusammenhang zwischen dem US-Einmarsch im Irak und der Entstehung des IS herstellen.

Dass sich al-Qaida und seine Filialen derart im Irak und in Syrien verankern konnten, hatte politische Interessen zur Voraussetzung, die wenig von dem begriffen, was sie anrichten. Oder sie haben mit Absicht ein Chaos herbeigeführt, unterstützt von einer in großen Teilen unkritischen Berichterstattung.

Die Macht des IS-Horrors

Mit dem IS ist eine Bedrohungslage entstanden, die alles ausschöpft, was die Hässlichkeit des Krieges zu bieten hat. Jüngstes Beispiel sind 752 Vergiftungsfälle in einem Flüchtlingslager bei Mosul. Mindestens zwei Menschen sind an dem gelieferten Essen gestorben.

Derzeit noch unklar, ob das Essen unabsichtlich durch mangelnde Hygiene, zum Beispiel schlechtes Wasser, zu Vergiftungserscheinungen führte. Das klingt nach der wahrscheinlichsten Möglichkeit. Oder durch ein falsches Verhalten der britischen NGO "Help the needy", die mit der Versorgung zu tun hatte. Es wird polizeilich ermittelt. Der Verdacht wird aufrecht erhalten, dass die Vergiftung absichtlich herbeigeführt wurde.

Das Essen wurde aus Erbil angeliefert. Es sind mehrere Hunderttausend, die aus Mosul geflüchtet sind. Solche, die nicht bei Verwandten, Bekannten oder über Beziehungen woanders untergekommen sind, sind auf die Flüchtlingslager und die Versorgung angewiesen. Was, wenn man dem Essen nicht mehr trauen kann?

Solange die Ursachen des vergifteten Essens nicht geklärt sind, zeigt sich, über welchen Möglichkeitsraum des Schreckens der IS verfügt. Ob eine Schießerei in einem Münchner Vorort oder vergiftetes Essen in einem Flüchtlingslager bei Mosul, der IS ist stets eine der Möglichkeiten, an die zuerst gedacht wird. Bei Mosul hat man dafür noch viel mehr Gründe. Erst gestern wurde der Aufruf des IS an Anhänger in den USA, Europa, Russland, Australien, Syrien und Iran, Attacken auszuführen, über den IS-Kanal auf Telegram erneuert, berichtet Middle East Eye. Verifiziert sei die Audio-Botschaft aber nicht.

Muss sie schon gar nicht mehr, die Drohung ist so oder so präsent. Ob Berichte tatsächlich zutreffen, wonach der IS laut Dokumenten, die in Mosul gefunden wurden, die Absicht verfolgt hat, Vergiftungsaktionen durchzuführen, ist schon beinahe zweitrangig, weil sich die Erkenntnis aufdrängt, dass die Gefahr durch den IS in Syrien und im Irak auch nach der Befreiung Mosuls und Raqqas für die Bevölkerung bestehen bleibt.

Mit den Dschihadisten zusammenspielen

Eine Voraussetzung dafür schufen oder schaffen noch immer die Interessensmächte, die strategisch mit dschihadistischen Milizen kalkulieren. Wie die dazu gehörige Formel am Beispiel von al-Qaida aussieht, präzisiert das frühere Führungsmitglied der al-Nusra-Front, Abu Sulayman, in einem Satz, den er im Interview noch einmal wiederholt, um ihn in seiner Spannweite auszukosten:

Diese Staaten unterstützen spezielle Gruppen ("movements") zu speziellen Zeiten aus speziellen Gründen.

Abu Sulayman

In dem Video-Interview, das der Ex-al-Nusra-Mann einem den Dschihadisten nahestehenden ONG-Journalisten Bilal Abdul Kareem gab, ging es darum, wer angesichts des Streits zwischen Saudi-Arabien und Katar welche Miliz unterstützt.

Abu Sulayman äußerte Bekanntes, wie zum Beispiel, dass die Türkei und Katar Ahrar al-Sham unterstützen. Bei Hayat al-Tahrir al-Sham, der neuesten Benennung der al-Qaida-Filiale in Syrien, war Sulayman etwas undeutlicher - angeblich hat sich diese Gruppe auch bei den Geldgebern isoliert -, bis er die zitierte Formel fand.

Es wäre wirklichkeitsfern anzunehmen, dass IS-Milizen von solchen Zusammenspielen ausgenommen sind. Einen Hinweis darauf gab Obama, als er davon sprach, dass die USA sich vom IS erhofften, dass er Baschar al-Assad in Schach halte. Solchen "Schachspielen" und der Chaos-Politik hat der IS seine Position zu verdanken.