Doch keine Rundfunklizenzpflicht für Livestreamer?

Manuel Höferlin, Nicola Beer und Jimmy Schulz in ihrem Präsentationsvideo zur Abschaffung der Lizenzpflicht für Livestreamer. Bild: Nicola Beer. Screenshot: TP

Die FDP hat das Land Nordrhein-Westfalen im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, sich für eine Änderung einzusetzen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wie die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer zusammen mit den FDP-Netzpolitikern Jimmy Schulz und Manuel Höferlin gestern bekannt gab, haben die Liberalen in Nordrhein-Westfalen durchgesetzt, dass der am Freitag fertig gestellte schwarz-gelbe Koalitionsvertrag dort folgenden Satz enthält: "Die Regeln für Streaming-Dienst passen wir an das digitale und konvergente Zeitalter an (keine Lizenzpflicht)."

Hintergrund sind Rechtsauffassungen in den Landesmedienanstalten, denen zufolge der § 2 des deutschen Rundfunkstaatsvertrages (RstV), in dem Rundfunkangebote als "lineare Informations- und Kommunikationsdienste" definiert werden, die sich "an die Allgemeinheit richten", "durch die Nutzer weder zeitlich noch inhaltlich beeinflusst werden können", "entlang eines Sendeplans verbreitet werden", "sich an mehr als potenziell 500 gleichzeitige Nutzer richten", "journalistisch/redaktionell gestaltet" werden und "nicht ausschließlich persönlichen oder familiären Zwecken dienen", auch für Streaming-Angebote gilt (vgl. YouTube: Werden deutsche Nutzer erneut ausgesperrt?).

Gamerkanal PietSmietTV

Die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) forderte den Twitch-Gamerkanal PietSmietTV deshalb unter Androhung von Bußgeldern und eine Ausstrahlungsuntersagung dazu auf, bei der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) eine 1.000 bis 10.000 Euro teure Rundfunklizenz zu beantragen, worauf hin PietSmietTV vom Netz ging (vgl. Streit über Rundfunklizenz: PietSmietTV geht vom Netz).

Um dieses Gebaren von Landesmedienanstalten zu verhindern, reicht allerdings kein einzelner Koalitionsvertrag (zumindest nicht unmittelbar): Wie die drei FDP-Politiker selbst einräumen, muss dazu der gerade kursierende Entwurf eines neuen Rundfunkstaatsvertrages geändert werden, bei dem nicht die bald schwarz-gelb geführte Düsseldorfer, sondern die rot-grün-gelbe Mainzer Staatskanzlei federführend ist. Ob ein "Appell" an diese Kanzlei ausreicht, aus der teuren Lizenzpflicht eine bloße Notifikationspflicht zu machen, wie Schulz sie vorschlägt, ist fraglich. Dazu müsste die Mainzer FDP womöglich mit einem Ausstieg aus der Ampelkoalition drohen, wofür es bislang keine Anzeichen gibt.

Zustimmung und weitergehende Forderungen in Sozialen Medien

In Sozialen Medien stieß der FDP-Vorstoß trotzdem ganz überwiegend auf Zustimmung - und auf weitergehende Forderungen wie die nach einer Abschaffung der als obsolet angesehenen Landesmedienanstalten und der Rundfunkgebühren. Solche weitergehenden Forderungen haben sich in der FDP bislang noch nicht durchgesetzt, sondern lediglich in kleineren Parteien, die weniger eng mit der bestehenden Medienlandschaft verwoben sind.

Vor der Lizenzbeantragungsaufforderung an PietSmietTV hatte der ZAK-Vorsitzende Siegfried Schneider verlautbart, "das Netz" sei "voll von rundfunkähnlichen Angeboten". Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) glaubte nach einem Gespräch mit Tobias Schmid, dem vor kurzem neu eingesetzten Direktor der LfM, nicht, dass hinter der Lizenzforderung nur finanzielle Motive der Landesmedienanstalten stecken:

In seiner neuen Aufgabe hat er sich, wie er im Gespräch mit dieser Zeitung erklärt, viel vorgenommen: Er will zeigen, wie weit der Rundfunkbegriff im Internet reicht, also wer dem Verständnis der Medienaufsicht nach Rundfunk macht und entsprechend eine Rundfunklizenz braucht. Und er will dafür sorgen, dass die Landesmedien als Aufsicht gefragt sind, wenn es um Hassrede und Falschnachrichten im Netz geht. […] Für Plattformen im Netz gälten dieselben Grundsätze wie für - andere - Medienunternehmen. Den Landesmedienanstalten falle die Aufgabe zu, für die Achtung der Menschenrechte, Vielfalt, Jugend- und Nutzerschutz zu sorgen.

FAZ-Autor Michael Hanfeld interpretiert diese Aussage als Angebot, als ein Quasi-"Wahrheitsministerium" zu agieren, dass nicht erst eingerichtet werden muss, sondern schon besteht und praktischerweise einen anderen Namen trägt:

Landesmedienanstalten [...], die als Medienaufsicht ziemlich in Vergessenheit geraten sind, [sehen] jetzt [...] die Chance [...], groß rauszukommen. Ihr habt ein Problem mit dem Internet, mit Hassrede und Fake News?, rufen sie der Politik zu, und: Wir haben die Lösung, wir sind die Lösung, verteilen Lizenzen und räumen auf.

(Michael Hanfeld)

Die von Hanfeld gewitterte Option könnte an Bedeutung gewinnen, wenn das von Bundesjustizminister Heiko Maas geplante "NetzDG" doch nicht durch den Bundestag kommt, was der ehemalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) auf Twitter versprach (und was bei Usern dort auf große Skepsis stieß, weil die Union den Entwurf immerhin durch das Kabinett winkte). Dass der Entwurf am Bundesrat scheitert ist aus zweierlei Gründen unwahrscheinlich: Erstens stehen dort Länder mit SPD-Regierungsbeteiligung hinter Maas - und zweitens hat die Bundesregierung das Gesetz als nicht zustimmungspflichtig eingestuft.

Verzögert sich die Zustimmung des Bundestages allerdings bis zur Sommerpause, besteht eine Chance, dass ein neues Bundeskabinett im Herbst das Vorhaben fallen lässt: In den aktuellen Umfragen der Institute GMS, Infratest dimap und Forschungsgruppe Wahlen hätten CDU, CSU und FDP im Bund nämlich eine Mandatsmehrheit - und mit der gäbe es wahrscheinlich keinen Bundesjustizminister Maas mehr, sondern vielleicht einen wie Beer, Schulz oder Höferlin (vgl. FDP: Wahlkampf mit Meinungsfreiheit).