Real und Deutsche Post wegen Kameraanalyse von Kunden angezeigt

Warteschlange vor einer Postfiliale in München. Foto: TP

Gesichterauswertung soll auch auf Kategorien wie Kleidung und vermutete Gefühlslage ausgedehnt werden

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Der Staatsanwalt, so heißt es, ist der Anwalt des kleinen Mannes - weil er nämlich nichts kostet. Eine Strafanzeige kann jeder stellen - theoretisch reicht dazu ein Satz. Handelt es sich jedoch um technische Neuerungen und ein von der Rechtsprechung noch relativ unbeackertes Gelände, dann steigert man die Erfolgschancen einer Strafanzeige deutlich, wenn man sie von einem Experten formulieren lässt.

Für letzteres hat sich der Bielefelder Verein Digitalcourage entschieden, der unter anderem die Big-Brother-Negativpreise verleiht. Er will mit Strafanzeigen gegen die Deutsche Post AG und die Real SB-Warenhaus GmbH ein seit Herbst 2016 in aktuell 40 Real-Märkten und 40 Filialen der Deutschen Post laufendes biometrisches Kundenanalysesystem der Augsburger Echion AG nach den Paragrafen 44 Absatz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) und 77 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) ahnden lassen (vgl. Werbedisplays mit Gesichtserkennung: Digitalcourage will gegen Deutsche Post und Real klagen).

Ideal für Preisdiskriminierung

In der bislang als Versuch deklarierten Analyse, die die Post auf weitere 100 Filialen ausdehnen möchte, werden über Werbedisplays an den Kassen nicht nur die Gesichter der Kunden zeitgestempelt erfasst und (mindestens kurzzeitig) gespeichert - ihnen werden auch automatisiert Werte für Geschlecht, Alter und Hinsehdauer zugeordnet (vgl. Werbedisplays mit Gesichtserkennung auch in Real-Märkten). Damit gewinnt man erstens Anhaltspunkte zum Erfolg einer Werbung und kann zweitens sofort auf Spots und Produkte umschalten, von denen man glaubt, dass sie bei einer Mehrheit der betrachteten Betrachter in der Warteschlange besonders gut funktionieren.

Später soll die Analyse auch auf Kategorien wie Kleidung und vermutete Gefühlslage ausgedehnt werden. Diese Daten könnte man dann theoretisch dazu nutzen, verschiedene Preise für Produkte und Dienstleistungen zu berechnen, wie Kerstin Demuth von Digitalcourage glaubt - so wie bei Online-Versendern, wo das Bestellen mit Apple-Geräten teilweise deutlich mehr kostet (vgl. Amazon-Deutschland-Chef bestätigt unterschiedliche Preise).

Lediglich Hinweise auf konventionelle Kameraüberwachung

Problematisch daran ist, dass Real und die Post ihre Kundschaft lediglich auf eine "konventionelle Kameraüberwachung" hinweisen - aber nicht auf die Analysen. Aus diesem Grund können die Wartenden in den (vor allem bei der Post) häufig sehr langen Schlangen der Auswertung ihrer Daten auch nicht widersprechen. "Wenn diese Firmen nichts dabei finden, die Präferenzen ihrer Kunden auszuforschen", so Rechtsanwalt Kompa dazu, "bleibt unverständlich, warum sie dies heimlich tun."

Ebenfalls unverständlich ist, warum ausgerechnet die Post hier keine Datenschutzbedenken erkennt, obwohl sie selbst die Absender von nach der Benachrichtigung verschwundenen Sendungen (die der Empfänger lesen hätte können, wenn sie zugestellt worden wären) mit Verweis auf den "Datenschutz" nicht herausgeben will. Bei dem ehemaligen Staatsbetrieb heißt es dazu lediglich, die "Technik" sei "auf datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit geprüft und mit dem ePrivacy-Siegel zertifiziert worden", weshalb "der Test datenschutzrechtlich allen gesetzlichen Vorgaben" entspreche.

Außer einen Verdacht auf Straftaten hegt der Verein auch den Verdacht auf Ordnungswidrigkeiten nach den Paragrafen 43, 6b, 4, 33 und 11 BDSG. Darüber hinaus hat er die nordrhein-westfälische Landesdatenschutzbeauftragte Helga Block dazu aufgefordert, das Verfahren nach Paragraf 38 Absatz 5 BDSG zu untersagen. Von ihr gibt es bislang ebenfalls noch keine Stellungnahme dazu. Unterlässt sie den erforderlichen Strafantrag, dann wird nicht wegen einer Straftat, sondern nur wegen Ordnungswidrigkeiten ermittelt und das Verfahren geht insgesamt an sie. In anderen Bundesländern ist man geteilter Ansicht: Während eine bayrische Aufsichtsbehörde die heimliche Analyse für unbedenklich hält, sehen das die Landesdatenschutzbeauftragten in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg ganz anders.

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