Risiken und Nebenwirkungen erweiterter DNA-Analysen

In Freiburg wurde über Gefahren und Chancen einer Technik debattiert, nach der schnell im Rahmen spektakulärer Kriminalfälle gerufen wird

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Die Morde an der Freiburger Studentin Maria L. im vergangenen Oktober und der Joggerin Carolin G. im vergangenen November im nahen Endingen haben die Gemüter nicht nur in Südwestdeutschland erregt. Seither tobt eine Debatte über erweiterte DNA-Analysen. Die hat über Bundesratsinitiativen aus Baden-Württemberg und Bayern längst den Weg nach Berlin gefunden. Auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) lässt nun einen Entwurf erarbeiten. Die Chancen der neuen Technologien werden aber meist völlig überschätzt und die Risiken unterschätzt, wenn sie in der erregt geführten Debatte überhaupt wahrgenommen werden. Auf einem Symposium wurde das Thema ausführlich kürzlich in Freiburg debattiert. Die Justizminister von Bund und Ländern werden auf ihrer Konferenz am Mittwoch und Donnerstag beraten.

Natur- und Sozialwissenschaftler, Kriminalisten, Juristen, Datenschützer und Anthropologen kamen kürzlich in Freiburg zusammen, um eine "Qualitätsoffensive" zu starten. Denn tatsächlich ist die Debatte oft von unrealistischen Vorstellungen geprägt, die von der US-Serie CSI geprägt zu sein scheinen. Gerne wird so getan, als habe man damit ein objektives Allheilmittel zur Verbrechensaufklärung zur Hand. "Die Möglichkeiten werden deutlich überschätzt, die Risiken dagegen massiv unterbewertet", erklärt deshalb auch Prof. Dr. Anna Lipphardt, die am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie forscht, gegenüber Telepolis.

Mit ihrer Schwester Prof. Dr. Veronika Lipphardt gehört sie zu den Initiatorinnen des Symposiums. Beide gehören einer multidisziplinären Wissenschaftlergruppe Freiburg, Berlin, Basel und Newcastle an, die sich gegen eine vorschnelle, nicht regulierte Einführung erweiterter DNA-Analysen in der Forensik wendet, aber sich nicht grundsätzlich dagegen stellt. Aber zu viele wissenschaftliche, rechtliche und ethische Fragen seien offen, für die es eine breit aufgestellte Expertise von Wissenschaftlern und Praktikern brauche. Wünschenswert wäre beispielsweise "ein Konzept für eine wissenschafts- und praxisübergreifende Initiative" um zunächst "Regulierungs- und Qualitätsstandards für den möglichen Einsatz" zu formulieren, erklären die Forscherinnen gegenüber Telepolis.

In Freiburg hatte zum Beispiel Polizeipräsident Bernhard Rotzinger im Rahmen der Ermittlungen nach dem Mord an Maria L. nach einem "Phantombild aus dem Labor" gerufen. In der Politik sprang man schnell mit Gesetzesvorhaben auf den Zug auf. Es war die schwarz-grüne Landesregierung Baden-Württembergs, die über Justizminister Guido Wolf (CDU) vorgeprescht war und entsprechende Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht hatte. (Erweiterte DNA-Analysen sollen bei Mordaufklärung helfen). Eine umfassendere Auswertung von DNA-Spuren hätte der Polizei bei der Tätersuche "massiv geholfen", meinte Rotzinger. Der Freiburger Polizeipräsident wollte am Tatort gefundene Spuren von Blut, Speichel oder Sperma auch auf Haut-, Augen- und Haarfarbe sowie Herkunft und Alter untersuchen.

Doch nach Angaben von Professor Peter Schneider, der die Abteilung für Forensische Molekulargenetik am Institut für Rechtsmedizin der Uni Köln leitet, ist bis zu diesem "Phantombild" bestenfalls noch ein weiter Weg. Dass eine Firma in den USA schon behauptet, "sie könnte das schon - und virtuelle Gesichtsbilder aufgrund von DNA-Spuren" erstellen, glaubt Schneider nicht. "Das sind dann eher ethnische Stereotypen, keine individuellen Gesichter. Das ist aus meiner Sicht eine Schande für die seriöse Wissenschaft", sagte er im WDR-Interview.

"Die Merkmale, die wir für die erweiterte DNA-Analyse typisieren - äußere Körpermerkmale, genetische Herkunft oder chronologisches Alter - sind nicht geeignet für die Identifizierung einzelner Personen." Man könne nur "gruppenspezifische Merkmale festlegen". Die können dann dazu dienen, den Kreis möglicher Verdächtiger "in der Hoffnung" zu reduzieren, den Täter tatsächlich in einer solchen Teilgruppe zu finden.

Obwohl auch herausragende Spezialisten wie Schneider bremsen, sind schon tiefgreifende Änderungen in der Strafprozessordnung vorgesehen. Über die die Bestimmung von äußeren Merkmalen und der sogenannten "biogeografischen Herkunft" hinaus, geht es in mehreren aktuellen Gesetzesanträgen auch um eine erhebliche Ausweitung der Erhebung, Speicherung und Verwendung von DNA-Spuren, die zum Beispiel auch die Suche nach "Beinahe-Treffern" in polizeilichen Datenbanken oder die standardgemäße Erhebung und Speicherung des sogenannten "genetischen Fingerabdrucks" bei allen Deliktarten einschließen. Der Richtervorbehalt sowie die Informations- und Begründungspflicht sollen nach den bisherigen Vorstellungen für eine DNA-Entnahme entfallen.