"Ganz Griechenland für Miki"

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Eine persönliche Hommage an Mikis Theodorakis, den Giganten der griechischen Musik, der als 92-Jähriger am Montag ein denkwürdiges Konzert gab

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Am Montagabend fand in Athen, im geschichtsträchtigen Kallimarmaro-Stadion, ein Konzert statt. "Ganz Griechenland für Miki", war der Titel der Veranstaltung, bei dem ein Chor von 1000 Sängern zusammen mit einem Orchester und Einzelinterpreten einen Abend für den wohl bedeutendsten Musiker Griechenlands veranstaltete. Das Kallimarmaro-Stadion, eine antike Sportarena, die für die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit 1896 in Athen mit privaten Spendengeldern renoviert worden war, erschien den Veranstaltern als die passende Kulisse für den knapp zweiundneunzigjährigen, mittlerweile sehr gebrechlichen Giganten der griechischen Musik.

Zeit seines Lebens war Theodorakis als harter Mann bekannt. Bereits als Jugendlicher war er im Widerstand gegen die Nazibesatzung aktiv. Im anschließenden Bürgerkrieg kämpfte er als Partisan der Kommunisten gegen die von Großbritannien und den USA unterstützten Konservativen. Später wurde er verbannt und unter der Obristendiktatur (1967 bis 1974) gefoltert.

"Ganz Griechenland für Miki" (10 Bilder)

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Mikis, wie er in Griechenland von Freund und Feind genannt wird, ging ins Ausland und in den Widerstand. Dabei hatte er in Mosche Dajan einen engen Freund und Unterstützer. Trotzdem brachten spätere Äußerungen Theodorakis zu aktuellen Themen auch den unberechtigten Vorwurf des Antisemitismus ein. Mikis beklagte sich darüber bei der Tochter Dajans, mit der auch heute noch in Kontakt ist.

Mikis polarisierte immer, auch als er Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger zusammen mit dem konservativen, neoliberalen Premierminister Konstantinos Mitsotakis in die Regierung ging. Was auch immer Theodorakis, der den aktuellen Premier Griechenlands, Alexis Tsipras, als Opportunisten, Populisten und Verräter sieht, politisch gemacht hat, ist nicht Thema des vorliegenden Textes. Vielmehr geht es um das, was auch die "Freunde Mikis Theodorakis" auf Facebook veröffentlichten:

Der Mann, der nicht weinte, als man ihm das Bein brach, nicht seufzte als man ihn lebendig auf Markonissos begrub, nicht klagte, als man ihn auf Ikaria in eine Sickergrube voll Kot warf, nicht schluchzte, als man ihn vor das Erschießungskommando in Tripolis stellte und als er in Oropos (bei der Verbannung) einen Blutsturz erlitt, bricht in Tränen aus bei der Beendigung des Dirigierens der "Entsagung".

Es geht um eine persönliche Erfahrung des Autors als Kameramann beim Konzert und um Mikis Theodorakis als eines seit der Kindheit wie ein Verwandter im Leben des Autors befindlichen Menschen.

In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebte ich die Jahre der Obristendiktatur als kleines Kind. In Aachen hatte sich damals einen großen Teil des Widerstands gegen die Junta versammelt. Die Mikis-Konzerte im Audimax der RWTH Aachen waren daher eher politische Ereignisse für die Griechen und ein Erlebnis für die deutschen Aachener, welche die Junta nicht mochten und zugleich die Dynamik von Mikis Musik liebten.

Eine Fotografie verschwommen, dunkel und komplett unscharf erinnert mich an eines dieser Konzerte. Ich hatte eine kleine Pocket-Kamera mit Kleinbildkassette und drückte auf den Knopf. Um damit den vor mir befindlichen "Fels" zu verewigen.

Mikis erschien mir in meinen Kinderaugen wahrlich als Riese, während ich im Orchestergraben stehend auf die Bühne schaute. Natürlich gelang das Bild nicht. Mit einem ASA 100 Standardfilm und der ungeübten Kinderhand erschien zu meiner Enttäuschung nur eine Erschütterung eines Körpers in absolutem Schwarz auf dem Foto. Im Urlaub in Ouranoupoli auf Chalkidiki sah ihn Jahre später durch die Straßen spazieren. Mit einer analogen Spiegelreflexkamera gelangen Fotos, die aber nie das waren, was ich immer noch suchte.

Die Jahre vergingen, Mikis wurde älter und greise, Konzerte gab er nicht mehr. Ich traf ihn auf dem Syntagmaplatz in Athen im Februar 2012 als er zusammen mit anderen gegen die Spardiktate demonstrieren wollte. Eine Tränengasgranate eines ignoranten Polizisten streckte ihn nieder. Meine Kamera zeichnete alles auf und die Fotos landeten in der Presse. Zurück blieb bei mir ein ungutes Gefühl. Seit dem denkwürdigen Februar leidet Theodorakis unter schweren Atemproblemen. Sein körperlicher Verfall wurde beschleunigt.

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Später erhielt ich bei der Weltpremiere des Films "Recycling Medea" von Asteris Koutoulas eine erneute Gelegenheit dem Komponisten nahe zu kommen. Koutoulas, ein Freund, der trotz tiefgreifender politischer Dispute zwischen uns, niemals ein böses Wort verlor, betraute mich mit der Fotografie seiner Premiere. Er ist Mikis Biograph, seit er damals als Übersetzer in der damaligen DDR die Auftritte des Komponisten im Ostblock begleitete.

Koutoulas war auch derjenige, der mir einen privaten Zugang zu Theodorakis ermöglichte. So fand ich mich in Mikis Wohnung zusammen mit dem Journalistenkollegen Hans-Georg Hermann ein. Hermann führte ein Interview für die Frankfurter Allgemeine, ich übersetzte und sollte eigentlich auch Fotos machen. Fotos? Ich sah einen alten Greis, zusammengekauert in einem Sessel an Havanna-Zigarren nagend. Seine Ärzte haben das Rauchen verboten. Die teuren Zigarren waren Mikis Lohn für Konzerte auf Kuba, sie wurden ihm von Fidel Castro persönlich gegeben. Ein Foto von dieser Szene? Da weigerte sich sogar meine Kamera. Es erschien mir als Frevel und so gab ich eher unprofessionell Archivfotos weiter.

Am vergangenen Samstag kam dann eine SMS von Asteris Koutoulas: "Kommst du zu Mikis mit der Kamera." Ich ging, mit einem Backstage-Pass ausgestattet und dem heimlichen Traum, das seit der Kindheit ersehnte Bild zu schießen hin. Schließlich waren wir zwei Kameraleute für Koutoulas -reh vor Ort und ich erhielt dadurch erhebliche Bewegungsfreiheit. Tatsächlich ließ es sich Theodorakis, der im mit Zehntausenden gefüllten Stadion das Bad in der Menge genoss, nicht nehmen, selbst zu dirigieren. Zuerst machte er dies von seinem Ehrenplatz vor der Bühne unter frenetischem Beifall aus dem Publikum.

Ich beobachtete, wie der sichtbar gebrechliche Greis seine Begleiter darum bat, ihn auf die Bühne zu rollen. Im Stadion wurde es chaotisch, Dutzende von Fotografen versuchten, das Geschehene festzuhalten. Ich selbst kroch in Absprache mit einigen Musikern zwischen die Geiger, die direkt vor dem im Rollstuhl sitzenden Maestro waren. Dort konnte ich auf dem Boden liegend zu Mikis heraufschauen. Wie ein Heiligenschein wirkte das von hinten auf den Körper fallende Flutlicht.

Mikis dirigierte die "Entsagung" ein vertontes Gedicht des Literaturnobelpreisträgers und Diplomaten Giorgos Seferis. Das Foto, welches ich ersehnte gelang und ich fuhr mit dem Video fort.

In anderthalb Minuten konzentrierte Mikis die Quintessenz des Konzerts, eine charmolypi, wie der griechische Ausdruck für eine mit Freude kombinierte Trauer heißt. Freude an der musikalischen Pracht, und Trauer über die Vergänglichkeit und oftmalige Sinnlosigkeit unserer Präsenz auf der Erde. Ich verließ das Konzert mit sehr gemischten Gefühlen. Am Tag darauf las ich Mikis Kommentar zum Abend. Der Komponist empfindet ein Weiterleben nach dieser Erfüllung als ungerecht.

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