Deutschlands erste "Multikulti"-Moschee eröffnet

Berlin-Moabit Alt-Moabit Johanniskirche. Die Moschee befindet sich einem Nebengebäude. Foto: Fridolin freudenfett (Peter Kuley) / CC BY-SA 3.0

Shitstorm und Morddrohungen sind die Folge

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Am vergangenen Wochenende eröffnete in Berlin-Moabit die erste liberale Moschee Deutschlands in den Räumen der Berliner Kirche St. Johannes. Das Besondere an dieser Moschee ist, dass sich hier Sunniten, Schiiten, Aleviten und Sufis gemeinsam zum Gebet versammeln. Türkische Medien versuchen nun diese Moschee als Gülen-Projekt zu diffamieren und damit in eine terroristische Ecke zu stellen. Für die türkische Regierung sind alle Gülen-Organisationen Terrororganisationen.

Für eine Reihe von Muslimen ist es offenbar anstößig, dass eine Imamin gemeinsam mit einem Imam das Freitagsgebet leitet (siehe Ein Gebet erschüttert die muslimische Welt) und auch homosexuelle Muslime und Muslimas sowie Gläubige anderer Religionen willkommen sind, Männer und Frauen beten gemeinsam, es gibt keinen Kopftuchzwang und auch die Imamin trug bei der Eröffnungszeremonie kein Kopftuch.

Die Moschee steht allen offen

Die Moschee steht allen offen, außer Muslimas mit Nikab oder Burka. Diese Ausnahme erfolgt in erster Linie aus Sicherheitsgründen - radikale Islamisten könnten so bewaffnet in die Moschee eindringen. Aber die Gründer sind auch der Auffassung, dass Vollverschleierung nichts mit dem Islam zu tun hat, sondern dass dies ein politisches Statement ist. Imam Abdel-Hakim Ourghi und Imamin Elham Manea leiteten in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee bei der Eröffnung am vergangenen Freitag das Gebet.

Die Moschee-Initiative geht auf die türkischstämmige Anwältin Seyran Ates zurück. Die Frauenrechtlerin ist seit vielen Jahren politisch aktiv. Schon in den 1980er Jahren arbeitete sie in Berlin-Kreuzberg in einer Beratungsstelle für Frauen und Mädchen aus der Türkei und wurde dort Opfer eines Attentats, das sie schwer verletzt überlebte.

Nun steht sie wieder im Fokus von islamistischen und nationalistischen Organisationen. Es gab schon erste Morddrohungen. Auch im Ausland fand die Eröffnung große Resonanz. Die negativen Reaktionen überwogen dabei. Nach einem Bericht des arabischen Programms der Deutschen Welle über die Eröffnung der Ibn Rushd-Goethe-Moschee, der bis Montagnachmitttag 1,6 Millionen Mal angeschaut wurde, waren die meist arabischen Kommentare negativ.

Morddrohungen gegen Ates und Karakoyun

Besonders der Privatsender Ahaber hat sich mit einer Hetzkampagne hervor getan. Ahaber ist für seine oft konstruierten und jeglicher sachlicher Grundlage entbehrenden Beiträge bekannt. Dort wurde behauptet, die Ibn Rushd-Goethe-Moschee sei ein FETÖ-Projekt, wie die Gülenbewegung in der Türkei bezeichnet wird. Unhinterfragt übernahmen türkische, regierungsnahe Zeitungen wie Sabah und Star, und auch die Religionsbehörde Diyanet diese Behauptung.

Ein Foto von Seyran Ates und Abdel-Hakim Ourghi, einem Freiburger Islamwissenschaftler, der von Ahaber irrtümlich als Ercan Karakoyun, Vorsitzender der deutschen Gülen-nahen "Stiftung Dialog und Bildung", benannt wurde, diente als Beleg. Karakoyun dementierte in einer eilig verfassten Pressemitteilung: "Hizmet hat nichts dem Projekt von Seyran Ates zu tun. Weder die Stiftung noch irgendeine Hizmet-Einrichtung sind daran beteiligt - auch ich persönlich in keinster Weise. Diese Moschee entspricht nicht unserer Vorstellung des Islams. In einer pluralistischen Gesellschaft tolerieren wir selbstverständlich auch so ein Vorhaben."

Morddrohungen gegen Karakoyun und Ates ließen nicht lange auf sich warten. Ates, die Anfeindungen in Deutschland gewohnt ist, spricht von einer neuen Dimension von Bedrohung. Dadurch, dass die Religionsbehörde in Ankara sie in die Nähe Gülens stellt, besteht auch Gefahr für ihre Familienangehörigen in der Türkei. Wie im Falle vieler angeblicher Gülen-Anhänger, ist zu befürchten, dass auch sie in der Türkei in Sippenhaft genommen werden.

Der türkische Journalist Cem Kücük lieferte in einem Fernsehinterview den Beleg für solche Befürchtungen: Der türkische Geheimdienst MIT habe die Befugnis, auch im Ausland "Operationen" durchzuführen. Die Befugnis, auch in Deutschland aktiv zu werden, bestätigte sich jetzt durch das Verfahren gegen einen türkischen Spitzel, der die kurdische Szene ausspionierte.

Die Bundesanwaltschaft hat Mehmet Fatih S. vor dem Oberlandesgericht in Hamburg angeklagt. Er soll 30.000 Euro Spitzellohn erhalten haben und die Ermordung eines kurdischen Politikers geplant haben.

SPD-Kanzlerkandidat Schulz kritisiert Haltung der türkischen Regierung

Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kritisierte die Haltung der türkischen Regierung gegenüber der liberalen Moschee scharf und nannte sie "unerträglich". Wie in allen Religionen gäbe es auch im Islam unterschiedliche Strömungen. Für jede Strömung gelte die Religionsfreiheit in Deutschland.

Trotz aller Anfeindungen lässt sich Seyhan Ates nicht einschüchtern. Die Frauenrechtlerin und Muslimin lässt sich gegenwärtig selbst zur Imamin ausbilden. Als fortschrittliche Muslimin sei es verantwortungslos, auf die konservativen Verbände zu schimpfen, anstatt selbst aktiv zu werden, sagte sie in einem Spiegel-Interview. Zeitgleich mit der Eröffnung der liberalen Moschee erschien ihr neues Buch "Selam, Frau Imamin" im Ullstein-Verlag.