Ein neuer Historikerstreit?

Deutsche Medien debattieren über einen Film über Antisemitsmus

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"So tütendoof wie sein Gegenstand", nennt Friedrich Küppersbusch die Antisemitismus-Doku "Auserwählt und ausgegrenzt - Der Hass auf die Juden in Europa" in der taz und bringt damit eigentlich schon alles auf den Punkt, was zu dem Film selbst zu sagen ist: Ein schwach recherchiertes, an Ausgewogenheit, Differenzierung und Belegen und vor allem Moral desinteressiertes Machwerk rechtskonservativer und anti-islamischer Propaganda, das mal so eben den Fatah-Chef und Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, zum Erben von "Stürmer"-Hetzer Julius Streicher erklärt. Wenn das der Führer wüsste!

Vor allem hat der Film sein Thema verfehlt. Statt wie der Untertitel suggeriert, geht es nicht um den "Hass auf Juden in Europa", sondern im Nahen Osten, wo ein großer Teil des Films spielt. Das Europa, das er zeigt, besteht dann auch zu nicht geringen Teilen aus arabisch-stämmigen Migranten; Räumlich reduziert es sich vor allem auf Frankreich und Deutschland - so als ob es Judenhass nicht auch in Ungarn gäbe, in Polen, in der Slowakei und in Österreich.

Nur ist es da ein dezidiert rechtsextremistischer Judenhass. Und das passt den Machern anscheinend nicht ins Konzept. Denn offensichtlich will der Film gar nicht vom Hass auf Juden als solchem erzählen, sondern vom sehr speziellen Antisemitismus der Linken. Dagegen ist zunächst einmal nichts zu sagen, auch wenn dies offenbar nicht der Senderauftrag war, denn das Thema ist natürlich wichtig. Aber auch hier wird manches ausgeblendet, und vieles in einen Topf geworfen: Denn nicht jede Kritik an Banken oder der US-Außenpolitik ist verkappter Antisemitismus, wie es der Film darstellen will.

Der Judenhass in Nadelstreifen

Weiterhin ist die Erkenntnis, dass es linken Antisemitismus gibt, keineswegs neu. Die "Antideutschen" haben die Diskussion darüber schon vor über 20 Jahren geführt. Allerdings haben Linke, das darf man dann auch mal sagen, in Europa keine Vernichtungslager für Juden gebaut. Im Effekt verharmlost der Film den rechten Antisemitismus durch die Verlagerung der Gewichte. Als ob Antisemitismus vor allem ein Problem der Linken und der Mitte wäre.

A propos Mitte: "Auserwählt und ausgegrenzt" lässt seine Kamera zwar ausgiebig auf Kirchentagen flanieren, bei "Brot für die Welt", zeigt ahnungslose Sozis und krude Verschwörungstheorien bei Abgeordneten der Linken. Was aber vollkommen ausgeblendet wird: Der Judenhass in Nadelstreifen, der Antisemitismus der braven Bürger.

Wie gesagt, mehr müsste man nicht über diesen Film sagen, der ganz zu Recht von den auftraggebenden Redaktionen des WDR und ARTE auch nach einer Reihe abverlangter Änderungen für nicht sendefähig erklärt worden ist, wären nicht fast alle Feuilletons auf eine wie es scheint, geschickt eingefädelte Kampagne der beleidigten Filmemacher reingefallen.

Nachdem - wie eigentlich? - bekannt wurde, der Film würde nicht in dieser Form gesendet werden, war er bald - wie eigentlich? - der BILD-Zeitung zugespielt worden und durch deren Website in der Welt (siehe BILD gegen Arte). Dann las man in der selben taz, in der Küppersbusch zum fraglichen Film feststellt, dieser würde "Judenhass und Kritik an der Politik Israels nebensatzweise suggestiv zu einer hässlichen Pampe ... vermischen" und behaupten, "Montagsirre und Globalisierungskritiker" seien "eine, nun ja, Mischpoke. ... 'Die Gegenseite verallgemeinert unzulässig!', ruft es, während es die Gegenseite unzulässig verallgemeinert", in derselben taz also liest man unter der dusselige Titelzeile "wehrhafte Juden sieht man nicht gern" (als hätte es nicht letzte Woche erst an gleicher Stelle einen Themenabend zum Sechs-Tage-Krieg gegeben) und den Vorwurf der Zensur.

Die Filmemacher bekommen nun in FAZ, Tagesspiegel und taz viel Platz, um sich als Opfer der Zensur durch böse Gremien zu präsentieren: Da fallen dann neben viel Selbstmitleid - "Mit uns spricht seit sechs Monaten keiner" - und ein paar paranoiden Behauptungen - "Schautribunal ... kommentiert senden. ... Die Maischberger-Runde hält ihre Gästeliste geheim" - die bekannten Phrasen: "Debatte anstoßen".

Der Themenabend mit Maischberger-Erklär-Debatte bot dann auch bis auf die Überlegung, ob die Muslims von Heute die Juden von Morgen sind - "Ich erlebe den täglichen Antisemitismus nicht … Aber wie hoch ist das Anti-Muslimische in Deutschland. Das ist signifikant höher…" so Rolf Verleger - wenig neuen Erkenntnisse, sondern viel Unsinn. Im süffisanten Ton sprach Michael Wolffsohn dem WDR "zivilisatorische Höflichkeit" ab, nannte den Film "ein Weltereignis" und behauptete, dieser "zeigt, dass weite Teile der Linken auch von diesem Bazillus infiziert sind", er zeige auch "den weithin tabuisierten muslimischen Antisemitismus".

Der WDR wolle "dass Medien die öffentliche Meinung steuern." Historiker Wolffsohn ist ein, sagen wir mal, "kontroverser" und sehr dezidiert konservativer Historiker, den manche schon vor Jahren in der Nähe der Neuen Rechten sahen. Aber auch andere öffentliche Parteigänger des Films spiegeln bekannte Allianzen: Die Angeklagten sind jene Sender, die die gleichen Leute in den Siebzigern schon als "Linksfunk" verächtlich gemacht haben.

Und es geht gegen einen Sender, der angeblich seinem Programmauftrag nicht gerecht wird. Dabei liegt dieser Programmauftrag gerade darin, missglückte und einseitige Beiträge auch mal nicht zu zeigen, um keinen falschen Eindruck zu erwecken. Auch die anderen Feindbilder sind fragwürdig: Es sind dann eben wieder Moslems die Bösen.

So interesselos, wie sie daherkommen, sie die Ankläger hier nicht. Eher bekommt man den Eindruck, hier würde ein paar ältere Herren vielleicht gern einen neuen Feuilletonstreit inszenieren, einen neuen Historikerstreit womöglich.