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Was war. Was wird. Von ungefragten Bürgern und anderen Neben-Sächlichkeiten.

Der Wolf hat das nicht verdient. Wenn Sicherheits-Paranoikern nach Kinderpornografie und gewöhnlichen Terroristen nichts mehr einfällt, dann kommen sie mit dem "einsamen Wolf". Der Wolf aber ist nicht einsam. Und kein Terrorist, betont Hal Faber.

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Wolf
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist passiert. In der Bundesrepublik Deutschland hat die Mehrheit der Christ-Demokraten und der Sozial-Demokraten in einem Eilverfahren einen Gesetzentwurf verabschiedet, in dem die Nutzung von Spionagesoftware für Ermittler rechtmäßig wird. Die bisher in sechs Jahren erst ein einziges Mal durchgeführte Online-Durchsuchung aller Speichersysteme und Computer oder die vier Mal eingesetzte Quellen-Telekommunikationsüberwachung mit abgefangenen Passwörtern von Messengerdiensten ist bei nun einer ganzen Reihe von Straftaten legalisiert worden, weit mehr als die schwersten Straftaten und terroristischen Bedrohungen, von denen ursprünglich die Rede war. Das alles zum Wohl und Schutz der Bundesbürger, mit einer per Bundestags-IT-Speicherung durchgesetzten Heimlichkeit und Eile, die die zentrale Frage offen lässt: Wenn diese Maßnahmen tatsächlich zum Wohle der Bürger wären: Warum hat man sie dann nicht diesen Bürgern vorgestellt und mit ihnen diskutiert?!

*** Übrigens nicht nur mit den Bürgern, wie es der Noch-Politiker Ströbele erfuhr, der bald seinen Abschied von der politischen Bühne nimmt. Er wollte den Unterschied zwischen der Online-Durchsuchung (1 mal gemacht) und der Quelle-TKÜ (4 mal gemacht) wissen und bekam die doch überraschende Antwort, dass alle Informationen bei FragdenStaat zu finden seien. Besonders apart zudem, dass die Software für die Online-Durchsuchung (ja, nur einmal durchgeführt, wissensschon) anders als die Quellen-TKÜ keiner standardisierten Leistungsbeschreibung unterliegt. Der Staat hat freie Hand, wie der ganze Rechner oder das Smartphone abgegriffen werden kann:
"Die Onlinedurchsuchung ist nicht auf laufende Kommunikation begrenzt, sondern erfasst grundsätzlich alle auf einem informationstechnischen System gespeicherten Daten. Daher muss die Software nicht auf die Erfassung der laufenden Kommunikation beschränkt sein. Einer standardisierenden Leistungsbeschreibung bedarf es hierfür nicht."

*** Jämmerlicher als Bürger umgehende Politiker sind nur noch die Journalisten, die dieses Schmierenstück beklatschen und argumentieren, dass nur mit diesen Lauschangriffen der einsame Wolf als größter Gefährder unserer Sicherheit zur Strecke gebracht werden kann. Abseits der verqueren Logik der Einzeltäterentdeckung ist dies besonders erschütternd in einer Zeitung zu lesen, die in derselben Ausgabe einen Bericht von den kanadischen Citizen Labs veröffentlichte, wie die mexikanische Regierung mit Hilfe israelischer Überwachungssoftware von NSO in 76 Angriffen Journalisten und Bürgerrechtler ausspionierte. "Der Spion, der aus dem Handy kam", empört sich das Blatt, das so viel warmes Verständnis für Computer-Ausschnüffelungen durch unsere Polizei zeigt.

*** Ist das vielleicht ein perverses Product Placement für den Einkauf der Apple-Schnüffelsoftware Pegasus durch die Online-Durchsuchungsbehörde ZITIS, die in dieser Woche von der Verteidgungsministerin von der Leyen eröffnet wurde? In Israel kauft man ja ganz gerne ein, ob Software oder Drohnen-Hardware oder (siehe oben), besonders hübsch anzusehen, die Gefechtsstände für den kommenden Cyberwar. In diesem Falle ist die dem Verteidigungsministerium bestens bekannte Firma IABG der Käufer und München natürlich der passende Standort. Wem Cyberbit nichts sagt: Die Mutterfirma Elbit Systems baut die bewaffnungsfähige Drohne Heron TP, deren Kauf nun auf dem aller-allerletzten Moment abgesegnet werden soll.

*** Es passt zu dieser Bundesrepublik, dass der offene Bruch des Rechts auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme in einem Gesetzentwurf zum Fahrverbot als Nebenstrafe versteckt ist, das weitere rechtliche Problemzonen aufmacht. Dazu gehört eine Pflicht zum Erscheinen von Zeugen bei polizeilichen Ermittlungen und die Nutzung von DNA-Spuren als genetische Augenzeugen, etwa bei der Untersuchung der biogeographischen Herkunft der Täter. Während der Führerscheinentzug vom Volk der Fahrkönner diskutiert wird, werden die Beibootgesetze geschluckt wie Diesel-Abgase. Protestieren, das ist was für diese Datenschützer und kritischen InformatikerInnen, die von einem "hintertückischen" Vorgehen sprechen, während die Politik keine Hemmungen mehr hat, das allzu Offensichtliche zuzugeben. Wie sagte es Bundesinnenminister Thomas de Mazière im Sommerinterview ganz freimütig? "Bestehende Schutzlücken durch die Sicherheitsbehörden zu nutzen, halte ich nicht nur für vertretbar, sondern im Ernstfall für notwendig." Von bestehenden Schutzlücken bis zum Einkauf noch unbekannter Schutzlücken durch den Staat ist es nur ein Quäntchen, in "Ernstfällen" gemessen.

*** Wo es finster und düster ist, wächst das Rettende auch, frei nach Johann Wolfgang von Goethe. Ein Quäntchen Glück brachte ein Urteil zur Vorratsdatenspeicherung für den Münchener Provider Spacenet. Klipp und klar heißt es da, dass der Personenkreis mit den zu speichernden Daten beschränkt sein müsse und eine Volksdatenerfassung nicht im Sinne der Feststellung des EU-Gerichtshofes ist. Was aus dem Urteil für andere Provider folgt, ist weniger klar. Darum ist der Protest nicht unwichtiger geworden, damit es heller und sonniger werden kann.

Was wird.

Eher düster dürfte sich Hamburg präsentieren, wo man eine vernetzte Welt gestalten will, gegen das wärmende Netz des neuen Chaos der vielen Unberechenbaren. Ob da in der anderen Welt in der Nähe der Mächtigen campiert werden darf, muss jetzt fix das Verfassungsgericht entscheiden. Vielleicht bekommen wir auch hier ein neues Gesetz, ein Demonstrationsrecht mit eingebautem Übernachtungsverbot, weil die Demokratie am Abend brav nach Hause geht. Es würde zu diesem ganz besonderen Nachtwächterstaat anno 2017 passen.

Es passt zur Republik, dass die Bundespolizei am Südkreuz in Berlin überhaupt keine Probleme hatte, die angestrebte Zahl von 275 Berufspendlern beim zweiten Testlauf der Gesichtserkennung zu erreichen. Somit könnte am 1. August der Test beginnen. Weil es noch keine internationale Ausschreibung gibt, bleibt die Sache spannend. Welche Firmen in den Vergleichstest einsteigen werden, ist offen. Es muss ja nicht immer Cognitec oder MorphoTrust sein, schließlich gibt es auch russische und chinesische Lösungen.

In der letzten Wochenschau wurde der nunmehr dritte Dokumentarfilm über Julian Assange erwähnt, der in Berlin Premiere hatte. In diesem Film geht es hauptsächlich um die Arbeit der Juristen um den spanischen Star Baltasar Garzón und die erfolgreiche Klage vor einem Schiedsgericht der Vereinten Nationen. Wie es die Juristin Avrila Renata im Film erklärt, wurde die Justiz so erfolgreich gehackt, auch wenn es im Fall Assanges keine Lösung brachte. Vieles wird aus der Perspektive von Ecuador geschildert, was auch damit zusammenhängt, dass in Ecuador aktuell versucht wird, Großbritannien anzuschubsen, die Botschaftsituation zu lösen. So ist der Film ein sehr südamerikanischer geworden, wovon man sich bei der Ausstrahlung am kommenden Mittwoch überzeugen kann.

Ansonsten rückt das Sommerrätsel immer näher. Feiern wir die Geburt des Personal Computers aus dem Geist der Hippie-Kultur, wo eine Pille dich groß macht und andere eine winzig klein (und ja, Mutters Pillen sind heutzutage manchmal gefährlicher als man damals erwarten konnte). Rote und blaue Pillen wird es auch geben, vor allem aber gute Fragen in den Sparten Hardware, Software und Wetware. Bis dahin: Frag doch einfach Alice (und Bob) und tanz den DeMaizière. Aber lasst die Hasen in Ruhe. Und die Wölfe auch. (jk)