Todesfallen-Dämmung auch in deutschem Hochhaus verbaut

Grenfell Tower. Bild: Natalie Oxford. Lizenz: CC BY 4.0

Wuppertaler Elfstöcker wird geräumt

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Zwei Wochen nach dem größten Brand der britischen Nachkriegsgeschichte im Londoner Grenfell Tower (vgl. Mehrere Tote bei Großbrand in Londoner Hochhaus) hat sich herausgestellt, dass ein ähnliches Dämmmaterial wie dort auch in mindestens einem deutschen Hochhaus verbaut wurde: Einem Elfstöcker im Wuppertaler Stadtteil Oberbarmen. Dessen Bewohner werden nun zwangsweise ausquartiert. Nach Informationen der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) begann die Räumung gestern um halb sechs Uhr abends mit Bussen und Polizeibeamten.

Der Wuppertaler Stadtverwaltung zufolge dürfen die Mieter so lange nicht mehr in dem Oberbarmener Elfstöcker wohnen, bis eine Baufirma die Fassade vollständig entfernt hat. Für die etwa 80 Bewohner sollen aber "kommunale Ersatzwohnungen im Wuppertaler Stadtgebiet" zu Verfügung gestellt werden, in denen sie so lange bleiben können, bis der private Eigentümer des in den 1960er Jahren errichteten Gebäudes die auf einer hölzernen (und deshalb ebenfalls brennbaren) Unterkonstruktion ruhenden Fassade entfernt hat. Ein Zeitplan dafür existiert bislang noch nicht - offenbar auch deshalb, weil sich der Eigentümer angeblich weigert, der Aufforderung nachzukommen.

Gefahr im Verzug"

Pressesprecherin Martina Eckermann nach wurde die Räumung angeordnet, nachdem eine Sicherheitsüberprüfung in Folge des Londoner Großfeuers eine "neue Bewertung" der Brennbarkeit mit "Gefahr im Verzug" und "sofortigem Handlungsbedarf" ergeben habe. Hinzu sei gekommen, dass das Haus an der Hilgershöhe durch die Feuerwehr nicht mit Drehleitern erreichbar und die Sicherheitstreppe nur über den Balkon zugänglich ist. Die Flure seien außerdem zu eng und die Balkone zu kurz. Derzeit prüfe die 1929 aus Elberfeld und Barmen entstandene Stadt, ob es weitere Hochhäuser gibt, bei denen ähnliche Mängel bestehen. In anderen deutschen Großstädten gibt man sich auf die Frage nach solchen Überprüfungen schweigsam und verweist lediglich auf allgemeine Bau- und Brandschutzvorschriften (vgl. Fassadenbrände: Bayerischer Innenminister will Dämmung untersuchen lassen).

[Update: Inzwischen hat die Berliner Zeitung ihrer Landesregierung entlockt, dass sie die Fassaden der Berliner Häuser nicht auf Brandsicherheit überprüfen lassen will.]

Der Wuppertaler Baudezernent Frank Meyer sprach gestern von einer "unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben", die die "einschneidende Maßnahme für die Menschen, die dort wohnen" erforderlich gemacht habe. Die wiederum meinten gegenüber Medienvertretern, sie hätten schon lange und immer wieder auf Mängel hingewiesen, ohne dass etwas geschehen sei. Man habe sie nur immer wieder vertröstet und versprochen, es werde etwas unternommen. Nun müsse plötzlich alles so schnell gehen, dass die Mieter von ihrer Räumung aus den Nachrichten erfahren. - Es scheint, als ob man in Wuppertal in den letzten Jahren andere Prioritäten gesetzt hätte (vgl. "Bretter, die der Welt gestohlen bleiben können").

England: 4.000 Ausquartierte und eine Suche nach Schuldigen

In England wurden nach Tests inzwischen bereits 95 von insgesamt etwa 600 geprüften oder noch zu prüfenden Hochhäusern als sehr gefährdet eingestuft (vgl. England: 600 Hochhäuser potenziell so gefährlich wie Grenfell Tower). In mehreren davon zwangen Behörden die Bewohner ebenfalls, die Gebäude bis zu einer "Sanierung der Sanierung" (die drei bis vier Wochen dauern soll) zu verlassen. Insgesamt mussten etwa 4.000 Menschen ihre Wohnungen räumen. Sie übernachten nun teilweise in Hotels. Alleine im Londoner Stadtteil Camden wurden die Mieter und Eigentümer von insgesamt etwa 800 Wohnungen evakuiert. Dort hatten Brandschutzprüfer neben brennbaren Fassaden auch falsch isolierte Gasleitungen und fehlende Brandschutztüren bemängelt.

Arconic, der Hersteller der brandgefährlichen Reynobond-PE-Platten, will sein Produkt trotzdem nicht ganz vom Markt nehmen, sondern weiter für niedrigere Gebäude anbieten. Scotland-Yard-Sprecherin Fiona McCormack zufolge ist noch unklar, wer wie viel Verantwortung für den Brand mit mindestens 79 Toten trägt und ob es zu Anklagen wegen fahrlässiger Tötung kommt. Aktuell prüfe man nicht nur sichergestellte Dokumente von Unternehmen, sondern auch von Behörden. Inzwischen wird auch das Kühlschrankmodell Hotpoint Fridge Freezer untersucht, das den Fassadenbrand ausgelöst haben könnte.

Das verheerende Feuer am Grenfell Tower dürfte dazu beigetragen haben, dass Premierministerin Theresa May in einer YouGov-Umfrage für die Times mit einem Zustimmungswert von 34 Prozent erstmals schlechter abschnitt als der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn, der auf 35 Prozent kam. Aber auch Labour-Politiker stehen in der Kritik: Sie hatten die Mehrheit in der Regionalregierung und im Planungskommitee, stellen den Londoner Bürgermeister und regierten zwar nicht, als das Haus gedämmt wurde, aber als man es baute. Trotzdem meinte John McDonnell, der Schatten-Schatzkanzler der Labour Party, die 79 Grenfell-Tower-Toten seien "durch politische Entscheidungen ermordet" worden.

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