Das Diesel-Drama und die Nachrüstungsdebatte

Nach dem Abgasbetrug bleibt vor allem Volkswagen unter Druck – allein Tausende Zivilprozesse stehen dem Autobauer noch bevor. Die Politik nimmt aber alle Hersteller in die Pflicht, den Stickoxid-Ausstoß zu senken. Bayern, BMW und Audi machen einen eigenen Vorstoß

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 25 Kommentare lesen
Die Nachrüstungsdebatte im Diesel-Drama
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Thomas Strünkelnberg, dpa

Drohende Fahrverbote, Debatten über Gesundheitsgefährdung, Kampf an mehreren juristischen Fronten – das Diesel-Drama lässt die Autobauer nicht los. Während viele VW-Kunden mit einem Schummel-Diesel vor der Haustür endlich wissen wollen, welche Rechte sie haben, lässt ein Vorstoß der bayerischen Hersteller Audi und BMW aufhorchen. Diese wollen ihre Euro-5-Dieselmodelle in Deutschland technisch nachrüsten, um den Ausstoß von Stickoxiden zu senken. Könnten Fahrverbote so verhindert werden? Klar ist: Die Branche kämpft um den Selbstzünder, ohne den es schwer werden dürfte, ab 2020 die verschärften europäischen CO2-Grenzwerte einzuhalten.

Zivilrechtliche Klagen

Ein VW Eos soll zurückgegeben werden, weil der Kunde sich auf die Angaben verlassen können muss.

(Bild: Volkswagen)

Die Anwälte der Kanzlei Hausfeld sehen Sprengkraft in einem Fall am Landgericht Braunschweig: Der Besitzer eines VW Eos will den Kaufpreis seines Diesel-Modells zurück (Az.: 3 O 21/17). Entscheidend für die Argumentation der Juristen ist die Frage, ob die von Volkswagen ausgestellte Bescheinigung zum Übereinstimmen mit der Typgenehmigung korrekt ist. Der Käufer habe sich auf die Richtigkeit verlassen. Diese Angaben seien aber falsch gewesen – heißt das nun, dass der Kunde sein Geld zurückbekommt?

Darüber befinden soll – wenn es nach den Hausfeld-Anwälten geht – gleich der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Entsprechende Anträge reichte die Kanzlei ein. Ein EuGH-Urteil wäre für alle Gerichte in der EU bindend. Für die Anwälte wird der Fall so zur „Musterklage“. Das Landgericht entscheidet nun aber erst Ende August.

Nach Angaben von Volkswagen sind in Deutschland knapp 4000 zivilrechtliche Verfahren anhängig. Bei der Internetplattform „myright.de“ liegen nach Angaben der Anwälte rund 30.000 deutsche Fälle. Laut Hausfeld soll die Klage in diesen Fällen im September eingereicht werden.

Bislang entschieden worden seien etwa zehn Prozent der Klagen, davon seien drei Viertel abgewiesen worden, gibt VW bekannt. Seit längerem gibt es eine Debatte um mehr Schutz für Kunden – auch mit Hilfe von Sammelklagen wie in den USA, wo der Abgas-Skandal mit weltweit rund 11 Millionen manipulierten Autos im September 2015 bekannt wurde. Allerdings gibt es Sammelklagen in Deutschland nicht.

Debatte um Fahrverbote und Nachrüstung für Euro-5-Diesel

Sowohl die Autohersteller als auch verunsicherte Kunden dürften für einen Ausweg aus dem Diesel-Schlamassel dankbar sein. Wäre die technische Nachrüstung von Euro-5-Dieseln, wie von Audi und BMW vorgeschlagen, ein solcher Ausweg? Viele Menschen, die einen älteren Diesel besitzen, würden sich wohl darüber freuen, so drohende Fahrverbote zu umgehen. Ohne weiteres dürfte das aber kaum zu machen sein. Die bayerischen Städte finden das Angebot unbefriedigend.

In der Vereinbarung mit der bayerischen Staatsregierung sagen BMW-Chef Harald Krüger und Audi-Chef Rupert Stadler zu, die Nachrüstung von Euro-5-Dieseln zum Selbstkostenpreis anzubieten. Das Angebot dürfte von etwa der Hälfte der Autofahrer angenommen werden. Es kostet laut Wirtschaftsministerin Ilse Aigner einen dreistelligen Euro-Betrag pro Auto. Im Falle einer bundeseinheitlichen Regelung wird angestrebt, dass die Nachrüstung für die Autofahrer kostenfrei ist. Machen alle Automarken bundesweit mit, könnte der Stickoxid-Ausstoß der Dieselautos 20 Prozent gesenkt werden. Insgesamt sind 5,9 Millionen Euro-5-Diesel in Deutschland zugelassen.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bekräftigt, dass die Optimierung von Diesel-Fahrzeugen gebündelt werden soll. Damit kommt er den Vorstellungen der Autobauer nahe: Volkswagen betont, eine bundesweite Regelung sei unerlässlich. „Volkswagen ist der Überzeugung, dass EU5-Selbstzünder mit einer entsprechenden Software-Lösung so verbessert werden können, dass Fahrverbote vermieden werden können“, erklärt Europas größter Autobauer. BMW-Finanzvorstand Nicolas Peter fordert ein klares Signal von der Politik. Ein Sprecher von Audi sagt, die Initiative aus Bayern „gibt der Sache Schwung – aber erst auf nationaler Ebene sind umfassende Ergebnisse zu erzielen“.

Was steckt hinter der Bereitschaft? Peter betont: „Ohne Diesel werden wir die Klimaziele in Europa nicht erreichen.“ Denn ab 2020 gilt ein Grenzwert von 95 Gramm Kohlendioxid je Kilometer – und die Hersteller tun sich schwer, diesen zu erreichen, wie Autoexperte Stefan Bratzel sagt. Im schlimmsten Fall drohten hohe Strafen. Gleichsam im Vorgriff versuchten die Firmen nun, Lösungen anzubieten und den Selbstzünder wieder „sozial akzeptabel“ zu machen. Gleichzeitig mahnt Bratzel, dass die Symbolpolitik mit Blick auf die Euro-Normen enden und ein Update auch auf der Straße eine klare Senkung des NOx-Ausstoßes bewirken müsse.

In jedem Fall sei der Aufwand enorm und werde Milliarden kosten. Die Frage sei, ob jeder Hersteller diese Zusatzbelastung bewältigen werde, fragt Bratzel mit Blick auf Massenhersteller wie Opel oder Ford. Auch sei der Aufwand für die Kunden groß: „Am stärksten profitieren sicherlich die Werkstätten.“ Eine logische Folge wäre aus seiner Sicht, so eine Regelung auf europäische Länder auszudehnen.

Das sind aber bei weitem nicht die einzigen Schwierigkeiten – wie gerade Volkswagen in den vergangenen Monaten erlebt hat. Die Genehmigungsprozesse brauchen Zeit, die Software müsste vom Kraftfahrt-Bundesamt erst freigeben werden. Dann stellt sich die Frage der Gewährleistung, unklar sind auch die technischen Risiken und Haltbarkeit einer solchen Lösung. Und schließlich: Wirkt sich ein Update auf die Typgenehmigung aus? Dann könnte eine neue Welle von Prozessen drohen. Volkswagen kann ein Lied davon singen – stützt sich die Kanzlei Hausfeld doch genau auf die Argumentation, dass die verkauften Fahrzeuge nicht mit dem genehmigten Typ übereinstimmen. (fpi)