Hamburg: Verdächtige Stille im Rathaus

G20-Protestwelle auf der Binnenalster in Hamburg am 2. Juli. Bild: Frank Schwichtenberg/CC BY-SA-4.0

Weil Polizei-Einsatzleiter Dudde sich über ein Gerichtsurteil hinwegsetzte und ein genehmigtes G20-Protestcamp räumen ließ, fordert die Linkspartei den Rücktritt des Innensenators

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Wer regiert eigentlich diese Stadt? Diese Frage mögen sich in den vergangenen Tagen so einige Hamburgerinnen und Hamburger gestellt haben. Die Gerichte sind seit geraumer Zeit mit der Frage beschäftigt, ob ein Protestcamp im Stadtpark erlaubt werden darf. Wenn sich die eine Seite durchsetzt, geht die andere juristisch dagegen vor. Drei Hundertschaften der Berliner Polizei, die zur Unterstützung an die Elbe kamen, wurden wegen "ungebührlichen Verhaltens" nach Hause geschickt (Ungebührliches Verhalten). Die Meldung, dass ein Kriegsschiff während des Gipfels im Hafen stationiert werden sollte, sorgte nicht nur in den Medien für Aufregung (Hamburg rüstet auf).

Die Liste der Teilnehmer am G-20-Gipfel wird immer kleiner, weil der eine, der brasilianische Präsident Michel Temer, überraschend verhindert ist, und ein anderer, der saudische König Salman bin Abdelasis al Saud, kurzfristig absagte.

All das wird in der Hansestadt heftig diskutiert. Viele Bürgerinnen und Bürger äußern in den Medien Unbehagen im Hinblick auf den Gipfel und die Proteste (Hart durchgreifen beim G20). Diese Besorgnis ist auch in der Doku "Szeneviertel" aus der Reihe "Nordstory" des NDR zu spüren.

Nur aus dem Rathaus schallt eine verdächtige Stille. Fast so, als handele es sich um ein unbemanntes Raumschiff und das Kommando in der Elbmetropole sei von fremden Mächten übernommen und der Senat mittels Mohnsäckchen in sanften Schlaf gewiegt worden.

Grotes Rücktritt gefordert

Am vergangenen Samstag gingen Bilder einer friedlichen und fröhlichen Demonstration um die Welt. Doch während die Zuschauerinnen und Zuschauer abends in den Nachrichten die Bilder von dem bunten Treiben auf der Alster genossen, braute sich wenige Kilometer entfernt ein handfester Skandal zusammen, der - wenn es nach dem Willen der Linkspartei ginge - Innensenator Andy Grote (SPD) das Amt kosten könnte.

Das Kulturmagazin "titel, thesen, temperamente" zeigte am vergangenen Sonntag Bilder, die spontan eher an die Türkei erinnerten, als an hanseatisches Understatement: Hubschrauber über Hausdächern, Absperrungen, schwer bewaffnete Einsatzkräfte und schweres Einsatzgerät.

Was die Autorinnen und Autoren während der Produktion des Films nicht ahnen konnten: In etwa so martialisch, wie in dem Beitrag angedeutet, beendete die Polizei an jenem Abend ein Protestcamp auf der Elb-Halbinsel Entenwerder, das als Alternative zum Stadtpark errichtet worden war - und zwar mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verwaltungsgerichts (VG) Hamburg .

So endete Tag 1 des "Festivals der Demokratie" (O-Ton Grote) mit einem handfesten Rechtsbruch. So bezeichnet es zumindest die Vorsitzende der Fraktion der Partei DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft, Cansu Özdemir, auf ihrer Facebook-Seite.

Ins Fadenkreuz der Kritik geriet zunächst der Einsatzleiter der Polizei, Hartmut Dudde, der, so schien es, vom Zweiten Steuermann zum Kapitän aufgestiegen war. Bekanntermaßen schöpft Dudde bei der Bewältigung des "größten Polizei-Einsatzes in der Geschichte Hamburgs" aus seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz bei den Castor-Einsätzen. Diese Erfahrungen scheinen auch die Richtlinie für die Räumung des Protestcamps in Entenwerder gewesen sein. Zumindest erinnern der Einsatz von Knüppeln und Pfefferspray stark an die "fünfte Jahreszeit" im Wendland, wenn die Castoren gegen den Willen der Bevölkerung rollten.

Die Polizei begründet den Einsatz mit einer Gefahrenlage: Es solle verhindert werden, dass "Gefährder" sich einen "Rückzugsraum" bilden können. Gegen die Genehmigung des Verwaltungsgerichts, das Camp in Entenwerder errichten zu dürfen, legte die Polizei Rechtsmittel ein. Am Montagvormittag folgte das Gericht der polizeilichen Einschätzung und verbot das Camp. Jetzt ist das Camp erst einmal verboten.

Etwa 32 Stunden lang war es aber erlaubt. Und über diese Erlaubnis setzte Dudde sich eigenmächtig hinweg. Das könnte fatale Folgen nicht nur für Grote, sondern auch für ihn haben. Denn müsste Grote den Hut nehmen, ist vermutlich auch Duddes Position gefährdet.