Ehe der Inklusion: Der Berg kreißte und gebar eine Maus

Zur quantitativen Bedeutung von LGBT, partnerschaftlichen Lebensgemeinschaften und möglichen Adoptionen in Deutschland

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Es fällt mir schwer, die Progressivität der LGTB-Bewegung (Freiheit zur nichtreproduktiven Sexualität, Anerkennung gerade der Differenz!) mit dem recht konservativen Jedermanns-Wunsch nach Kinder kriegen und Familie gründen übereinander zu bringen. Nun also wird mit großem Getöse aus dem Institut der zweigeschlechtlichen Ehe - wie etwa die Schule der Inklusion - die Ehe der Inklusion.

Die auf der einen Seite festgestellten Un-gleichheiten, also spezifischen Differenzen (homo - hetero) werden nun in dem einen Institut der Ehe inkludiert und sind trotz der Ungleichheit doch wieder gleichrangig, weil jetzt das gleiche Kriterium der Fürsorge herangezogen wird. Ob die Ehe durch den Wegfall des Kriteriums der Geschlechterdifferenz und das Heranziehen des ausschließlichen Kriteriums der gegenseitigen Fürsorge künftig auf eine Inklusion für nicht verwandte homosexuelle Paare beschränkt bleibt oder sich dann aus dem Fürsorgeprinzip folgend auch konsequenterweise z. B. für Geschwister oder polygame Konstellationen öffnen muss, wie es sie bereits in anderen Kulturkreisen und zu anderen Zeiten gab und gibt, ist nicht Gegenstand dieses Beitrags.

Nachgegangen wird auch nicht (Verfassungs-)Rechts- und Moralfragen oder der entwicklungspsychologischen Bedeutung gleichgeschlechtlicher Eltern für die betroffenen Kinder. Außen vor bleibt auch die Überlegung, wie viele Deutsche sich eigentlich wünschen, gleichgeschlechtliche Eltern zu haben. Und schließlich wird auch nicht beleuchtet, ob die nach Meinungsumfragen sehr hohe Akzeptanz der Deutschen für die "Homo-Ehe" tatsächlich auch bedeutet, dass sie diese im Innersten als gleichrangig mit der heterosexuellen Ehe oder Partnerschaft empfinden oder ob sie diese "differenten/abweichenden" Verbindungen nur tolerieren, diese als nunmehr politisch abgesegnetes Projekt einfach nur hinnehmen. Klar ist jedenfalls, dass sich mit einer Bundestagsabstimmung keine jahrhundertelang verfestigten Kultureinstellungen einfach vom Tisch wischen lassen.

Die recht massive Konfrontation mit diesem Thema in den letzten Jahren durch Fernsehen, Film, Zeitungen, Rundfunk usw. brachte mich statt der oben angesprochen Themen vielmehr zur Frage, wieviel Menschen eigentlich konkret zur Gruppe der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender, kurz LGBT, in Deutschland gehören. Über wen und wie viele debattieren wir eigentlich? Es geisterte in Gesprächen immer eine Zahl von um die 10% im Raum herum (mal abseits von der Frage, wieviel Prozent wovon?). Auch die Frage nach der Zahl geschlossener homosexueller Partnerschaften und der bereits heute in solchen Partnerschaften lebenden Kindern interessierte mich. In welchem Verhältnis steht die an den Tag gelegte hohe politische Relevanz dieser Themen mit den realen quantitativen Verhältnissen der LGBT-Community?

Die Datenlage zur sexuellen Orientierung der Menschen in Bezug auf LGBT ist bis heute noch nicht ohne Zweifel zu erheben, zu viele methodische Fragen sind noch offen. Welche Fragen in welcher Differenzierung stellt man, um aufschlussreiche und ehrliche Antworten zu erhalten? Fragt man nach der persönlich empfundenen sexuellen Identität oder nach bestehenden sexuellen Verbindungen? Wie soll die Befragung erfolgen: per face to face-Befragung oder anonym per Text, Festnetztelefon/Handy oder Internet usw. und zu welcher Uhrzeit? Welche Altersgruppen werden einbezogen: 18 bis 60 oder auch darunter oder darüber? Was führt zu welchen Vorselektionen? Welche Grundgesamtheiten müssen für zuverlässige Ergebnisse erreicht werden?

Wie auch immer - unter dem Vorbehalt der vorgenannten Anmerkungen sind in den letzten 15 Jahren in verschiedenen Ländern eine ganze Reihe von Untersuchungen und Studien zur sexuellen Orientierung durchgeführt worden. Teilweise wurden die sexuellen Orientierungen differenziert nach den einzelnen Richtungen (homosexuell, bisexuell, transgender) und nach Geschlecht (männlich, weiblich) untersucht. Andere Untersuchungen fassen dagegen Männer und Frauen zusammen und fragen für beide zusammen nach der sexuellen Orientierung; und einige wenige differenzieren zwar zwischen Männern und Frauen, fragen aber nur pauschal nach einer LGBT-Orientierung.

Wie groß sind die sexuellen Minderheiten in Deutschland?

Auf der Basis von 21 Untersuchungen zur Lage der sexuellen Minderheiten in verschiedenen (ausschließlich "westlichen") Ländern lassen sich Anhaltspunkte für deren Größenordnungen finden. Danach kann in der Altersgruppe von 18 Jahren an aufwärts im Mittel von 1,6% schwulen Männern und 1,4% lesbischen Frauen ausgegangen werden. Zusammen machen alle schwulen Männer und lesbischen Frauen 1,4% dieser Altersgruppe aus. Bisexuell sind etwa 0,9% Männer und 1,2% Frauen, zusammengefasst etwa 1,3% der Altersgruppe.

Fasst man beide Orientierungen (schwul/lesbisch und bisexuell; L/G, B) zusammen, machen sie etwa 2,8% aller Befragten dieser Altersgruppe aus. Das sind erstaunlich viel weniger als die kursierenden 10%.

Anteil von Schwulen, Lesben und Bisexuellen an der Gruppe Erwachsener
homosexuell bisexuell LGB gesamt
Analyse-Daten zu: Erhebungsjahr schwul lesbisch homosexuell insgesamt Männer Frauen bisexuell insgesamt
Deutschland 2000 1,30% 0,60% 1,90% 2,80% 2,50% 5,30% 7,20%
Australien 2003 1,60% 0,80% 2,40% 0,90% 1,40% 2,30% 4,70%
Kanada 2003 1,30% 0,70% 1,00% 0,60% 0,90% 0,70% 1,70%
USA 2004-5 1,00% 0,70% 1,70%
Kanada 2005 1,10% 0,80% 1,90%
Austarlien 2005 0,90% 1,20% 2,10%
USA 2006-8 1,40% 2,30% 3,70%
USA 2008 1,70% 1,10% 2,80%
USA 2009 1,80% 1,40% 3,20%
USA 2009 2,50% 3,10% 5,60%
Kanada 2009 1,00% 1,00% 2,00%
UK 2009-10 1,00% 0,50% 1,50%
Norway 2010 0,70% 0,50% 1,20%
UK 2011-12 1,10% 0,40% 1,50%
USA 2013 1,80% 1,50% 1,60% 0,40% 0,90% 0,70% 2,30%
Kanada 2014 1,70% 1,30% 3,00%
Kanada 2014 1,70% 1,30% 3,00%
USA 2014 1,90% 1,40% 1,60% 0,40% 1,10% 0,70% 2,30%
USA 2015 1,80% 1,40% 1,60% 0,50% 1,10% 0,80% 2,40%
UK 2015 1,60% 0,70% 1,10% 0,50% 0,80% 0,60% 1,70%
Mittelwert 1,60% 1,00% 1,40% 0,90% 1,20% 1,30%

Trotz der verstärkten Diskussion zu Transgendern in den USA und hier in Europa gibt es zur Größe dieser Gruppe in den jeweiligen Gesellschaften nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen, über deren Zuverlässigkeit hier auch nicht befunden werden kann. Teilweise handelt es sich auch nur um Schätzungen oder Ableitungen aus anderen Datensätzen. Danach schwankt der Anteil der Transgender an der Gesamtgesellschaft zwischen 0,1 und 0,5%, das Mittel liegt also bei 0,3%.

Anteil von Transgendern an der Gruppe Erwachsener
Conway, Frequently Does Transsexualism Occure (0,1-0,5%) USA 2002 0,30%
Olyslager, Conway, On the Calculation of the Prevalence of Transsexualism USA 2007 0,50%
Reed, Rhodes, Schofield, Wylie, Gender Variance in the UK UK 2009 0,10%
Conron, Transgender Health in Massachusetts (Age 18-64) USA 2011 0,50%
Gates, How many people are lesbian, gay, bisexual, and transgender? USA 2011 0,10%
Mittelwert 0,30%

Addiert man diesen Mittelwert von 0,3% Transgendern zu dem Mittelwert von 2,8% Homo- und Bisexuellen der oben vorgestellten 21 anderen Studien, ergibt sich für die LGBT-Community eine Größenordnung von rd. 3,1% an der erwachsenen Bevölkerung. Zwei Studien beschäftigen sich mit der Gesamtgruppe LGBT.

Die im Jahr 2016 erstellte EU-weit angelegte Studie der deutschen Dalia research, "Counting the LGBT population", konnte nur für neun EU-Länder ausreichendes Zahlenmaterial aufbereiten. Die Erhebung erfolgte über WEB-fähige Geräte (hat das Vor-Selektionswirkungen?). Die Ergebnisse dieser Studie weichen um das Dreifache von den Mittelwerten der 26 anderen Studien ab. Der Realitätsgehalt dieser Studie kann hier nicht beurteilt werden. Auffällig ist z. B., dass im Ländervergleich die Werte sehr weit auseinanderklaffen. So haben in Ungarn nur 0,7% der befragten Männer eine LGBT-Orientierung, während sie im Vereinigten Königreich bei 6,7%, also um das Zehnfache höher liegen soll. Bei den LGBT-Frauen liegt Ungarn mit 2,4% ebenfalls am unteren Rand, was am stärksten von den niederländischen Frauen mit 10,3% getoppt wird, immerhin das Fünffache. Fast könnte man glauben, die Lebensweise der West-EU ist noch nicht bis in den Osten vorgedrungen.

Fasst man Männer und Frauen zusammen, liegt Deutschland dieser Studie zufolge mit insgesamt 7,4% an der Spitze.

LGBT als Gesamtgruppe LGBT Männer LGBT Frauen LGBT insgesamt
Gary J. Gates, How many people are LBTG? USA 2011 3,80%
Dalia research, Counting the LGBT population EU 2016 5,30% 6,60% 5,90%
Dalia research, Counting the LGBT population Deutschland 2016 6,40% 8,40% 7,40%
Dalia research, Counting the LGBT population SP 2016 6,60% 7,30% 6,90%
Dalia research, Counting the LGBT population UK 2016 6,70% 6,30% 6,50%
Dalia research, Counting the LGBT population NL 2016 2,50% 10,30% 6,40%
Dalia research, Counting the LGBT population A 2016 5,50% 6,80% 6,20%
Dalia research, Counting the LGBT population F 2016 4,00% 6,70% 5,40%
Dalia research, Counting the LGBT population P 2016 5,50% 4,30% 4,90%
Dalia research, Counting the LGBT population I 2016 3,50% 6,10% 4,80%
Dalia research, Counting the LGBT population H 2016 0,70% 2,40% 1,50%
Der EU Mittelwert für Männer liegt tatsächlich bei 4,6%! Dann liegt der Gesamtwert LGBT bei 5,6%!

Eine USA-Studie liefert dagegen das Ergebnis von 3,8% Anteil der LGBT-Community an der Gesellschaft der USA. Diese Wert korrespondiert mit dem zusammengefassten Mittelwert von 3,1% der oben dargestellten insgesamt 26 anderen Studien.

Legt man die aus den verschiedenen Studien gewonnenen Mittelwerte (siehe Tabelle oben) auf Deutschland um, kann man eine annäherungsweise realistische Zahl der Menschen mit einer LGBT-Orientierung gewinnen. Dabei wurde die Altersgruppe der 18- bis 60-Jährigen zugrunde gelegt. Nach Angaben der Online-Datenbank des Statistischen Bundesamtes "DESTATIS" handelt es sich um rd. 47.8 Mio., davon etwa 23.8 Mio. Männer und 24.0 Mio. Frauen.

In dieser Altersgruppe in Deutschland haben dann unter Anwendung der genannten Mittelwerte etwa 380.000 Männer eine homosexuelle Orientierung, 210.000 eine bisexuelle und rd. 70.000 eine transgender Orientierung. Bei den Frauen sind etwa 240.000 lesbisch, 300.000 bisexuell und 70.000 transgender. Fasst man Frauen und Männer zusammen, haben insgesamt etwa 1,3 Mio. Menschen sexuell eine LGBT-Orientierung, das sind 2,7% der rd. 48 Mio. Menschen aus der Altersgruppe 18 bis 60 Jahre.

Deutschland Männer Mittelwerte Männer Frauen Mittelwerte Frauen Männer & Frauen Mittelwerte Männer & Frauen
Basis: Erwachsene: Alter 18 - 60 100,00% 23.800.000 100,00% 24.000.000 100,00% 47.800.000
homosexuell 1,60% 384.200 1,00% 243.429 1,30% 627.629
bisexuell 0,90% 207.400 1,20% 298.286 1,10% 505.686
transgender 0,30% 71.400 0,30% 72.000 0,30% 143.400
LGBT gesamt nach Mittelwerten von 26 Studien 2,80% 663.000 2,60% 613.714 2,70% 1.276.714
LGBT nach Dalia Research 6,40% 1.523.200 8,40% 2.016.000 7,40% 3.539.200

Nach der bereits zitierten Studie von Dalia Research wären es abweichend von den 26 anderen Studien fast dreimal so viele, nämlich 3,5 Mio.

Die Lebensform von Menschen mit einer LGBT-Orientierung in Deutschland

Die Lebensform der in Deutschland lebenden Menschen wird statistisch (alle weiteren Daten entnommen aus DESTATIS) nach dem sog. Personenstand erfasst, also ob sie als Paar (mit oder ohne Kinder) oder als Alleinerziehende mit Kindern in einem Haushalt zusammenleben oder ob sie Alleinstehende sind (alleinlebend im 1-Personen-Haushalt oder personenstandsmäßig alleinstehend, aber im Mehrpersonenhaushalt lebend).

Bei den in Deutschland lebenden rd. 20,4 Mio. Paaren handelt es sich um rd. 17,5 Mio. heterosexuelle Ehepaare, das sind 86% aller Paare. Bei den restlichen rd. 2,9 Mio. Paaren handelt es sich um Paare in partnerschaftlichen Lebensgemeinschaften (14%). Von letzteren sind rd. 2,8 Mio. Lebensgemeinschaften solche mit heterosexueller Verbindung (13,9%). Lediglich 94.000 Paare haben eine homosexuelle Identität. Damit stellen die homosexuellen Lebensgemeinschaften 3% aller partnerschaftlichen Lebensgemeinschaften.

Bezieht man die homosexuellen Lebensgemeinschaften auf alle Paare (20,4 Mio.), schaffen sie es auf einen Anteil von nicht ganz 0,5% aller in gemeinsamem Haushalt lebenden Paare in Deutschland. Damit spielen homosexuellen Lebensgemeinschaften im Bereich der rechtlich institutionalisierten Paarbeziehungen mit ihrem Anteil von nur 0,5% eine absolut untergeordnete Rolle.

Lebensformen in Deutschland (ohne Kinder) im gemeinsamen Haushalt
Paare 20.440.000 100%
davon:
Ehepaare 17.511.000 86%
Lebensgemeinschaften 2.929.000 14%
Darunter: heterosexuelle Lebensgemeinschaften 2.835.000 -13,90%
Darunter: homosexuelle Lebensgemeinschaften 94.000 -0,50%
Alleinerziehende 2.740.000
Alleinstehende (allein- oder zusammenlebend) 16.461.000
Menschen in Paarbeziehungen, Alleinerziehende, -stehende: ohne Kinder 60.081.000

Es liegen - zumindest gegenwärtig - keine Anhaltpunkte dafür vor, dass sich aufgrund der nunmehr möglichen Ehe statt Partnerschaft die Zahl gleichgeschlechtlicher Ehen gegenüber der gegenwärtigen Situation nennenswert erhöhen wird. Dass der neue Titel "Ehe" statt "Partnerschaft" oder die nun mögliche Adoption von Kindern und die damit verbundene gesetzliche Vererbung an diese den Ausschlag für zahlreichere homosexuelle Eheschließungen geben wird, ist kaum zu erwarten.

Betrachtet man schließlich die LGBT-Community für sich, so haben gegenwärtig von den hier geschätzten rd. 1,3 Mio. Menschen mit LGBT-Identität sich 188.000 (= 94.000 homosexuelle Paare) für eine homosexuelle Lebensgemeinschaft entschieden. Das ist ein Anteil von knapp 15%, wodurch selbst in den eigenen Reihen der Community die recht geringe Relevanz der Partnerschaft/Ehe dokumentiert wird. Mit gegenwärtig 94.000 verpartnerten Homosexuellen stellt diese Lebensform im gesellschaftlichen Gesamtkontext der vorhandenen Paarbeziehungen kein Zentralproblem dar, zumindest keines, das den gegenwärtigen Hype rechtfertigt.