Hamburg und der Maidan in Kiew

Screenshot N24-Livestream

Der Vergleich drängt sich auf, aber was unterscheidet den Maidan von den Protesten in Hamburg?

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Aus der Ferne erhält man den Eindruck, Hamburg ist in Teilen der Kontrolle der Sicherheitskräfte entglitten und zur "wilden Stadt" geworden. Menschen auf den Straßen feiern, demonstrieren, randalieren, die Polizei kann nur punktuell eingreifen. Es ist ein Bild, das an Szenen 2013 und 2014 in Kiew auf dem Maidan erinnert, als dort die Menschen gegen die legitime Regierung revoltierten und mehr und mehr radikale Kräfte das Geschehen bestimmten.

Hamburg wird kein Kiew werden, die Krawalle und Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht werden einschlafen, wenn das Ereignis, der G20-Gipfel, vorbei sein wird. Es wird nicht zum Sturz einer Regierung kommen wie 2014 in der Ukraine, schließlich gibt es keine ausländischen Mächte und Medien, die sich hinter die Protestierer gegen die Regierung stellen. Auch nicht die russische Regierung, die besonders vor solchen Bewegungen Angst hat.

In der Ukraine wurden die Protestierenden, die Gebäude besetzten, sich bewaffneten und sich - auch vermummt - Schlachten mit der Polizei lieferten, von den westlichen Ländern und vielen westlichen Medien unterstützt. Es war ja eine Befreiungsbewegung gegen das angeblich repressive System, das mit massiver Polizeigewalt gegen Ausschreitungen vorging. Viele Polizisten wurden dabei verletzt, aber das waren Agenten des Bösen. Man hatte seinerzeit auch über Gewalt, rechtsnationale Tendenzen und Häuserbesetzungen hinweggesehen, weil es ja um das Richtige ging, den Anschluss an den Westen, die EU und die Nato.

Das rechtfertigt Manches. Jetzt hingegen wird der Protest kriminalisiert, die Wut gegen die martialisch präsente Staatsmacht, die die Stadt besetzt, wird als destruktiv gebrandmarkt. Tatsächlich ist schwer verständlich, warum eine Regierung und ein Bundesland für ein Treffen von Politikern fast eine ganze Stadt in einen Ausnahmezustand versetzen. Die Kosten müssen alle Bundesbürger tragen, man rechnet mit über 400 Millionen Euro dafür, dass sich mal Merkel mit Testosteron in einer Stadt treffen kann, was auch irgendwo auf dem Land hätte geschehen können, wo sich die Staatenlenker noch weniger ausgekommen wären.

Livestream N24

Man kann Hamburg als G20-Standort als Provokation des Staates verstehen, der versucht, den Protest auf die Seite zu drängen und zu demonstrieren, wo die Macht ist. Das ist ein asymmetrisches Spiel, auch ein Spiel innerhalb der Rechtsprechung, was wer machen darf und wo noch Grenzen bestehen, die nicht überschritten werden dürfen. Die Grenzen werden auf beiden Seiten ausgelotet. Was für die Staatsmacht ein Spiel ist, die Sicherheit für den Gipfel zu gewährleisten und die Proteste im Zaum halten zu können, ist für die andere Seite der Versuch, die Macht auszutricksen und als Abenteuer die Macht über den öffentlichen Raum zu übernehmen.

Anders als in Kiew geht es in Hamburg nicht um einen geopolitischen Konflikt. Die Demonstranten, meist friedlich, machen kund, dass sie mit der Politik der mächtigen Staaten nicht einverstanden sind und eine andere Welt wollen, die für sie möglich ist. Im Unterschied zu den Ritualen auf dem Gipfel, wo von oben nach unten neue Orientierungen verordnet werden, geht es auf der Straße um eine Politik, die von unten nach oben dem Prinzip der demokratischen Selbstorganisation verpflichtet ist.

Auch wenn sich an den Protesten und Gegenveranstaltungen Menschen aus aller Welt beteiligen, können sie den Regierungen eigentlich nichts entgegensetzen, abgesehen von Krawallen, die die mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen (G 20: Das Klirren der Dinge als Beifall). Um Aufmerksamkeit zu erzielen, ist ästhetische Beeindruckung erforderlich, Gewalt also, brennende Barrikaden und Autos, dramatische Bilder. Wer in Großstädten wie Hamburg Treffen wie G20 mit kriegsführenden Ländern durchführt, provoziert Gewalt und verstärkt sie durch massive Polizeipräsenz.

Dass nun die Polizei Hamburg fordert, das Vorgehen der Sicherheitskräfte nicht zu dokumentieren, ist ein starkes Stück, schließlich sollte die Polizei rechtskonform agieren: "Wir bitten Medien & Privatpersonen, das taktische Vorgehen der Einsatzkräfte nicht zu filmen /zu senden, um sie nicht zu gefährden." Die Begründung: "Es handelt sich um eine dringende Bitte und hat nichts mit Zensur zu tun. Livestreams könnten unsere Einsatzkräfte gefährden."