"Höchste Konzentration von extremistischen und terroristischen Gruppen in der Welt"

Der Islamische Staat macht sich in Afghanistan breit.

Ein Pentagon-Report macht den Hauptschuldigen für das Scheitern in Afghanistan aus: Pakistan

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Bald 16 Jahre ist es jetzt her, dass die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten das Taliban-Regime in Afghanistan gestürzt haben. Auch Deutschland beteiligte sich mit Soldaten an dem Einsatz, der das Land von der Herrschaft der Gotteskrieger befreien sollte. Man muss kein Afghanistan-Experte sein, sondern nur mal ab und zu die Nachrichten anschalten, um zu wissen: Das hat bis heute nicht funktioniert. Ohne alliierte Unterstützung könnte sich die Regierung in Kabul wohl nicht lange halten, das Land würde wahrscheinlich schnell zurück an islamistische Milizen fallen.

Aber warum ist das so? Die Frage stellen sich natürlich auch Militärs. Das Pentagon kommt in einem neuen Bericht an den Kongress zu einem eindeutigen Befund: Zwar gebe es natürlich viele Ursachen für das bisherige Scheitern. Der größte Einzelfaktor ist jedoch Pakistan, weil Aufständische dort einen Rückzugsraum hätten. "Afghanistan sieht sich immer noch einem extern ermöglichten und unverwüstlichen Aufstand gegenüber", heißt es dort.

"Höchste Konzentration an Terroristen"

Der Report zählt "nicht weniger als 20 aufständische und terroristische Netzwerke". Darunter seien neben den Taliban das Haqqani-Netzwerk und Al-Qaida. Und als wäre das alles noch nicht genug, hat jetzt auch noch der Islamische Staat eine Zelle in Afghanistan etabliert. Der Report spricht von der "höchsten Konzentration von extremistischen und terroristischen Gruppen in der Welt".

Und die Streitkräfte, die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF), seien zwar in der Lage, auf Taliban-Angriffe zu antworten. Aber: "Während die ANDSF in städtischen Gegenden Erfolg hatten, haben die Taliban erfolgreich einige ländliche Gebiete kontrolliert. Sie besetzten befreite Gebiete, nachdem die ANDSF es nicht geschafft hatte, ihre Erfolge zu konsolidieren und eine dauerhafte Präsenz zu etablieren."

Der Report entspricht dem, was General Joseph Votel vom U.S. Central Command im März vor dem Senate Armed Services Committee (SASC) aussagte: Die Möglichkeit für Aufständische, sich nach Pakistan zurückzuziehen, bedrohe die gesamte Operation. Und auch General John Nicholson, der US-Befehlshaber in Afghanistan, sagte im Februar aus, der "Hauptfaktor, von dem unser Erfolg abhängt", sei es, "externe Schutzräume und Unterstützung für die Aufständischen zu eliminieren".

Die Lösung: mehr Ausbilder?

Die Nato schickt nun mehrere tausend zusätzliche Soldaten nach Afghanistan. Nach einem Treffen der Verteidigungsminister sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, das bedeute aber nicht, dass die Nato die Kampfhandlungen wieder aufnehme. Diese waren vor zwei Jahren für beendet erklärt worden. Aus Großbritannien kommen beispielsweise neue 85 Soldaten zur Verstärkung der 500 Soldaten, die bereits dort sind. Sie hätten aber keinen Kampfauftrag, so der britische Verteidigungsminister Michael Fallon. Ihr Auftrag sei, afghanische Offiziere auszubilden, beim Aufbau der Luftwaffe zu helfen und die Behörden zu beraten.

Doch was bringen zusätzliche Ausbilder, wenn die Taliban Rückzugsräume in Pakistan haben? Mehr Soldaten brächten lediglich taktische und operationelle Vorteile, warnt Robert Cassidy, ein Ex-Offizier und Afghanistan-Veteran. Nötig sei vielmehr regionale Kooperation mit Pakistan, fordert er.

Druck auf Pakistan

Doch dazu müsse das dortige Sicherheitsestablishment dazu gebracht werden, seine "tiefverwurzelten strategisch-kulturellen Pathologien" aufzubrechen: "Pakistans doppelzüngiges Ausbrüten und Exportieren von Nachbar-Terroristen und Aufständischen ist das größte Hindernis für Frieden in Afghanistan und Südasien." Der pakistanische Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) unterhalte Verbindungen zu Al-Qaida, den Taliban und anderen Extremisten, die in Pakistan Unterschlupf finden.

Mehr als 33 Milliarden Dollar habe Amerika seit 9/11 an Pakistan gezahlt und dafür nichts als Verrat bekommen, schimpft Cassidy. Diese traurige Wahrheit sei US-Regierung wie Nato natürlich seit Jahren bekannt. "Ohne eine Politik-Strategie, die Pakistan zwingt, Unterschlupf und Unterstützung zu beenden, wird dieser Krieg ewig weitergehen, mit oder ohne mehr Truppen." Robert Cassidy schließt sich den Schlussfolgerungen von Nicholson an, diejenigen Truppenteile der afghanischen Streitkräfte zu stärken, die schon bewiesen haben, dass sie die Taliban bekämpfen können. Das sind laut Nicholson die Afghan Special Security Forces und afghanische Luftwaffe.

Nur so lasse sich der "Stillstand" überwinden, den US-Militärs längst konstatieren. Man müsse Pakistan mehr mit dem Stock und weniger mit der Karotte kommen, schreibt Robert Cassidy, und schlägt als konkrete Maßnahmen unter anderem vor, Pakistan den Status als großer Nicht-Nato-Alliierter entziehen und das Land zum Terrorismusunterstützer zu erklären.

Dass mehr Soldaten keine Lösung sind, meint auch Emily Knowles vom britischen Remote Control Project in einer neuen Studie: "Nicht zu wenig Truppen sind das größte Problem für den Erfolg in Afghanistan. Sondern der fehlende politische Wille, maximalen Druck auf alle Konfliktparteien auszuüben, um sie an den Verhandlungstisch zu bringen." Druck ausüben müsse auch heißen, die Lieferung von Waffen von Pakistan nach Afghanistan zu unterbinden.

Ratloser Trump

Doch warum hat Afghanistan immer noch keine eigene Armee, die für Sicherheit im Land sorgen kann? Diese Frage lässt sich wohl kaum mit Rückzugsgebieten in Pakistan erklären. Zwar hat die Nato im November 2014 offiziell den Kampfeinsatz beendet und auf 15.000 Mann verkleinert, die nur noch zur Ausbildung - Train, Advise, Assist (TAA) - da sind. Doch viel gebracht hat das bisher alles nicht. Daran konnte bislang auch Donald Trump nichts ändern.

Seinen "Einstand" in Afghanistan gab der neue Präsident, indem gegen einen Tunnelkomplex des Islamischen Staates im Achin Distrikt in der Provinz Nangarhar die "Mutter aller Bomben" abwerfen ließ. Die stärkste nicht-nukleare Bombe des US-Militärs mag zwar dessen Schlagfähigkeit demonstriert haben. Doch zeigte der Einsatz auch, wie weit entfernt der Sieg ist.

Wie viele Menschen getötet wurden, ist unklar. Aber im großen und ganzen hat sich laut ersten Einschätzungen durch den Einsatz der Superbombe nichts verändert. "Mehr als ein Knalleffekt kam dabei nicht heraus", kommentierte Theo Sommer auf Zeit Online. Inzwischen habe sich Trump "in die Büsche geschlagen": "Die Entscheidung, wie es weitergehen soll, hat er den Militärs überlassen."