G20: Braucht die Polizei Grundgesetz-Nachhilfe?

Hier wird ein Journalist beim Vorwärtsstürmen gewaltsam zu Boden geworfen. Die Polizei ist legal vermummt.

Übergriffe der Polizei auf Pressevertreter sowie zahlreiche entzogene Akkreditierungen werfen Fragen auf

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G20 ist vorbei. Was bleibt? Politisch hat das Elefantentreffen nicht viel gebracht, vor allem nicht viel Gutes. Der friedliche Protest von Zehntausenden wurde überschattet von der Gewaltorgie, die Linksradikale im Schanzenviertel entfesselten - und von einem Polizeieinsatz, der auf Eskalation setzte. Auch die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit kam stellenweise unter die Räder.

Die Pressefreiheit ist ein elementares Gut eines demokratischen Rechtsstaates. Dieser Rechtsstaat wird unter anderem von der Polizei repräsentiert. Wenn Polizisten Grundrechte verletzten, schaden sie nicht nur ihrem Amt, sondern der Demokratie an sich. Es ist sicher richtig, dass die Beamten auf der Straße unter enormem Druck und Stress standen und dass in solch einer Situation auch Fehler gemacht werden, wofür ein allgemeines Verständnis in der Bevölkerung vorhanden ist.

Beleidigungen, Drohungen und Behinderung der Arbeit von Journalisten sind aber ein Fehlverhalten, das besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Im Laufe des Gipfels wurden zahlreiche Fälle unterschiedlicher Intensität dokumentiert.

In der Huffington Post beschreibt Flo Smith, der für den britischen Sender ITN in Hamburg war, wie er und sein Team "von Polizisten mit Pfefferspray bedroht und angegriffen" wurden. "Eine Polizistin kam zu mir und meinem Kameramann. Wir schauten beide in ihre Richtung, sie schrie "Fuck the press, fuck, fuck!" - und drückte mit ihrem Pfefferspray ab", berichtet er.

Mehrere deutsche Kollegen machten ähnliche Erfahrungen. Auf einem bei Twitter geposteten Video ist zu sehen, wie ein Polizist einen fotografierenden Reporter aus dem Weg rempelt. Als Ruben Neugebauer schwer bewaffnete Einsatzkräfte fotografierte, wurde ihm, das twitterte er, gesagt: "Mit Pressefreiheit ist jetzt Schluss!" Erik Marquardt streamte live, als ein Polizist ihm das Smartphone aus der Hand riss. Bild-Chefreporter Frank Schneider wurde gar offen mit "Krankenhaus" bedroht, wie er auf Twitter schreibt. Einer Korrespondentin der taz soll gesagt worden sein: "Sie haben die längste Zeit als Journalistin gearbeitet.".

"Das ist aus meiner Sicht höchst bedenklich", sagt der Heidelberger Verfassungsrechtler Dr. Uwe Lipinski gegenüber Telepolis. "Grundsätzlich darf die Presse auch über schwierige Einsätze berichten. Einschränkungen ihrer Arbeit wären allenfalls dann gerechtfertigt, wenn sie nachweislich im konkreten Fall die Arbeit der Polizei behindert hat. Aber auch dann muss die Polizei auf niedriger Stufe beginnen und die Journalisten erst einmal auffordern, das Feld zu räumen. Nur wenn das nicht beachtet wird, darf unter Umständen unmittelbarer Zwang angewendet werden, um Journalisten aus einer Gefahrenzone zu entfernen oder um einen Polizeieinsatz zum Schutz von Personen oder Gegenständen zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Die entscheidende Frage ist: Kann die Polizei jeweils im konkreten Einzelfall plausibel belegen, dass es um der Sicherheit Willen notwendig war, die jeweilige Pressearbeit, wie zum Beispiel das Anfertigen von Bildaufnahmen, zu behindern oder zu verbieten? Anderenfalls wäre ein solches Vorgehen rechtswidrig, und dann müsste man wohl auch über Konsequenzen nachdenken."

Die Pressestelle der Hamburger Polizei reagierte bislang nicht auf eine schriftliche Bitte um Stellungnahme.

Update 10:48: Mittlerweile hat die Pressestelle der Hamburger Polizei geantwortet. Es habe erste Anzeigen bezüglich derartiger Fälle gegeben, denen vom Dezernat für interne Ermittlungen nachgegangen werde. "Dieses Dezernat ist in Hamburg vom Polizeiapparat getrennt, so dass eine Unabhängigkeit gegeben ist." Es werde auch das eingegangene Videomaterial geprüft, um herauszufinden, in welchen Fällen es sich tatsächlich um Journalisten gehandelt hat, die angegriffen wurden. Das gestalte sich mitunter schwierig, "solange die Betroffenen nicht persönlich Anzeige erstatten." Denn oft sei derjenige, der die Anzeige erstatte, nicht der Geschädigte.

Darüber hinaus wurde mindestens neun Journalisten durch das BKA die Akkreditierung entzogen, die Zugang zum Tagungsgelände sowie zum Pressezentrum beinhaltete. Unter ihnen waren auch Mitarbeiter von Spiegel Online, des Bremer Weser-Kuriers und der taz. Einem ARD-Bericht zufolge sollen Polizeibeamte Listen mit insgesamt 32 Namen von Journalisten, die offenbar unerwünscht waren, offen mit sich geführt und dadurch auch noch den Datenschutz verletzt haben. Datenschützer zeigten sich entsetzt über diesen Umgang. Und auch auf die Frage nach dem konkreten Grund für die entzogenen Akkreditierungen gibt es bislang keine zufriedenstellenden Antworten. Die ARD mutmaßt gar, es könne einen Zusammenhang zur Türkeiberichterstattung der betroffenen Journalisten geben.

Beim BKA werden "Sicherheitsbedenken" als Grund genannt

Auf telefonische Nachfrage heißt es beim BKA, "Sicherheitsbedenken" seien ausschlaggebend gewesen. Worin diese Bedenken genau bestanden, will man gegenüber Telepolis mit Hinweis auf den Datenschutz nicht verraten, bekräftigt aber, dass die Erkenntnisse, die zum Entzug der Akkreditierungen führten, "ausschließlich von deutschen Sicherheitsbehörden" stammten und nicht, wie zeitweise vermutet, aus der Türkei. Man habe die Sicherheit der Gipfelteilnehmer gegen "das hohe Gut der Pressefreiheit" abgewogen. Details könnten die Betroffenen Journalisten beim BKA erfragen – es wird also abzuwarten bleiben, bis diese selbst die Begründungen, so sie sie erfahren, publik machen werden.

Das Bundesinnenministerium hingegen äußerte sich bislang nicht zu einer telefonische Anfrage von Telepolis. Am Dienstagvormittag kündigte Regierungssprecher Steffen Seibert Antworten via Twitter an: "Ich kümmere mich intensiv darum, dass alle Fragen zügig beantwortet werden. Die Pressefreiheit ist für uns im BPA ein hohes Gut."

Auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) fordert vom BKA Aufklärung. "Mehrfach wurden Journalisten Opfer von physischer Gewalt von Polizisten. Es gab Pfefferspray-Attacken und Schlagstockeinsätze von Polizisten gegen Berichterstatter. Presseausweise wurden von den Einsatzkräften ignoriert, Journalisten wurden zum Teil wüst beschimpft. Wie erklären Sie dieses Vorgehen gegen Journalisten? Wurden die Polizisten von den Einsatzleitern auf die besondere Rolle der Medien hingewiesen?", fragt der DJV-Bundesvorsitzende in einem auf der Website des Verbandes publizierten Brief an BKA-Präsident Holger Münch.

Eine Frage muss man dem noch hinzufügen: Sind sich die Polizeibeamten bewusst, dass das Grundgesetz die Pressefreiheit ohne Einschränkungen garantiert und dass sie selbst den Staat, dessen Fundament dieses Grundgesetz ist, repräsentieren?