Zwischen China und Indien flammt ein alter Grenzstreit wieder auf

In den Medien wird der Konflikt geschürt. Bild: Screenshot aus YouTube-Video

Der Grenzkonflikt im Himalaja ist Teil eines größeren Konflikts zwischen den Großmächten, die Atomwaffen besitzen

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Wo in den Höhen des Himalaja die Staatengrenzen verlaufen, ist bis heute nicht einvernehmlich geklärt. Nun droht der Grenzstreit zwischen Indien und China erneut zu eskalieren: Seit nunmehr rund einem Monat stehen indische Soldaten weit außerhalb von indischem Gebiet, auf dem Doklam-Plateau, das zwischen China und dem kleinen Königreich Bhutan umstritten ist. Hunderte chinesische und indische Soldaten sollen dort inzwischen verharren, insgesamt sollen China und Indien um die 6000 Soldaten an die gemeinsame Grenze geschickt haben.

Eskaliert war die Lage, weil China begonnen hat, eine Straße über das Plateau zu bauen. Am 16. Juni rückten Bauarbeiter samt schwerem Gerät vor. Das hat Bhutan und Indien alarmiert, denn die Straße führt nach Indien, das sich dadurch militärisch in den Nachteil sieht. Indien schickte Soldaten, es kam zu einem Zusammenstoß mit chinesischen Soldaten, der auf YouTube dokumentiert ist.

Bhutan protestiert

Dass es bei einer bizarren Rangelei blieb, lag auch daran, dass die Soldaten an der Grenzlinie dort keine Waffen tragen, um eine Eskalation zu vermeiden. China argumentiert, dass das Doklam-Plateau ein Teil Tibets ist und damit zu China gehört. "Doklan ist seit dem Altertum Teil von China", sagte Außenamtsprecher Lu Kang Ende Juni. "Der Bau einer Straße dort ist ein Akt der Souveränität über das eigene Territorium." Es gehöre nicht Bhutan und noch weniger Indien. Bhutan sei außerdem ein souveränes Land. Der genaue Grenzverlauf sei zwar noch nicht festgelegt, aber das solle in bilateralen Verhandlungen gelöst werden, erklärte er. Gemeint war natürlich: ohne Indien, mit dem Bhutan seine Außenpolitik eng koordiniert.

Bhutan, eine konstitutionelle Monarchie mit weniger als 1 Millionen Einwohnern, beansprucht das Gebiet dagegen für sich und protestierte gegen den chinesischen Vorstoß. Das dortige Außenministerium wertete den Straßenbau als Verstoß gegen zwei Abkommen mit China aus den Jahren 1988 und 1998. Dort sei festgelegt, dass beide Seiten von einseitigen Schritten und Gewalt absehen, bis der Grenzverlauf eindeutig festgelegt sei. Bhutan fordert eine Rückkehr zum Status quo, also zum Status vor dem 16. Juni. Interessanterweise erwähnte das Außenministerium von Bhutan in dieser Presseerklärung Indien nicht.

Indische Sorgen

Neu-Delhi betonte dagegen in einer eigenen Erklärung, dass indische Soldaten in Absprache mit der Regierung von Bhutan entsandt worden seien. China gefährde den Status quo in der Grenzregion und auch die Verhandlungen über den Grenzverlauf im Dreiländereck, kritisierte die indische Regierung. Denn 2012 hätten China und Indien sich immerhin geeinigt, die dortige Grenze in Verhandlungen zwischen den betroffenen Ländern festzulegen.

Diese Aussage der indische Regierung überraschte die Experten, denn die Vereinbarung von 2012 ist nicht veröffentlicht und auch Peking hat sie bisher nicht erwähnt, bemerkte Ankit Panda auf der News-Seite "The Diplomat".

Indien wirft China im Himalaja eine Salamitaktik vor, bei der genauso wie im Südchinesischen Meer durch Infrastrukturprojekte Fakten geschaffen werden. Neu-Delhi unterstellt dem großen Nachbarn im Norden Eroberungspläne und fürchtet, dass China noch weiter vorstoßen könnte bis zum sogenannten "Chicken Neck". Der schmale Landstreifen zwischen Nepal und Bangladesh ist Indiens einzige Verbindung zu seinen nördlichen Landesteilen.

Tatsächlich gibt es noch weitere Gebiete, die China beansprucht, so den indischen Bundesstaat Arunachal. Das ganz im Nordosten von Indien und östlich von Butan gelegene Gebiet ging 1914 durch die Shimla-Konvention von Tibet an Britisch-Indien über. China hat die Konvention allerdings nie ratifiziert. Außerdem ist im Nordwesten Indiens auch der indische Bundesstaat Jammu und Kaschmir umstritten. Hier stellt allerdings auch Pakistan territoriale Forderungen.

Wegen solcher chinesischer Territorialansprüche hat Indien in Arunachal 100.000 Soldaten stationiert, in Sikkim außerdem 60.000. Sikkim hat strategische Bedeutung, denn es ist das Tor von Indien nach Tibet. Sikkim ist heute ein indischer Bundesstaat, aber das war nicht immer so. 1973 eroberten indische Truppen das bis dahin unabhängige Land, allerdings stimmten 1975 die meisten Einwohner für den Beitritt zu Indien, was im selben Jahr vollzogen wurde.

Unklarer Grenzverlauf

Umstritten ist außerdem, wo genau der Grenzpunkt im Dreiländereck zwischen China, Indien und Bhutan liegt, den sich die drei Nachbarn teilen. Laut China liegt er in einer Gegend namens Gamochen (weiter südlich), laut Indien bei Batanga La (weiter nördlich) (siehe Karte). China verweist auf einen Vertrag mit dem British Raj, der Convention Between Great Britain and China Relating to Sikkim and Tibet, abgeschlossen am 17. März 1890 in Kalkutta. Daraus lesen beide Seiten jedoch einen unterschiedlichen Grenzverlauf heraus (Karte).

China verweist außerdem auf einen Brief des ersten indischen Premiers Jawaharlal Nehru an den chinesischen Premier Zhou Enlai von 1959. Darin habe auch Nehru den Vertrag von 1890 unterstützt. Um den 19 Schreibmaschinenseiten langen Brief hat sich eine regelrechte Interpretationsschlacht entwickelt, wie sie bei Grenzkonflikten die Regel ist. Indien argumentiert, kurzgefasst, China gebe Nehrus Position nicht richtig wieder. Nehru gehe es nur um die nördlicheren Gebiete, nicht um die Grenze im Dreiländereck. Was China aus dem Brief zitiere, sei aus dem Kontext gerissen.