Saudi-Arabien: Kontrollverlust auf mehreren Ebenen

Screenshot. Quelle: Twitter / Snapchat

Im Streit mit Katar bleibt Mohammed Bin Salman ohne Erfolg. Ein Video macht nun auf seine Art auf die Grenzen der saudischen Kontrollpolitik aufmerksam

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Man kann das einen "Körpertreffer" nennen. Die Bilder einer jungen Frau, die unverschleiert im Minirock durch die Gassen eines saudi-arabischen Dorfes mitten in Wahhabistan schlendert, dürften eine wuchtige Wirkung haben. Das Video, angeblich mit einem Modell namens Khulood in der Hauptrolle kursiert auf internationalen Webseiten und auf poppigen arabischen Twitter-Seiten. Im Jahr 2016 zählte man fast 5 Millionen Twitter-User in Saudi-Arabien.

Khulood spaziert angeblich durch das historische Dorf Ushayqir. Ob das ein Fake ist, ist für die saudischen Behörden leicht nachzuprüfen, denn die Kulisse ist gut erkennbar und historisch. Das Dorf war eine berühmte Station auf dem Pilgerpfad für den Hadsch aus Kuwait, Irak und Iran.

Ushayqir befindet sich in der stockkonservativen Provinz Naschd, wo der Wahhabismus seinen Anfang nahm, und seither streng über die Sitten der Bewohner wacht. Die Religionspolizei ist wegen des Tabubruchs alarmiert. Regierungsmitarbeiter sollen "Maßnahmen gegen die Frau" gefordert haben. Die Provokation ist gelungen.

Politische Schwächen bloßgelegt

Fast mag man denken, dass dies nicht nur ein harmloser Snap-Chat-Stunt ist, der so halb unbeabsichtigt eine solche virale Reichweite bekommt, sondern dass eine größere Absicht hinter dieser Demonstration steckt, die zu einem heiklen politischen Zeitpunkt kommt und politisch relevante Schwächen bloßlegt. Nämlich, dass die Kontrolle und die Abschottung in Saudi-Arabien nicht so gut funktionieren, wie es bislang garantiert war.

Das saudische Herrscherhaus, genauer sein Hauptakteur, der neue Kronprinz Mohammed Bin Salman (MBS) steckt in Schwierigkeiten und das hat mit Selbstüberschätzung zu tun, für welche das Video mit der unerträglichen Leichtigkeit des unverhüllten Seins ein Index ist. MBS ging nach allem, was über ihn berichtet wurde, davon aus, dass er den Streit mit Katar im Griff hat.

Katar gibt nicht auf

Katar würde schnell aufgeben, lautete seine Arbeitshypothese. Dem ist aber nicht so. Der katarische Herrscher Tamim Bin Hamad Bin Khalifa Al- Thani lehnte die von MBS maßgeblich mitgestalteten, völlig überzogenen Forderungen ab (Machtkampf im Nahen Osten: Katar soll sich gefügig zeigen). Er wollte sich nicht unterordnen.

Das Quartett aus Saudi Arabien, den Vereinigten Emiraten, Ägypten und Bahrain signalisierten daraufhin, dass sie ihre Forderungen lockern könnten. Al-Jazeera müsse nicht unbedingt gänzlich abgeschaltet werden, mit einer "fundamentalen Umstrukturierung" wäre man auch zufrieden.

Indessen reagierte Al-Jazeera auf den Druck damit, dass sich das Programm nun mehr den grausligen Bildern von der humanitären Katastrophe im Jemen-Krieg zuwendet und Syrien in den Hintergrund stellt: ein Beispiel aus einem Al-Jazeera-Programmhinweis: "The world’s largest humanitarian crisis isn’t in Syria. It’s in Yemen. Here's how it all began."

Die Türkei will ihre Militärpräsenz in Katar ausbauen

Es ist fast schon ein Prinzip: Statt nachzugeben, wird die Position verstärkt. Vonseiten der Viererkette kommt ein Vorstoß, wie etwa aktuell aus Ägypten, dass man dort die Visafreiheit für Kataris aufgehoben hat (mit Ausnahmen), bis Katar endlich in die Bedingungen einwilligt. Zugleich erfährt der Nachrichtenleser, dass aufseiten der Verbündeten Katars gekontert wird. So verlangte der Forderungskatalog, dass die Türkei ihre (ohnehin schwache) Militärpräsenz in Katar aufgibt. Aktuelle Nachrichten künden vom Gegenteil: Die Türkei will ihre Militärpräsenz in Katar weiter ausbauen.

Der Konflikt zwischen den Golftstaaten könnte sich noch eine Weile hinziehen, meinte der US-Außenminister Tillerson kürzlich. Er versuchte - wie demnächst Erdogan und Mogherini und zuvor die Außenminister Jean-Yves Le Drian, Boris Johnson und Sigmar Gabriel - zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Ohne sichtbaren Erfolg. Sichtbar wurde dagegen, dass sich Tillerson auf einem anderen Kurs befindet als Donald Trump, der sich deutlich auf die Seite Saudi-Arabiens schlug. Der Entscheidungsprozess innerhalb der US-Regierung sei schwierig, bemerkte Tillerson.