"Der Boden stellt eine gigantische Umverteilungsmaschinerie dar"

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Prof. Dr. Dirk Löhr über Bodenpolitik - ein im öffentlichen Diskurs ausgeblendetes und gewaltig unterschätztes Thema

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Der Wert eines Grundstücks ist das Resultat von Investitionen der öffentlichen Hand, also des Steuerzahlers. Von den oft enormen Wertsteigerungen profitieren jedoch fast nur die privaten Grundstückseigentümer. Eine andere Bodenpolitik wäre nicht nur gerechter, sondern würde dem Gemeinwohl auch noch weitere Vorteile bringen. Dirk Löhr ist Professor für Steuerlehre und Ökologische Ökonomik an der Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld. Löhr schreibt in seinem Blog Rent Grabbing über ökonomische Renten und ihre Aneignung.

Herr Löhr, warum ist das Thema "Boden" ein wichtiges politisches Thema?

Dirk Löhr: Wenn wir die aktuelle Situation auf dem Immobilienmarkt betrachten, dann fallen teilweise enorme Preissteigerungen in bestimmten Städten und Regionen auf, aber auch recht unterschiedliche Entwicklungen.

Fragen wir nach den Ursachen, dann stellen wir fest, dass die Baupreise wesentlich geringer gestiegen sind als die Bodenpreise, zumindest in den Ballungsräumen. So kostet eine identische Wohnung heute in München mehr als das Siebenfache wie in Gelsenkirchen. Das liegt an der unterschiedlichen Attraktivität bezüglich Arbeitsplätzen und Arbeitskräften, Infrastruktur, Kultur- und Freizeitangebot, Sicherheit usw.

Die Voraussetzungen hierfür sind öffentliche Leistungen und Infrastruktur, die vor allem vom Bund, von den Ländern und von den Kommunen bereitgestellt werden. Finanziert werden diese Leistungen durch Abgaben, die größtenteils von Verbrauchern und Arbeitnehmern aufgebracht werden. Nutznießer sind die privaten Grundstückseigentümer, die von der Inwertsetzung der Standorte enorm profitieren, denn die Besteuerung des Bodens ist ja minimal. Der Boden stellt somit eine gigantische Umverteilungsmaschinerie dar. Die Ungerechtigkeit bei der Bodenrente ist eine der Hauptursachen für die zunehmende Arm-Reich-Schere. Seltsamerweise ist das bisher kaum jemandem bewusst.

Was ist eine Bodenrente?

Dirk Löhr: Das ist der Bodenertrag. Mit "Rente" ist im Sprachgebrauch von uns Ökonomen ein leistungsloses Einkommen gemeint. Wobei - wie eben gesagt - der Preisanstieg beim Boden durchaus die Folge einer Leistung ist, aber einer öffentlichen Leistung. Die Leistung ist sozialisiert, der daraus resultierende Profit privatisiert. Das ist geltendes Recht, gerecht ist das jedoch nicht.

Erst die Privatisierung der Bodenrente hat den heutigen Steuerstaat notwendig gemacht

Welche Größenordnung haben die Bodenrenten?

Dirk Löhr: Eine gewaltige! Die Bodenrente ist aber keine absolute Größe. Länder mit hohen Abgaben wie Deutschland haben im Durchschnitt moderate Bodenrenten, Länder mit niedrigen Abgaben wie Luxemburg oder die Schweiz hohe. Die Bodenrente ist nämlich das, was bleibt, wenn man vom Einkommen die Kosten des Wirtschaftens abzieht. So mindern öffentliche Abgaben einerseits das verfügbare Einkommen, andererseits erhöhen sie die Kosten z.B. für den Faktor Arbeit. Zudem entstehen Reibungsverluste, weil die Menschen aufwendige wirtschaftliche Umwege einschlagen, um der Abgabenlast zu entgehen. Oder sie lassen sich entmutigen und werden erst gar nicht wirtschaftlich tätig. Darum verringern Steuern und andere Abgaben die Bodenrenten.

Deswegen hatte das Hochsteuerland Deutschland in der Vergangenheit moderate Bodenerträge und Bodenpreise. Geändert hat sich dies im Zuge der Niedrigzinsphase: Die Bodenerträge sind v.a. in den großen Städten im Zuge der Niedrigzinsphase drastisch gestiegen. Von dieser Entwicklung haben aber nicht die Arbeitseinkommen profitiert. Stellen Sie sich nun vor, dass die öffentlichen Abgaben abgeschafft und durch eine Bodensteuer ersetzt werden. Die Bodenrente würde sich wegen der vermiedenen Reibungsverluste dann um weit mehr erhöhen als um den Betrag der weggefallenen Abgaben. Hinzu kommen noch die heute privatisierten Teile der Bodenrenten.

Würde der Staat also auf die heutigen Abgaben gänzlich verzichten und stattdessen die dann gestiegenen Bodenrenten komplett abschöpfen, dann wäre er damit mehr als auskömmlich finanziert. Das heißt: Abgesehen von Umweltabgaben könnten wir auf fast alle Steuern verzichten, wie wir sie heute kennen. Dieses Konzept heißt übrigens "Henry-George-Theorem", benannt nach dem amerikanischen Bodenreformer.

Es bliebe sogar noch erheblicher Raum für Lohnerhöhungen und für eine bessere soziale Sicherung als heute. Der Durchschnittsbürger würde in einem solchen System aufgrund des Wegfalls der heutigen Abgaben deutlich besser gestellt als derzeit. Dass erst die Privatisierung der Bodenrente den heutigen Steuerstaat überhaupt notwendig macht, wird von den verteilungspolitischen Diskussionen regelmäßig übersehen.

Würden die Bodenpreise noch steigen, wenn der Staat die Bodenrenten weitgehend abschöpft?

Dirk Löhr: Nein, die Bodenpreise würden sogar massiv sinken, denn sie ergeben sich aus den Bodenrenten, die in private Hände fließen. Je stärker der Staat diese Bodenrenten abgeschöpft, desto mehr sinken die Bodenpreise. Grundstücksspekulation - ein Geschäftsmodell vieler "Investoren" - ergibt dann keinen Sinn mehr.

Wie ließe sich die Höhe der Bodenrente bemessen und abschöpfen?

Dirk Löhr: Die Bodenrente könnte laufend über die Besteuerung des Bodenwertes abgeschöpft werden. Der Bodenwert wiederum ergibt sich aus den künftigen Bodenrenten. Bei allen Vermögenswerten - egal ob Immobilien, Aktien oder Anleihen - zahlt man ja immer für die künftigen Erträge. Technisch könnte die Besteuerung über die Bodenrichtwerte ablaufen. Diese stehen schon heute flächendeckend zur Verfügung und werden durch die Gutachterausschüsse festgestellt - wenngleich aktuell in jedem Bundesland in qualitativ sehr unterschiedlicher Weise. Die Verfahren müssten noch verbessert und vereinheitlicht sowie die Bewertungszyklen verkürzt werden.

Gibt es dann überhaupt noch einen Anreiz zu investieren?

Dirk Löhr: Die Bodenwertsteuer basiert ja auf dem Bodenwert bei bestmöglicher Nutzung. Natürlich steht es dem Grundstückseigentümer frei, das Grundstück auch weniger gut oder gar nicht zu nutzen. Trotzdem muss er so viel bezahlen, wie wenn es bestmöglich genutzt würde, denn er nimmt ja die begrenzte Ressource Bodenfläche auf Kosten seiner Mitbürger in Anspruch. Dadurch ergibt sich ein starker Druck zu effizienter Nutzung und zur Erwirtschaftung der entsprechenden Bodenrente. Bodenspekulation würde sich nicht mehr lohnen.