Migranten aus Libyen: Haftar als EU-Außengrenzen-Schützer

General Khalifa Haftar. Screenshot, YouTube

Macron machts möglich: Regierungschef Sarraj und General Haftar vereinbaren einen Fahrplan zur Stabilisierung Libyens. Priorität hat die Bildung einer nationalen Armee

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Trump würde das nicht machen, Merkel auch nicht und auf keinen Fall der deutsch-steife de Maizière: Der französische Präsident Macron näherte sich seinen beiden Gästen aus Libyen mit einer Begrüßung auf mittelmeerische Art, Wange an Wange. Die Geste von Macron ist eine Referenz an einen gemeinsamen Kultur- und Verständigungsraum der Länder, die sich am Mare Nostrum gegenüberliegen. Aber wie weit trägt eine solche Reminiszenz?

War Macrons Treffen in der Nähe von Paris am gestrigen Dienstag mit dem Chef der libyschen Einheits-Regierung Fayez al-Sarraj und General Khalifa Haftar mehr als ein Fototermin? Beinahe 100.000 Migranten - zum weitaus überwiegenden Teil nicht aus Kriegsgebieten - sind in diesem Jahr von Libyens Küsten nach Italien gekommen. Die Zahlen der Migranten, die in Afrika darauf warten, nach Europa zu kommen, werden schon seit Gaddafis Zeiten mit Millionen angeben. Keiner kann das genau einschätzen. Auch keine sogenannten Geheimpapiere von deutschen Sicherheitsbehörden oder Victor Orbán.

Der neue politische Problem-Hotspot

Aber daran ist nicht zu rütteln: Europa, allen voran Italien, haben ein Problem mit der zu großen Zahl der Migranten aus Libyen. Das ist ein Wahlkampfthema in Deutschland und Österreich und ein Debattenthema in anderen Mitgliedstaaten. Hinzu kommt bei Libyen, dass es eine Schatzkammer ist - das Land hat ja nicht nur Ölvorkommen - und diese Geschäftsfelder wollen geschützt werden. Am besten durch Streitkräfte, die den europäischen Interessensstaaten verpflichtet sind. Auch geostrategisch ist Libyen von Bedeutung.

Es ist der nächste wichtige Schauplatz im "Kampf gegen den islamistischen Terror". Der IS erlitt zwar eine Niederlage, welche in der Stadt Sirte zu großen Zerstörungen führte, aber er ist nach wie vor in Libyen präsent. Al-Qaida auch, in einem gefährlicheren Ausmaß.

Das alles macht Libyen in der öffentlichen Aufmerksamkeit zum neuen politischen Problem-Hotspot der EU. Insbesondere seit Italien vernehmlich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass es am Limit ist, dass es mit diesem Andrang an Migranten wie bisher nicht mehr zurechtkommt.

Die Reaktion in Österreich auf den Migrantenzuzug nach Italien, dass dort Innenminister Sobotka eine Diskussion darüber entfachte, ob Panzer und Militärs am Brenner-Grenzübergang stationiert werden sollen, ist eine Illustration dessen, auf welche Höhen das Problem Libyen aufgeschaukelt werden kann.

"Wir schulden Libyen den Frieden"

Macron ergriff also die Initiative, höchstwahrscheinlich war dies mit US-Präsident Trump abgesprochen (siehe Was haben Trump und Macron vor?), um sich um politische Lösungen des libyschen Chaos zu bemühen, das die Europäer maßgeblich selbst zu verantworten haben. Die Bildunterschrift zur eingangs genannten Begrüßung weist darauf hin.

Dem damaligen französische Präsident Sarkozy kommt mit seinem militärischen Vorpreschen gegen Gaddafi 2011 im Verbund mit Großbritannien, den USA unter Obama große Verantwortung dafür zu, dass Libyen zu einem zerschlagenen, gescheiterten Staat wurde. Der Elysée-Palast unterschrieb das Foto mit den Worten: "Das libysche Volk braucht den Frieden. Wir schulden es ihm."

Waffenstillstand, Aussichten auf Wahlen und die Bildung einer Armee

Was hat Macron erreicht? Immerhin etwas, das bislang noch niemand geschafft hat: eine von Regierungschef Serraj und dem Oberbefehlshaber Haftar gemeinsam unterzeichnete offizielle Vereinbarung. Das ist ein zehn-Punkte-Plan zur Wiedererlangung der Stabilität in Libyen (hier auf Englisch) durch einen politischen Prozess, der im Dezember 2015 in Skhirat in Marokko mit dem "Libyan Political Agreement", vermittelt über die UN, aufgenommen wurde. In den Monaten danach machte die UN-Vermittlung viel Murks.

Die wichtigsten Punkte der Vereinbarung, die in gestern in La Celle Saint-Cloud unterzeichnet wurde, lauten, dass sich beide - Serraj, der die offizielle politische Macht in Libyen verkörpert, und Hafter, der große militärische Power und viel inoffizielle politische Macht verkörpert - für einen Waffenstillstand eintreten (von dem islamistische Gruppen ausgenommen sind) und dass sie für Wahlen im nächsten Jahr eintreten. Punkt 7 dürfte den Europäern wie der Nato besonders wichtig sein: die Bildung einer libyschen Nationalarmee. Dazu sollen die Milizen entwaffnet werden.

Das ist kein leichtes Unterfangen bei weit über 1.000 Milizen, die über das ganze, nicht eben kleine Land verteilt sind. Eine Kostprobe dafür, wie das gelingen oder scheitern kann, wird man demnächst in der Hauptstadt Tripolis sehen, wo der Kommandeur der Präsidentengarde die Milizen zur Abgabe ihrer Waffen bis Sonntag aufgefordert haben.

Wahrscheinlich wird das erneut kenntlich machen, wie sehr der Präsidentenrat, die offiziell von der UN-Regierung anerkannte Einheitsregierung Libyens, den starken Mann General Haftar braucht. Aber auch er dürfte selbst bei Milizen, die mit ihm verbündet sind, Schwierigkeiten bei der Entwaffnung haben, sagen Beobachter.

Der Hauptergebnis heißt Haftar

Dass Macron Haftar mit dem Trefffen in der Nähe von Paris die öffentlichen Weihen hab, dass er nun international als zentrale Figur für die Neuordnung Libyens gilt, ist das Hauptergebnis von Macrons Initiative. Italien wollte oder konnte das nicht leisten. Aber die gegenwärtige Erkenntnis zur Misere in Libyen heißt: An Haftar führt keine auch nur einigermaßen aussichtsreiche Stabilisierung Libyens vorbei - egal wie man zu der schillernden Figur steht, die nicht in ein einfaches Schema zu pressen und ganz gewiss nicht korrekt ist, wenn man europäische Seriösitätsvorstellungen oder andere Idealmaßstäbe anlegt, oder es mit Menschenrechten genau nimmt.

Macron sagte, dass ein "großer Schritt" vorwärts gemacht wurde. Dem müssen noch viele folgen. Die Schwierigkeiten sind unübersehbar: Wer wird bestimmen, welche Milizen als terroristisch gelten, weswegen sie vom Waffenstillstand ausgeschlossen sind? Wie wird man sich der Unterstützung der Stämme versichern, die in Libyen eine eminent wichtige Rolle spielen. Manche Beobachter der libyschen Situation plädieren dafür, den Gaddafi-Sohn Saif als-Islam in das Lösungskonzept zu integrieren, da dieser für einen größeren Rückhalt bei wichtigen Stämmen sorgen könne (auch das ist ein Beispiel dafür, welche Karten im Hintergrund gespielt werden).

Zu den großen Schwierigkeiten gehört auch die Positionierung Haftars, welchen Rang in der Hierarchie soll er einnehmen? Laut französischen Medien gehörten zu den Hintergrundgesprächen Verhandlungen über eine Verkleinerung des bislang neun-köpfigen Präsidentenrats. Angedacht ist eine Lösung mit drei Männern an der Spitze: Sarraj, Haftar und ein dritter Mann, der noch nicht feststeht.

Auf jeden Fall ist das ein schwieriges Trio. Ob sich das Militär unter Führung von Haftar, wie es in der politischen Abmachung vorgesehen ist, den zivilen Orders beugen wird, ist eine Schlüsselfrage. Sicher ist Haftar wird sich schwerlich Anweisungen von Sarraj fügen. Welche hierarchische Stellung wird er gegenüber Sarraj bekommen?