Türkei: Mammutprozess gegen Journalisten eröffnet

17 Mitarbeiter der Tageszeitung Cumhuriyet wird Terrorunterstützung vorgeworfen, Protest kommt auch von Reporter ohne Grenzen und dem PEN

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Am 24. Juli 1908 wurde in der Türkei die Pressezensur offiziell abgeschafft. Ausgerechnet an diesem Jahrestag wurde in Istanbul vorgestern der Prozess gegen 17 Mitarbeiter der Tageszeitung Cumhuriyet eröffnet. Die meisten von ihnen sind bereits seit Oktober 2016 in Haft. "Es gibt in diesem Land keine Pressefreiheit mehr", sagte der Chef der größten Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, dazu im Parlament. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht die Türkei derzeit auf Platz 155 von 180 und ist damit im Vergleich zum Vorjahr weiter abgerutscht.

Den Journalisten - unter ihnen auch prominente Namen wie Ahmet Sik und der Karikaturist Musa Kart - wird Terrorunterstützung sowie Nähe zur Gülen-Bewegung vorgeworfen. Dabei ist die Cumhuriyet ein kemalistisches Blatt, Sik ist der prominenteste Gülen-Kritiker des Landes. Doch die Anklage behauptet, die Zeitung sei von der Gülen-Bewegung unterwandert worden - ein absurder Vorwurf. Kilicdaroglu wies darauf hin, dass außerdem die ursprüngliche Anklage von einem Richter verfasst worden sei, der inzwischen selbst wegen vermeintlicher Gülen-Nähe im Gefängnis sitze.

Der ehemalige Chefredakteur der Cumhuriyet, Can Dündar, musste nach einer Anklage und mehreren Monaten Untersuchungshaft das Land verlassen. Er leitet heute in Berlin die Redaktion des Exilmediums Özgürüz. Erdogan fordert seine Auslieferung. Dündar hat über seine Haftzeit ein Buch geschrieben ("Lebenslang für die Wahrheit", Hamburg 2016), in dem er darauf verweist, dass die Anklage gegen ihn ausschließlich auf seiner journalistischen Arbeit beruhe.

Bei seinem Kollegen Kadri Gürsel reicht schon aus, dass er im Rahmen seiner Arbeit von Gülen-Anhängern angerufen wurde, um ihn nun der Nähe zu der Bewegung zu bezichtigen Dabei ist offen, ob die Kontaktpersonen, um die es geht, überhaupt wirkliche Gülen-Anhänger waren. Laut BirGün handelt es sich um Personen, die sich ihrerseits die Anklage eingefangen haben, weil sie die Messenger-App ByLock genutzt haben sollen, die von einem Gülen-nahen Unternehmen entwickelt wurde, aber frei erhältlich war. Es handele sich um politische Anklagen, kommentierte Gürsel demnach den Prozess gegen sich und seine Kollegen. "Wenn jeder, der von Verdächtigen kontaktiert wurde, als schuldig gilt, dann könnte man die Bürger des ganzen Landes anklagen", zitiert ihn BirGün.

Zahlreiche Menschen haben sich zum Prozessbeginn vor dem Istanbuler Justizpalast zum stummen Protest versammelt. Auch Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die Freilassung der Journalisten. Auch der ROG-Korrespondent Erol Enderoglu ist in der Türkei angeklagt.

PEN-Präsidentin Regula Venske kommentierte die Ereignisse in einem offenen Brief an den türkischen Präsidenten Erdogan und Ministerpräsident Yildirim. Sie zieht darin Bilanz über die Menschenrechtsverletzungen seit dem Putschversuch vor einem Jahr und kommentiert zum Fall der Cumhuriyet: "Seit 1924 hat die Zeitung fünf Militärcoups überlebt. Viele ihrer Journalisten wurden inhaftiert, gefoltert oder fielen sogar politischen Attentaten zum Opfer. Noch nie aber gab es eine solche konzertierte Anstrengung, die Zeitung gänzlich zu eliminieren. Dieser Angriff auf die Cumhuriyet ist ganz offensichtlich ein politischer Angriff und zielt direkt auf die Pressefreiheit und die säkulare Republik."

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