Aufklärung in Spanien "nicht sachdienlich"

Der spanische Regierungschef Rajoy bei seiner Aussage vor Gericht. Screenshot von YouTube-Video

Der Auftritt des spanischen Premiers vor dem Gericht war peinlich, er will von Korruption und Schwarzgeldkassen nichts gewusst haben

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Eigentlich sollte mit der Tatsache, dass erstmals in der spanischen Geschichte ein amtierender Regierungschef vor Gericht aussagen musste – wenn auch nur als Zeuge – gezeigt werden, dass alle vor der Justiz gleich sind. Doch genau das Gegenteil hat der Auftritt von Mariano Rajoy gestern vor dem Nationalen Gerichtshof sehr deutlich gemacht, als er zur jahrzehntelangen illegalen Finanzierung seiner PP und Korruption aussagen musste.

Schon dass er nicht auf der Anklagebank sitzen muss, ist die größte Vorzugsbehandlung, die ihm zu Teil wurde. Das hat schon der Mann deutlich gemacht, der den gesamten Prozess um den großen "Gürtel"-Korruptionsskandal mit seiner Anzeige und mit etlichen Aufnahmen erst ins Rollen gebracht hatte. Anders als die Verantwortlichen für Korruption und Schwarzgeldkassen in der konservativen Volkspartei (PP) sitzt José Luis Peñas nämlich auf der Anklagebank und konnte von dort die Vernehmung Rajoys beiwohnen.

Rajoy musste auch nicht das Gericht, wie jeder normale Zeuge, vor laufenden Kameras betreten. Er wurde über die Tiefgarage eingeschleust, um entsprechende Aufnahmen zu verhindern. Anders als normale Menschen wurde der Ministerpräsident auch nicht im normalen Zeugenstand vernommen, denn der steht direkt vor der Anklagebank. Rajoy wurde symbolträchtigauf die Höhe der Richter und der Anklage gehoben und durfte auf dem Podest links von den Richtern sitzen und aussagen. Klar ist, dass mit dieser Vorzugsbehandlung Bilder vermieden werden sollten, in denen er vor den korrupten Mannen und Frauen seiner Partei zu sehen ist. Im Prozess sind, mit Ausnahme des ehemaligen Schatzmeisters, aber ohnehin nur Politiker aus der zweiten und dritten Reihe angeklagt.

Und dann fiel dramatisch ins Auge, dass die Staatsanwaltschaft keinerlei Fragen gestellt hat. Die ist in Spanien als Ministerium sogar ein Teil der Regierung, wasneben anderen Problemen der Gewaltenteilung kritisiert wird. Sie hatte sogar versucht, diese Zeugenvernehmung genauso zu verhindern, wie sie sich schon zuvor mit allen Mitteln gegen die Anklage der Königstochter wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche etc. gestemmt hatte. Auch hier trat der Staatsanwalt nicht als Ankläger, sondern eher wie ein Verteidiger auf.

Um das Fass zum Überlaufen zu bringen, verhinderte der Vorsitzende Richter auch noch jede effektive Befragung durch die Nebenkläger. Es reichte eine allgemeine Aussage, dass Rajoy mit den Finanzen der Partei angeblich nichts zu tun gehabt habe, damit der Präsident danach praktisch alle weiteren Fragen zur Finanzierung als "nicht sachdienlich" abgeschmettert hat. Dabei war er, wie er eingeräumt hat, einst auch für Wahlkämpfe verantwortlich. Und die waren mit Schmiergeldern finanziert, wie der Angeklagte Francisco Correa längst zugegeben hat, der im Zentrum des Skandals steht. Und klar ist, dass damit Rajoy auch die Finanzen der Wahlkämpfe kontrolliert haben muss, wie das üblich ist.

Anwälte und Nebenkläger, die tiefer zu bohren versuchten, legten Beschwerde um Beschwerde angesichts der schützenden Hand ein, die der Gerichtspräsident immer wieder über Rajoy hielt. Er unterbrach Rajoy sogar öfters, als der sogar auf Fragen antworten wollte. Er bewahrte ihn so vor seinen bisweilen ungewollt komischen Aussagen, Verstrickungen und Widersprüchen, in die ein Regierungschef gerne gerät, der am Liebsten seine Pressekonferenzen per Plasma-Bildschirm gibt und keine Nachfragen zulässt.

Der Richter ließ stattdessen aber zu, dass sich Rajoy aus dem Zeugenstand herablassend und arrogant an die Nebenkläger und Anwälte wenden konnte. So bezeichnete er zum Beispiel eine Frage "als wenig brillant". Wer den autoritären Ton in spanischen Gerichten kennt, wo jede Anmaßung oder Abschweifung von den Richtern normalerweise abgewürgt wird, konnte sich nur die Augen reiben.

"Alles ist falsch, bis auf einige Sachen"

Trotz allem gelang es, ihn bisweilen auf schwieriges Gelände zu treiben. Dazu waren vor allem die SMS an seinen früheren Schatzmeister Luis Bärchens geeignet. Als dessen Schwarzgeldmillionen in der Schweiz aufgeflogen sind, forderte ihn Rajoy ihn auf, "stark" zu bleiben. "Luis, die Sache ist nicht einfach, aber wir tun, was wir können. Kopf hoch.". Auf die Frage, was das bedeutet, erklärte Rajoy nur: "Das bedeutet, dass wir nichts getan haben, was einen Prozess beeinflussen könnte." Komisch nur, dass die ersten Ermittlungen kurz darauf eingestellt wurden.

Immer wieder erklärte er, sich "genau erinnern" zu können, so auch zu einer Reise. Die hat nach den Gerichtsunterlagen aber das korrupte Netzwerk um Correa bezahlt. Rajoy konnte aber behaupten, dass sie die Partei "seines Wissens nach" bezahlt habe.

Geklärt werden konnte auch nicht, was er einst in Berlin meinte, wo der "Plasma-Präsident" erstmals auf einer Pressekonferenz mit Merkel zu den Schwarzgeldkassen seiner PP befragt werden konnte. Damals hatte er in seiner berühmt kryptischen Art erklärt: "Alles ist falsch, bis auf einige Sachen." Dazu durfte er sich nun so herausreden: "Was mich betraf, war das absolut falsch und andere sagten das gleiche, doch es gab etwas, was wahr sein konnte und es schien mir am ehrlichsten, das so auszudrücken." Nachfragen, was den wahr war und ob er direkt zum Beispiel von Bárcenas Briefumschläge mit den "Zusatzlöhnen" erhalten hat, waren dann wieder "nicht sachdienlich".

Neu war an Rajoys Aussagen nur, dass er nun nicht mehr demonstrativ abstritt, dass es Schwarzgeld gab. Nun zog er sich nur noch darauf zurück, von Schwarzgeld und der B-Buchführung nichts gewusst zu haben. Früher behauptete er sogar, es handele sich um einen Komplott, um seiner PP zu schaden.

Glauben muss man all das freilich nicht. Und schon am Nachmittag wurde das eigentlich auch schon über die anschließende Vernehmungdes Senatspräsidenten klar. Denn der vierte Mann im Staat hatte vor dem Gericht das Problem, dass er schon vor Jahren eingeräumt hatte, Geld von Bárcenas auf Umwegen erhalten zu haben. Damit war er einer derjenigen, die schnell die Eintragungen Bárcenas und seine parallele Buchführung bestätigt hatten. Das Geld soll nun ein "Kredit" gewesen sein, um sein Haus nach einem Bombenanschlag zu renovieren. Trotz allem will aber auch Pío García Escudero nun nichts mit der Finanzierung der Partei oder schwarzen Kassen zu tun gehabt haben. Auch er nutzte die Sprachregelungen, die neben Rajoy auch schon diverse ehemalige Minister und Staatssekretäre angewandt haben.

Vorbei ist der Spuk für Rajoy und seine PP allerdings nicht. Es kann sein, dass er erneut als Zeuge antreten muss. Es gibt allein im Gürtel-Skandal noch diverse Prozesse und die PP-Korruption ist auch darüber hinaus noch weit verzweigt. Zudem wollen praktisch alle Parteien den Regierungschef nach der peinlichen Aussage nun im Parlament befragen. Sogar die rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger), die Rajoy an die Regierung gebracht haben und ihn weiter stützen, wollen ihn vor den Untersuchungsausschuss zitieren, der zu der Korruption in der PP gebildet wurde.

"Präsident der Korruption"

Ihn im Parlament zu Rede und Antwort zu stellen, wie es die Sozialisten (PSOE) und die Linkspartei Podemos (Wir können es) es vorhaben, verweigert sich der Parteichef Albert Rivera aber. "Es wäre ein Schnäppchen für Rajoy, uns im Plenum eine Rede zu halten." Er meint: "Wir haben einen Präsidenten, der einen Rucksack voller Korruption trägt, und nicht nur wir meinen, sondern auch die Bürger, dass er lügt." Erstaunlich ist angesichts der Feststellung aber, warum Rivera die Rajoy-Regierung weiter stützt und einen Misstrauensantrag gegen ihn weiterhin ablehnt.

Der neue PSOE-Chef Pedro Sánchez hat nach dem Auftritt von Rajoy dessen sofortigen Rücktritt gefordert. Das müsse der aus "Aufrichtigkeit" tun, "nicht für seine, sondern für unsere Demokratie", sagte er. Es habe sich um einen "schwarzen Tag" für die Demokratie gehandelt und er forderte den "Präsidenten der Korruption" auf, "Spanien in seinem Fall nicht mit in den Abgrund zu ziehen".

Der Podemos-Chef Pablo Iglesias ist überzeugt, dass Rajoy nicht zurücktreten wird, der bisher noch alle Skandale ausgesessen hat. "Nicht einmal mit heißem Wasser bringt man ihn zum Rücktritt." Iglesias bezeichnete ihn als "Schande". Für ihn ist klar, dass "Rajoy entweder lügt, um die PP zu schützen, oder er ist extrem fahrlässig." Er will ihm im Parlament seine "Widersprüche" aufzeigen. Iglesias zielt aber erneut auf einen Misstrauensantrag noch vor Weihnachten ab, den er diesmal gemeinsam mit der PSOE einbringen will, deren "Rhythmus" man aber respektieren wolle. Kürzlich war Podemos im Alleingang gescheitert. "Es ist unsere Aufgabe, daran zu arbeiten, die übrigen Fraktionen zu überzeugen."